In den Mythen vieler Völker und Kulturen spielen bestimmte bedeutungskräftige Zahlen (Symbolzahlen) und Zahlverhältnisse eine wichtige Rolle. Warum aber wird seit alters her bestimmten Zahlen besondere Bedeutung zugeschrieben? Sehr verkürzt gesagt, gibt es dafür zwei Motive: Entweder kommt diesen Zahlen aus ihren mathematischen Eigenschaften heraus eine besondere Rolle zu oder es gibt äußere Faktoren in der Lebenswelt, die mit einer bestimmten Zahl verknüpft sind. Man kann also von innerer Auszeichnung auf Grund mathematischer Eigenschaften (eine Zahl besitzt z. B. besonders viele Teiler, was für das Rechnen günstig ist) einerseits und von äußerer Auszeichnung (eine Zahl referiert auf ein naturgegebenes Faktum, z. B. die Zahl der Finger, die Zahl der Tage eines Mondumlaufes) andererseits sprechen.
Im Falle der Symbolzahlen tritt die Funktion des Zählens oft hinter die symbolische Bedeutung zurück. So kommt es vor, dass eine bestimmte Zahl genannt wird, ohne dass der Anspruch besteht, damit eine tatsächliche Anzahl zu bezeichnen. Wir finden dies bis heute in Sätzen wie: „Das habe ich doch schon tausendmal gesagt.“ Bisweilen ist es auch so, dass Mengenverhältnisse und Anzahlen konstruiert werden, um eine bestimmte, symbolträchtige Zahl zu erreichen – auch dies ist bis heute in unserem Alltag präsent, selbst wenn es dabei weniger um mythologische Kontexte geht, sondern vielmehr um profane Verwendungen von Zahlen, wie beispielsweise bei Leistungsindikatoren oder wirtschaftlichen Kennzahlen.
Schon in den Mythen der Germanen waren symbolträchtige Zahlen von großer Bedeutung. Hier treten insbesondere drei Zahlen hervor, die bevorzugt zur Quantifizierung im Bereich und Umfeld des Mythos verwandt wurden und denen man offenbar eine besondere Relevanz und möglicherweise auch übernatürliche Wirkungskraft zuschrieb: Es handelt sich dabei um die Zahlen drei, neun und zwölf. In geringerer Häufigkeit treten auch andere Zahlen als Symbolzahlen auf, beispielsweise die Sieben oder die Acht. Dabei sollte darauf hingewiesen werden, dass die Verwendung von Symbolzahlen vielfach mutmaßlich erst Ergebnis einer Bearbeitung und Systematisierung der Mythen ist, das Vorkommen also in gewisser Weise inszeniert wurde.
Wenngleich sich bisweilen die bevorzugten ausgezeichneten Zahlen von Kultur zu Kultur unterscheiden, so haben doch unterschiedliche Kulturen, oft völlig unabhängig voneinander, dieselben Zahlen als bedeutungsvoll angesehen. Hierin liegt ein Problem für die Deutung und Bewertung der jeweiligen ausgezeichneten Zahlen: Wegen der Übereinstimmung lässt sich oftmals nicht abschließend klären, ob die Verwendung einer bestimmten bedeutungstragenden Zahl autochthon oder möglicherweise durch kulturellen Kontakt entlehnt ist. So ist es auch im Hinblick auf die nordisch-germanische Mythologie oftmals schwierig, eine definitive Abgrenzung vorzunehmen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass ein Großteil der uns überlieferten Quellen aus einer Zeit stammt, in der die Christianisierung bereits weit fortgeschritten war. Deshalb ist es nicht auszuschließen, dass die symbolische Verwendung von Zahlen in den Quellen zur nordisch-germanischen Mythologie vom christlichen Vorbild beeinflusst wurde:
So finden sich die Drei und die Zwölf als häufige Symbolzahlen auch in der christlich-jüdischen Tradition, die Drei beispielsweise bei der Lehre der Trinität Gottes, die Zwölf z. B. als Zahl der Apostel. Einflüsse des Christentums auf die nordisch-germanische Mythologie sind auch mit Blick auf die ausgezeichneten Zahlen schon seit dem 19. Jahrhundert oft und ausgiebig diskutiert worden. Die zum Teil recht konträren Ansichten dieser Diskussion gehen u. a. auf die geringe Zahl belastbarer Quellen und die daraus resultierende Schwierigkeit, Wirkungszusammenhänge rekonstruieren zu können, zurück.
