„von golde ein rütelin“ – Über die Wünschelrute

Liebe Leserinnen und Leser des MYTHO-Blogs,

ein weiteres Jahr findet seinen Abschluss, und obwohl es in der Welt alles andere als zauberhaft zuging und weiterhin zugeht, hat sich der Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie dennoch daran versucht, „sich der Magie [zu] ergeben“. Und so haben wir diese, verstanden als eine durch rituelle Handlungen und vor allem durch geheimes Wissen bewirkte Beeinflussung von Mensch, Natur und Kosmos, im ethnologischen, historischen, kulturellen, archäologischen, philosophischen und literarischen Kontext zu ergründen versucht.

Zauberbücher, wie etwa jene aus der Leipziger Magica-Sammlung (die europaweit größte Sammlung zauberischer Schriften respektive der Gelehrtenmagie der Frühaufklärungszeit) spielten ebenso eine Rolle wie die Verbindung von Magie und Schamanismus, die Magie im Altertum (Ägypten, Mesopotamien), Magie in Märchen, Sagen, im Wort und in der Literatur, in Wissenschaft und Technik bis hin zu Biografien wie etwa jener des Gelehrtenmagiers Agrippa von Nettesheim. Dabei stellten wir immer wieder die Frage: Was ist Magie? Was macht ihre Faszination aus und warum lohnt es, sich auch unabhängig von mythischen und fantastischen Gestalten wie Medea, Merlin, Gandalf oder Harry Potter mit ihr zu befassen?

Magie spielte und spielt in menschlichen Gesellschaften schon seit Anbeginn eine verbindende Rolle zwischen der diesseits-realen und der jenseits-imaginären Welt. Mit Hilfe von Magie, so glaubte man, ließ sich u. a. das Wetter beeinflussen, nahmen Geburten einen guten Ausgang und wehrte man böse Geister ab, die für Krankheiten, Tod oder jedes andere denkbare Unheil verantwortlich waren. Durch Magie sollte es möglich sein, Liebe in einem anderen Menschen entstehen zu lassen oder das eigene Wohlergehen durch Schutzgeister bzw. Riten zur Erhaltung der Gesundheit abzusichern. Auch phantastische Auswüchse waren nicht selten: „Unsichtbarkeit, Schutz vor Waffen […], Befreiung aus dem Gefängnis […] und übernatürliche Mobilität (Flug in einem Zaubermantel)“, die Entlarvung von Dieben oder Glück bei der Jagd. (Vgl. Frenschkowski, S. 10)

Magie als Garant für das spirituelle, soziale, kulturelle und persönliche Gleichgewicht also? Ein Strukturprinzip, das bis in unsere Gegenwart hinein wirkt? In diesem Zusammenhang sei an dieser Stelle allen magisch Interessierten unbedingt das Buch „Magie: Die verborgenen Grundmuster unseres Denkens und Handelns“ des renommierten Ethnologen Klaus E. Müller anempfohlen. Ein Studie, welche die Wirkmächtigkeit der Magie in allen unseren Lebensbereichen und unter Berücksichtigung historischer, ethnologischer und sozialer Veränderungen untersucht. Magie und Mensch, eine wechselseitige Verbindung, bei der man allzu leicht auf den Gedanken verfallen könnte, dies sei es, was laut Goethe „die Welt im Innersten zusammenhält“. Denn was definitiv zur Zauberei gehört, ist nicht nur Erkenntnis, sondern vor allem auch Wissen. Magier waren zumeist Gelehrte, Spezialisten, Auserwählte. Alle Magie braucht Geheimnis. Und nur Geheimnis gibt der Vorstellung Raum. Nichtsdestotrotz besitzt Magie auch äußerst praktische Aspekte, vielleicht liegt gerade in der Mischung von Fantastik und Alltagstauglichkeit ihr wahres Faszinosum. Eine solche Verbindung findet sich in einem Gegenstand wieder, der bis heute äußerst kontrovers diskutiert wird: der Wünschelrute.

