Ein Interview mit dem Weihnachsmuffel Prof. Dr. Joachim Schwend
Was nervt dich an Weihnachten am meisten?
Es ist vor allem der Konsumterror und der Trubel, der in den Wochen lange vor Weihnachten schon herrscht. Überall mehr oder weniger hässlicher Weihnachtsschmuck, Weihnachtsmänner, das ewig gleiche Gedudel in den Geschäften, zu viele Menschen auf kleinem Raum und dann noch mit Nikolausmütze und immer viel Glühwein.
Willst du denn nicht beschenkt werden? Oder andere beschenken? Ist das nicht etwas Schönes?
Ich mache gern Geschenke, aber nur, wenn ich einen Wunsch des/der Beschenkten erfüllen kann oder wenn ich eine Idee für ein passendes Geschenk habe. Über Geschenke an mich kann ich mich auch freuen, aber im Hintergrund schwingt auch immer ein gewisses Unbehagen mit, der Beschenkte zu sein. Ich suche nicht krampfhaft nach einem Geschenk für jemanden – keine Idee, kein Geschenk.
Und die Kinder, die freuen sich doch über Weihnachten. Hast du dich eigentlich als Kind gefreut? Seit wann bist du ein Weihnachtsmuffel?
Solange meine Tochter klein war, haben wir immer Weihnachten gefeiert mit Weihnachtsbaum, Krippen und allem Drum und Dran. Aber seitdem meine Tochter aus dem Haus ist, kann ich gut auf jede diesbezügliche Festlichkeit verzichten. Als Kind mochte ich auch Weihnachten, auch weil es Geschenke gab. Ich kann nicht genau sagen, seit wann ich ein Weihnachtsmuffel bin. Ich vermute, es hängt mit Besuchen der Verwandtschaft zusammen, insbesondere mit den Schwiegereltern, mit denen ich mich dann auch gestritten hatte, so dass sie nicht mehr zu Weihnachten zu uns kamen. Früher habe ich zu Weihnachten an meiner Modelleisenbahn gebastelt, aber die steht jetzt gut verpackt und seit Langem unberührt.
Ist es nicht ein Familienfest, wo man sich besucht und die Familienbande stärkt?
Das ist ein Grund, warum ich Weihnachten nicht mehr mag. Gerade die Familienbande wurden zur Last … Streit usw. Meine Tochter und deren Familie verschone ich an Weihnachten mit einem Besuch, um sie nicht unnötig zu belasten. Meine Tochter versteht das und respektiert das.
Als Kulturhistoriker: Wie siehst du die Entwicklung von Weihnachten von der Vergangenheit her und in die Zukunft hinein?
Ich sehe den zunehmenden Bedeutungswandel von einem christlichen Fest mit einer christlichen, sehr positiven Botschaft zu einem Konsumereignis. Vielleicht wird der Konsum durch die letzten Ereignisse, durch Krieg, Inflation, Energiekrise ja reduziert. Ich glaube aber nicht, dass ein grundsätzliches Umdenken erfolgt oder ich vermute, dass es nur bei wenigen Menschen eintritt.
Könntest du dir ein Weihnachtsfest vorstellen, das dir Freude machen würde? Wie müsste das aussehen? Müsste ein Hund unter dem Tannenbaum stehen? (Du bist ja ein Hundefreund.)
Ein Hund wäre immer willkommen, mit dem muss/darf ich an die frische Luft und weg von den Menschen.
Was hältst du von dem religiösen Anteil am Fest? Kirchenbesuch? Das Licht im Dunkel des Winters? Spielt das heute überhaupt eine Rolle?
Das ist die Symbolik, der hinter dem Konsum liegende Wert des Festes, der meiner Meinung nach verlorengegangen ist. Wenn dann an Heiligabend die Kirchen voll sind, dann ist das aber auch bei den meisten Besuchern nur eine Pflichtveranstaltung, sie verliert somit am ursprünglichen Wert. Ich gehe auch nicht in die Kirche, zu viele Menschen, zu viel falsche Gefühlsduselei.
Was war dein schlimmstes Weihnachtsgeschenk?
Oh, kann mich nicht erinnern, da fällt mir nichts Spezielles ein. Die meisten Menschen in meinem Umfeld kennen meine Einstellung, so bekomme ich keine Geschenke, oder nur ganz spezifische.
Und was dein bestes (falls es eines gab)?
Fällt mir auch nichts Spezielles ein. Vielleicht die Kalender mit Familienbildern, die meine Tochter mir immer zu Weihnachten schenkt. Der Kalender hängt in der Küche und ich freue mich, wenn ich am Monatsanfang umblättern kann. Auch meine Partnerin schenkt mir einen Kalender mit Bildern von gemeinsamen Urlauben im vergangenen Jahr, auch über die freue ich mich.
Vielen Dank für das Interview!
Gern geschehen.
Prof. Dr. Joachim Schwend ist emeritierter Anglist der Universität Leipzig mit Schwerpunkt Britische Kulturstudien.
Das Interview führte Prof. Elmar Schenkel
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.
Lieber Herr Schenkel & Herr Schwend,
nach vielen Jahren habe ich Sie beide gegoogled! Sie waren in Leipzig in den späten 90ern meine liebsten Lieblingsprofessoren und haben so viel an meiner Weltsicht, Blickweite und Selbstwertgefühl zum Positiven verändert, dass ich Ihnen gar nicht genug danken kann! Ich bin damals als schüchternes Mädchen aus einer Arbeiterfamilie in Leipzig aufgeschlagen und bei Ihnen in den Vorlesungen (Kulturgeschichte Englands, Weltbilder in der englischen Literatur usw.) gelandet und hatte das Gefühl, endlich angekommen zu sein. Das war wie eine Erleuchtung. Nach dem Studium bin ich mit meinem Mann nach England gegangen für ein 15 Jahre währendes Abenteuer. Nach dem Brexit sind wir 2017 mit unseren beiden Jungs wieder nach Deutschland gekommen. Aber diesen Schritt ins Ungewisse – weder weg noch zurück – hätte ich ohne Sie beide nie gewagt. Und dafür möchte ich einfach Danke sagen.
Alles Liebe,
Ute Treptau (Hamann)
PS: Und liebe Grüße an Ihre Frau, Herr Schenkel, die mir die ersten Worte Japanisch beigebracht hat. Jetzt hab ich alles vergessen, sumimasen kudasai. War trotzdem super!