Die folgenden Ausführungen beschränken sich aus diesen Gründen darauf, Vorkommen und Bedeutung der genannten Symbolzahlen in der nordisch-germanischen Mythologie zu beschreiben, ohne die Herkunft der betreffenden Verwendung letztverbindlich klären zu können.
Drei
als Symbol für Vollständigkeit und zugleich für Vielzahl und Größe verwendet. Die Gründe hierfür lassen sich relativ leicht erschließen: Die Drei stellt eigentlich die erste Zahl dar, mit der Pluralität gegeben ist. Demgegenüber ist die Zahl zwei in vielen Sprachen und Kulturen noch rückbezogen auf die Zahl eins; erst mit drei beginnt damit eigentlich das Zählen, während 1 und 2 aus jeder Teilung resultieren. Daher ist es auch verständlich, dass die Drei mit der nicht bestimmten Vielzahl in Verbindung gebracht wird. Naheliegend ist es, aus dieser Vielzahl heraus wiederum Macht und Vollkommenheit abzuleiten. Zugleich überträgt sich die Vollkommenheit auf die Gruppe als solche, die mit der Dreizahl ausgezeichnet wird.
In vielen Fällen trifft eine solche Deutung auch die Verwendung der Dreizahl in der nordisch-germanischen Mythologie zu. Dies gilt insbesondere für Personengruppen, denen Bedeutung verliehen werden soll und die häufig als Dreiergruppen charakterisiert sind. Dies gilt speziell natürlich für Gruppen von Göttern und Riesen, den wesentlichen Gestalten der germanischen Mythologie:
Bereits der Urgott Mannus hat drei Söhne, nach denen Tacitus die Stammeseinteilung der Germanen (Ingwäonen, Istwäonen, Erminonen – Schreibung und Lautung werden unterschiedlich wiedergegeben) vornimmt. Nach der Edda hingegen sind die drei ersten Götter Odin, Vili und Vé. Diese töten den Urriesen Ymir und erschaffen aus seinem Körper die Welt. Nach der Völuspa vollenden schließlich die drei Götter Odin, Hönir und Lodur die Erschaffung der ersten Menschen.
Insgesamt war die Verehrung häufig auf drei Hauptgötter ausgerichtet. So standen nach Adam von Bremen im nordischen Tempel von Uppsala die Bilder der Götter Odin, Thor und Fricco (Freyr), während im heutigen Deutschland maßgeblich die Götter Donar, Wodan und Tiu verehrt wurden, wie aus den christlichen Abschwörungsformeln der Karolingerzeit zu schließen ist. In anderen Abschwörungsformeln finden sich zwar andere Götterkombinationen, die Dreizahl bleibt aber eine Konstante. Die Schwüre der Nordgermanen beriefen sich auf drei Götter in unterschiedlichen Kombinationen, neben Odin, Thor und Freyr auch auf Freyr, Njörd und Thor, Freyr, Freyja und Thor usw.
Auch in anderen Zusammenhängen finden sich in den nordisch-germanischen Mythen Dreiergruppen: Mit Thor fährt Loki zu den drei Riesen Thrymr, Geirrödr und Utgardloki. Im Mythos um den Sturmriesen Thjázi treten die Götter Odin, Loki und Hönir gemeinsam auf. Der Riese Thjázi wiederum hat zwei Brüder, sie bilden also ebenfalls eine Dreiergruppe. Die Zauberspeise Balders wird von drei Waldmädchen getragen, die drei Schlangen besitzen, deren Gift in die Wunderspeise Balders gemischt wird. Nach dem Weltenbrand reiten laut Vafthrudnismal drei Gruppen von Riesenmädchen herbei, um den Erdbewohnern Glück zu bringen. Loki rühmt sich seiner Liebschaften gerade mit drei Göttinnen. Loki selbst hat mit der Riesin Angrboda drei Nachkommen, nämlich Hel, den Fenriswolf und die Seeschlange Jormungand.