Eine Vorstellung, die man mit der Magie verbindet, ist jene, dass sich mit ihrer Hilfe verborgene Schätze auffinden lassen. Im „Nibelungenlied“ (aus dem 13. Jahrhundert) heißt es vom Hort, dem gewaltigen (unerschöpflichen) und auch fantastischen Schatz, der von Siegfried erworben und von Hagen von Tronje im Rhein versenkt wird: „Ein Wünschelding lag drunter, von Gold ein Rütelein: /wer es hätt erkundet, der möchte Meister sein/ auf der ganzen Erde über jeden Mann“ (Nibelungenlied, 1143, S. 171). Der Vers mutet rätselhaft an. Die Wünschelrute ist Teil des Schatzes (vielleicht sogar das einzige Objekt, um diesen am Ende wieder aufzuspüren?), doch ihre Funktion ist nicht an den Hort gebunden, zumindest deutet nichts im Text darauf hin. Vielmehr ist ihre Wirkweise sehr viel machtvoller, in ihr liegt eine Macht/Magie, die weit über den Wert des Hortes hinausgeht, die fast schon ins Transzendent-Göttliche reicht respektive dem Göttlichen nahekommt: der Einflussnahme (zum Positiven oder Negativen?) auf den Menschen (in der Übersetzung von Bierwisch/Johnson: „Wer sie erprobt hätte, wäre Herr über jeden Menschen in der Welt gewesen“, S. 112). Das erinnert ein wenig an den Elder-Stab aus Harry Potter, den mächtigsten Zauberstab der Welt.

Man kann in dem gesamten Versauszug also sowohl einen Hinweis auf die verborgene Magie der Wünschelrute als auch eine Warnung lesen, dass Schätze in der Regel die menschlichen Gemüter verblenden. Es mag aber auch eine Anspielung auf die antik-paganen Wurzeln sein, die man bei der Wünschelrute zurecht vermuten darf. Allerdings spielt das „Wünschelding“ für das Nibelungenlied im weiteren Verlauf keine Rolle mehr und man darf annehmen, dass es mit dem Hort versenkt wurde. Interessant ist die Erwähnung allemal. Und man darf in guter Was-wäre-wenn-Manier fragen, was geschehen wäre, hätten Hagen, Gunter oder gar Kriemhild um die verborgene zauberische Wirkung gewusst und sie eingesetzt. Doch zurück zum realen Objekt.

Der Begriff „Wünschelrute“ ist bereits im Althochdeutschen bekannt, „wunsciligerta“ (mittelhochdeutsch auch: wünschelruote, wünschelwip, wünschelgerte). Im deutschsprachigen Raum findet man zudem Bezeichnungen wie „Zeigrute“, „Wickelraune“ oder „Brunnenschmecker“. Man kann also davon ausgehen, dass nicht nur der Wortgebrauch das gesamte Mittelalter hindurch präsent war, sondern auch eine praktische Anwendung damit einherging. Der Höhepunkt des Wünschelrutengebrauchs liegt aber vornehmlich im 15. und 16. Jahrhundert, als der Bergbau einen neuen Aufschwung nahm. So waren es denn auch zumeist Bergleute, Brunnenmacher und Schatzgräber, die sich der Wünschelrute bedienten, um das zu finden, was in der Erde bzw. unter Tage lag. Dem Y-förmigen Objekt (meist in Form einer hölzernen Astgabel, später auch ein gebogener Draht) sagte man nach, Erzgänge und Metalladern, vor allem jene mit Gold und Silber, aber auch Wasser aufspüren zu können. Und nicht nur das: Auch Diebe und Mörder sollte eine Wünschelrute offenbaren, da sie der Vorstellung nach „die feinen Atome [anzeigte], die aus dem Körper des Verbrechers ausdämpfen“. Zudem ließen sich mit ihrer Hilfe „verirrtes Vieh, ins Meer versunkene Waren und unbekannte Wege“ finden. (Vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 9, S. 826 f.)