Vor allem aber bilden die Nornen meist Dreiergruppen: Ursprünglich existierten die Schicksalsgottheiten in der Vorstellung als ungezählte Vielheit, wurden dann aber zunächst zu drei Scharen gruppiert und schließlich auf drei Gottheiten vereinfacht. Auch hier tritt die Dreizahl für eine unbestimmte Vielzahl ein.
Wenngleich die Benennung der Schicksalsfrauen von Region zu Region variiert, so ist ihrer Gruppe doch nahezu immer die Dreizahl gemeinsam. Im Nordischen sind es beispielsweise Urdr, Verdandi und Skuld, während sie in Süddeutschland z. B. als Einbet, Wilbet und Werbet benannt werden; in England sind es drei Weirdsisters, in Niedersachsen drei weiße Jungfern usf. Der Glaube an die drei Schicksalsfrauen, der im Übrigen griechisch-römische Parallelen besitzt, hat in unterschiedlicher Form Eingang in viele Sagen gefunden und verschiedenes Brauchtum hervorgebracht: So wurden den drei Frauen diverse Funktionen, u. a. als Ehestifterinnen, zugeschrieben und ihnen dementsprechend auch Opfer dargebracht.
Nicht allein jedoch bei Personengruppen tritt in der nordisch-germanischen Mythologie die Dreizahl häufig auf, sondern auch bei Handlungen, Gegenständen oder Zeiträumen. Von der großen Zahl an Vorkommen seien hier nur einige wenige Beispiele genannt:
Die Dreizahl von Gegenständen und Eigenschaften verleiht diesen besondere Bedeutung, was insbesondere daran zu erkennen ist, dass Insignien (Kleinodien) einzelner Götter häufig in Dreizahl benannt werden. Laut Prosaedda lässt Loki bei den Schwarzelfen drei Dinge anfertigen, nämlich goldenes Haar für Thors Frau Sif, das Schiff Skídbladnir für Freyr und für Odin den Speer Gungnir. Nach der Prosaedda besitzt Thor drei Garanten und Insignien seiner Macht, nämlich den Hammer Mjölnir, den Kraftgürtel Megingiard, der ihm doppelte Kraft verleiht, und den eisernen Handschuh Jarngreipr, den er zum Fassen des Hammers benötigt. Heimdall besitzt den Regenbogen in dreifacher Gestalt, als Brücke, Trinkhorn und Blashorn.
Indem eine Handlung dreifach vollzogen wird, übertragen sich implizit die der Dreizahl zugeschriebenen Eigenschaften auf die betreffende Handlung, die dadurch besondere Bedeutung gewinnt. Oft wird sogar erst durch die mehrfache, nämlich dreifache Durchführung die Handlung wirksam und endgültig: Thor muss seinen Kontrahenten Loki drei Mal einfangen. Der Riese Skrymir wird von Thor drei Mal mit dem Hammer Mjölnir geschlagen. Indem die Schläge auch beim dritten Mal dem Riesen nichts ausmachen, können sie ihm auch insgesamt nichts anhaben.
Als Vorzeichen vor dem Untergang der Götterwelt folgen drei Winter aufeinander, ohne durch Sommer unterbrochen zu werden. Nach Tacitus wurden einige germanische Orakel durch dreimaliges Aufheben und Deuten von Stäbchen befragt.
Neun
Ebenso wie die Drei wird in der germanischen Mythologie auch der Neun ein besonderer Wert zugemessen. Erklärbar ist diese Wertschätzung als zahlensymbolisch potenzierte Dreizahl (neun als Quadrat von drei). Möglicherweise wird sie gerade deswegen – der Götterhierarchie entsprechend – insbesondere mit dem germanischen Hauptgott Odin in Verbindung gebracht. Doch begrenzt sich das Vorkommen keineswegs nur auf Mythen um Odin: Beispielsweise wird Heimdall am Rande der Welt von neun Meerriesenschwestern geboren. Odin tötet neun Männer und bringt statt dieser die Heuernte ein, um in den Dienst des Riesen Baugi zu kommen.
Besonders beliebt ist die Verwendung der Neunzahl bei Angaben von Zeitspannen. Von der großen Zahl an Vorkommen sei hier nur eine kleine Auswahl präsentiert:
Die Riesinnen Fenja und Menja wachsen neun Winter unter der Erde auf. Odin hängt bei seiner Selbstopferung neun Tage lang am Baum. In Sagen finden sich oftmals Fristen von neun Tagen oder Nächten. Doppelt erscheint die Neun darin, dass vom Goldring Draupnir in jeder neunten Nacht acht gleiche Ringe herunterträufelten; zusammen mit Draupnir bilden die herabgefallenen Ringe wiederum eine Neunergruppe. Der Ritt des Götterboten Hermódr nach dem Tode Balders bis zum Fluß Gjöll dauert neun Nächte. Die von Wieland und seinen Brüdern gefangenen drei Walküren Alvitr, Svanhvit und Ölrun bleiben neun Jahre und fliegen dann davon. Nach der Ynglingasaga opfert König Aun alle neun Jahre Odin einen Sohn, um so eine Verlängerung seines Lebens zu erwirken.
Auch in anderen Bereichen der nordisch-germanischen mythologischen Überlieferung findet sich die Neun als symbolische Zahl, wenngleich weniger häufig: Neun Zaubergesänge singt Gróa dem Svipdagr zu seiner Fahrt. Um in den Besitz des Wundertrunkes Lodrerir zu kommen, lernt Odin neun Fimbulliód. Das Wunderschwert Laevateinn, das von Loki geschmiedet wurde und das den Hahn Widofnir allein töten kann, der die Götter bewacht, liegt in einer Kiste mit 9 Schlössern.
Die symbolische Verwendung der Neun, ohne dass sie durch die direkten Umstände zwingend erfordert würde, findet sich auch im Volksglauben, wie einige wenige Beispiele zeigen können:
Neun Kräuter dienen als Opfer und helfen gegen diverse Krankheiten; Feuer mit neunerlei Holz soll in Notzeiten helfen; Schemel, die aus neun Hölzern gefertigt sind, besitzen allerlei wunderbare Eigenschaften, z. B. helfen sie, Hexen zu erkennen, usf. Auch in Sagen gibt es zahlreiche derartige Belege. Gerade in den letztgenannten Fällen ist allerdings nur selten ein Bezug zur nordisch-germanischen Mythologie eindeutig beweisbar.
Zwölf
Auch die Zwölf wird in der nordisch-germanischen Mythologie häufig als Symbolzahl genutzt. So ist aus verschiedenen Quellen eine Zwölfzahl der Asengötter bezeugt. Mit der Zwölfzahl der Götter korrespondiert die Zwölfzahl der Sitze in Asgard. In der jüngeren Edda werden neben zwölf Göttern auch zwölf Göttinnen genannt, die Gesamtzahl somit auf 24 verdoppelt.
Neben den Göttern treten ebenfalls die Walküren oft zu zwölft auf. Aber auch in anderen Formen erscheint die Zwölfzahl; so werden z. B. in der Dämisaga Odin zwölf Beinamen beigelegt, der Untergang der alten Götter wird in der Völuspa durch zwölf Vorzeichen ebenso angekündigt, wie der neuen Welt durch die Völva zwölf Glückszeichen zugeschrieben werden.
In der Edda entspringen dem Brunnen Hvergelmir zwölf Eisströme, die die Einheit und Gesamtheit der Welt symbolisieren. Auch hier induziert wieder die Zwölfzahl die Vollständigkeit.