Georgius Agricola De re metallica libri XII, 1556

Nicht nur Real-Verborgenes oder böse Absichten konnte die Wünschelrute also sichtbar machen. Auch zum Wahrsagen wurde sie gebraucht oder um verschlossene Türen zu öffnen. Damit sich ihr magisches Potenzial voll entfaltete, durften die Zweige nur zu einer bestimmten Zeit bzw. in bestimmten Nächten geschnitten werden (z. B. Christnacht, Silvesternacht, Osternacht, Walpurgisnacht oder Johannisnacht), entweder zur Mitternacht, kurz vor dem Morgengrauen, aber auch während eines Neumondes oder zur Mittagsstunde. Häufig „schnitt man sie unter Hersagen bestimmter Gebete, Segen und Beschwörungsformeln“ (Handwörterbuch, S. 833 f.). Doch konnte sie durchaus auch unter Anrufung des Teufels geschnitten werden. „Man darf die Rute nicht mit der bloßen Hand berühren, sondern nur mit einem weißen Tuch, das man um die linke Hand wickelt […] und muß ein neues noch nie gebrauchtes Messer […] oder einen [Feuerstein] verwenden“ (Handwörterbuch, S. 834). Das Ritual konnte regional verschieden durchgeführt werden. Auch über die Personen, welche Wünschelruten schneiden durften, sind grundlegende Anweisungen bekannt, denn nur wenn es sich hierbei um eine unbescholtene und vor allem fest im Glauben verankerte männliche Person handelte, blieb der Vorstellung nach die Kraft des Objekts gewahrt. Eisen und Gold am Körper zu tragen, war während des Schneideaktes zudem tabu.

Wünschelruten konnte aus lebendem Material, in diesem Fall Holz, bestehen bzw. aus unbelebtem Material wie Eisen, Messing oder Fischbein. Beim Holz eigneten sich besonders Tanne, Esche, Weide und Erle, doch am ehesten der (Weiß-)Haselstrauch. Dass der Hasel geheimnisvolle Kräfte zugeschrieben wurden (symbolisch und wohl auch als Nahrungsmittel), reicht bis weit in die Vorzeit zurück. Mit ihr assoziierte man Glück, Unsterblichkeit, die Erfüllung von Wünschen und Fruchtbarkeit. Sie galt sowohl als Symbol des Friedens als auch der Liebe und des Lebens.

One of the forms of the Egyptian Goddess Isis

Auch das Symbol des Stabes besitzt pagane Wurzeln bzw. zumindest pagane Vorbilder. Man denke hier an den Stab des griechischen Gottes Hermes (Hermesstab: altgriechisch: kērýkeion > kēryx „Herold“; lateinisch: caduceus), ursprünglich wohl in der Bedeutung des „Heroldsstabes“, der seinem Träger Immunität und Geleit zusicherte, später ein Symbol des Handels. Unter den göttlich antiken Stabträgern finden sich auch die ägyptische Göttin Isis (Göttin der Magie, Geburt und Wiedergeburt) sowie die römische Göttin Felicitas, der Glück und Fruchtbarkeit zugeschrieben wurden. Laut dem Buch Exodus gebrauchte Moses seinen Stab, um das Rote Meer zu teilen oder Wasser aus einem Felsen fließen zu lassen – ein Stab, der durch Gott magisch aufgeladen wird und sowohl vor dem ägyptischen Pharao als auch vor den versklavten Israeliten zur Wunderdemonstration dienen sollte. „Der HERR sprach zu ihm: Was hast du da in deiner Hand? Er sprach: Einen Stab. Der HERR sprach: Wirf ihn auf die Erde. Und er warf ihn auf die Erde; da ward er zur Schlange und Mose floh vor ihr. Aber der HERR sprach zu ihm: Strecke deine Hand aus und erhasche sie beim Schwanz. Da streckte er seine Hand aus und ergriff sie, und sie ward zum Stab.“ (Ex, 4, 2-4)

Die Antike kennt darüber hinaus die sogenannte Rhabdomantie (Altgriechisch: ῥάβδος, rhabtos > Stab), eine Form der Wahrsagung, bei der es üblich war Stäbe, Stäbchen oder Stöcke (auch Pfeile) zu werfen. Eine weitere Methode bestand darin, die Stäbe aufzustellen, loszulassen und dann zu beobachten, wohin sie fallen. Es erinnert fast ein wenig an das Spiel Mikado, nur dass damit konkrete Fragestellungen verbunden waren, beispielsweise jene, in welche Richtung man reisen sollte, wenn man sich nicht für einen Weg entscheiden konnte. Im Buch Ezechiel macht der König von Babylon Nebukadnezar II. in ähnlicher Weise davon Gebrauch: „Denn der König von Babel wird an der Wegscheide stehen, am Anfang der beiden Wege, um sich wahrsagen zu lassen: Er wirft mit den Pfeilen das Los, befragt seine Götzen und beschaut die Leber.“ (Ez. 21, 26)