Bei allen Beispielen, die nur eine kleine Auswahl an Vorkommen der Zwölf in der Mythologie repräsentieren, ist deutlich erkennbar, dass die Zwölf als „Gruppenzahl“ fungiert, als eine Zahl, die eine geschlossene Gesamtheit bezeichnet und diese dabei positiv als abgeschlossen und vollkommen qualifiziert.
In einigen Fällen treten die Aspekte der Vollständigkeit und Mächtigkeit besonders hervor, indem z. B. der zwölfte der Götter, der die Gruppe abschließt und damit vervollständigt, den anderen gegenüber hervorgehoben und ausgezeichnet wird. Dem Zwölften wird also gerade besondere Wichtigkeit und damit auch Macht zugesprochen. Diese Verwendung der Zwölfzahl ist mehrfach belegt und findet auch auf Sachen Anwendung, die einen besonderen symbolischen Gehalt besitzen sollen:
In den Eddaliedern bietet Skirnir als Brautwerber Freyrs dem umworbenen Mädchen Gerd als Gabe elf goldene Äpfel und einen Ring. Hier ist das zwölfte Objekt, der Ring, aus der Gesamtheit herausgehoben und bildet als Symbol für die angebotene Ehe die Essenz und Krönung der dargebrachten Gabe.
Gemeinsamkeiten, Differenzen und Kombinationen der Symbolzahlverwendung
Zwischen den Verwendungen der einzelnen ausgezeichneten Zahlen finden sich sehr weitgehende Parallelen, so dass es schwerfällt, die jeweilig unterscheidenden Charakteristika festzustellen, die für die Verwendung der Drei-, Neun- oder Zwölfzahl im betreffenden Kontext relevant bzw. entscheidend waren. In vielen Zusammenhängen ist nur schwer zu motivieren, warum dort die Dreizahl, nicht jedoch die Neunzahl, in anderen Kontexten die Neunzahl, nicht hingegen die Zwölfzahl usf. verwandt wurde. Natürlich spielen gewisse Kontextbedingungen für die jeweilige Wahl eine Rolle: So eignet sich die Dreizahl als Symbolzahl für größere Gruppen kaum, daher wird dann der Neun- oder der Zwölfzahl der Vorzug gegeben. Darüber hinaus lässt sich die Verwendung größerer Symbolzahlen als Mittel der Steigerung deuten. Wie schon die Neun als dreifach gesteigerte Dreizahl verstanden wird, so verbindet wiederum 27 im Sinne der weiteren Steigerung die Symbolzahlen 3 und 9. Ähnliches gilt für die meisten größeren Symbolzahlen. Deutlich erkennbar ist die Steigerung z. B. an der Zunahme der Zahl der Götter, die als bedeutend angesehen wurden, von zunächst drei, über neun auf schließlich zwölf oder gar bis zu 18 oder 24 Götter. Dennoch muss man feststellen, dass sich die Motive für die konkrete Verwendung einer Symbolzahl häufig der rationalen Erklärung entziehen. Denn verschiedene Symbolzahlen kommen oftmals im selben Kontext, lediglich regional differenziert, vor. In kaum einem Verwendungsbereich, der mit einer der Symbolzahlen ausgezeichnet ist, finden sich diesbezüglich keine Varianten: Die Zahl der Walküren schwankt besonders stark, wobei Gruppenzahlen von drei, sechs, neun, zwölf, 13 und 27 auftreten. Dennoch ist bei allen hier genannten Zahlen erkennbar, dass es sich um bedeutungstragende handelt, nämlich um Vielfache von drei sowie um die meist negativ konnotierte Zahl 13.
Die Unterschiede lassen sich durch Modifikationen im Laufe der in der Regel mündlichen Überlieferung der mythologischen Inhalte erklären: Die symbolische Auszeichnung bleibt zwar erhalten, aber die konkrete Realisierung durch eine Symbolzahl kann sich wandeln.
Vereinzelt werden die Symbolzahlen auch kunstvoll miteinander kombiniert: Vom Stammherrn der Riesen Fornjótr stammen drei Söhne Hlér, Logi und Kári ab; Hlér wiederum hat mit seiner Gattin neun Töchter. Der Lehmriese Mokkurkalfi, der mit dem Riesen Hrungnir gegen Thor und Thjalfi kämpfen soll, soll neun Meilen hoch und unter den Armen drei Meilen breit sein. In beiden Fällen sind Drei- und Neunzahl auffällig miteinander kombiniert. Beliebt sind speziell auch Kombinationen der Zahlen drei und neun, in denen auch ihre Summe zwölf einbezogen werden kann: Njörd und Skadi verbringen neun Nächte in Thrymheim und drei Nächte in Noatum, wobei die Nächte den Monaten zu entsprechen scheinen, die insgesamt zwölf Nächte dann also einem ganzen Jahr. Der als Freyja verkleidete Thor verspeist beim Festmahl des Riesen Thrym acht Lachse und einen Ochsen, insgesamt also neun Tiere; dazu trinkt er drei Tonnen Met. Sein Mahl besteht somit zusammengenommen aus zwölf Einheiten.
Ferner zeigt sich, dass die Symbolzahlen drei, neun und zwölf die germanische Weltvorstellung insgesamt prägen: Der Weltenbaum Yggdrasill, der auf drei Hauptwurzeln fußt, symbolisiert die Dreiteilung der Welt: Die Wipfel reichen bis Asgard, die Zweige breiten sich über die gesamte Welt und die Wurzeln dringen bis in die Unterwelt, das Reich der Hel vor. Das Weltall ist in neun Heime geteilt; und schließlich bilden die wichtigsten Götter eine Zwölfergruppe (s. o.). Dass es sich hierbei um eine kunstvolle Konstruktion handelt, ist offensichtlich.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch andere Zahlen zur Auszeichnung vorkommen – wie z. B. die Acht, das beste Beispiel ist die Verdoppelung der Zahl der Beine bei Odins Ross Sleipnir –, doch sind deren Vorkommen im Vergleich zu jenen von drei, neun und zwölf eher selten. Häufig handelt es sich dabei lediglich um Vielfache der bevorzugten Symbolzahlen, insbesondere um Hundert- und Tausendfache zur Steigerung.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Dr. Georg Schuppener
Georg Schuppener ist Sprachwissenschaftler, Naturwissenschaftshistoriker und promovierter Mathematiker. Er lehrt an Universitäten in Deutschland, Tschechien, Russland und der Slowakei. Seit 2011 ist er Professor in Ústí nad Labem. 2002 erhielt er den Theodor-Frings-Preis der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Zu seinen interdisziplinären Forschungsschwerpunkten zählen Sprachgeschichte (Sprachwandel und Sprachvariationen), Soziolinguistik, mythologische Literatur sowie die Geschichte der Mathematik und Volkskunde.
Literaturhinweise:
Endres, Franz Carl/Schimmel, Annemarie: Das Mysterium der Zahl, Zahlensymbolik im Kulturvergleich, Diederichs Gelbe Reihe 52. Kreuzlingen/München 2005 (Hugendubel)
Hallpike, Christopher Robert: Die Grundlagen primitiven Denkens. München 1990 (Klett-Cotta im Deutschen Taschenbuch Verlag)
Lange, Wolfgang: Zahlen und Zahlenkompositionen in der Edda, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 77 (1955), S. 306-348
Siebs, Benno Eide: Weltbild, symbolische Zahl und Verfassung. Aalen 1969 (Scientia Verlag)
Schuppener, Georg: Germanische Zahlwörter. Sprach- und kulturgeschichtliche Untersuchungen insbesondere zur Zahl 12. Leipzig 1996 (Universitätsverlag Leipzig)
Schuppener, Georg: Zahlen und Maße, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bd. 35. Berlin, New York 2007 (Walter de Gruyter), S. 800-817
Werlitz, Jürgen: Das Geheimnis der heiligen Zahlen. Ein Schlüssel zu den Rätseln der Bibel. Wiesbaden 2004 (Marixverlag)
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