Ob und auf welche Weise Wünschelruten in der uns bekannten Form bereits in der Antike bei der Schatzsuche, der Suche nach Wasser oder der Divination zum Einsatz kamen, ist nur zu vermuten, historisch allerdings nicht belegt. Dass Wünschelruten auf Metalle reagieren, stammt ebenfalls erstmals belegbar aus Berichten des 15. und 16. Jahrhunderts. Man könnte darüber spekulieren, dass es zu dieser Zeit einen wahren Wünschelrutenhype gegeben haben mag, denn Martin Luther erwähnt die „virga divinationis“ (die weissagende Rute) 1517 in seiner Schrift über die Auslegung der zehn Gebote (Decem praecepta Wittenbergensi populo praedicta) und sieht darin wie generell in magischen Praktiken einen Verstoß gegen das Erste Gebot.

Im Laufe der folgenden Jahrhunderte versuchte man die Wirksamkeit respektive Unwirksamkeit von Wünschenruten nicht nur mit spirituellen, sondern auch naturwissenschaftlichen Argumenten zu belegen, freilich ohne die Skeptiker je wirklich zu überzeugen. Eine Anweisung zur Herstellung und zum Gebrauch (nebst Abbildung) findet sich übrigens auch unter Cod. Mag 91, Bl. 4v. der Leipziger Magica-Sammlung.

Interessanterweise war es vor allem das 20. Jahrhundert, dass der Wünschelrute wieder zu neuer Popularität verhalf. „Seit Beginn des 20. Jh.s kam sie in Deutschland wieder in Gebrauch zum Aufsuchen unterirdischer Wasser-, Erz- und Salzlager, und die Zahl der Quellenfinder, die heutzutage ihre Dienste in den Zeitungen öffentlich anbieten, ist nicht gering. Der Streit um sie wird mit größter Heftigkeit geführt, und besonders ihre Anhänger suchen ihren Standpunkt mit allem Rüstzeug der Wissenschaft zu verteidigen. Aber eine wissenschaftliche Deutung konnte bisher nicht gegeben werden. Es ist schwer zu sagen, ob die Leistungen der wasserfindenden Wünschelrute ganz ins Reich der Fabel und Mythe oder des Betrugs gehören“. (Handbuch, S. 826) Dabei liefert das Werk von Bächthold-Stäubli und Hoffmann-Krayer einige Seiten später selbst die notwendige Antwort auf den Konflikt: „Der Glaube gehört unbedingt dazu.“ (Handwörterbuch, S. 838) Vielleicht lohnt es also, anstelle des traditionellen Bleigießens an Silvester einmal das Staborakel zu befragen.

In diesem Sinne wünschen wir allen Leserinnen und Lesern einen mythischen Jahresausklang. Haben Sie Dank für Ihre Treue und Ihre Neugierde.

Auf ein spannendes 2023, in dem uns die Magie erhalten bleibt und uns zudem das Thema „Mythos Buch“ begleiten wird.

Ihr Team vom MYTHO-Blog


Literaturhinweise:

Das Nibelungenlied. Reclam, Stuttgart 1999.

Das Nibelungenlied. In Prosa übertragen von Manfred Bierwisch und Uwe Johnson. 6. Aufl. Insel Verlag, Berlin 2021.

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hanns Bächthold-Stäubli/Eduard Hoffmann-Krayer (Hrsg.). Band 9. Waage – Zypresse. Walter de Gruyter: Berlin/New York 1987.

Klaus E. Müller. Magie. Die verborgenen Grundmunster unseres Denkens und Handelns. Dietrich Reimer Verlag: Berlin 2021.

Marco Frenschkowski. Zauberbücher. Die Leipziger Magica-Sammlung im Schatten der Frühaufklärung. Leipziger Universitätsverlag: Leipzig 2019.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

3 Antworten auf „„von golde ein rütelin“ – Über die Wünschelrute“

  1. Danke für diesen erhellenden Artikel zu einer obskuren Sache! Lesetipps: das Gedicht „The Diviner“, der Rutengänger, von Seamus Heaney. Und von Wilhelm Gauger das Buch „Y“ – über das Paranormale und die Literatur, worin es um die Y-Struktur geht, also die Form der Wünschelrute.
    Saluti, Elmar Schenkel

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