Halloween 2.0: Von Geistern und Kürbissen

Oktober. Herbst. In Parks und Wäldern verfärben sich die Blätter der Bäume. Es ist die Zeit der Ernte. Des Drachensteigens. Der Spinnennetze. Des Schmuddelwetters. Der Umstellung der Uhren auf die Winterzeit. Wir sehen und spüren, dass die Tage kürzer werden. Wir ahnen, dass das Jahr zu Ende geht und wir (vielleicht auch darüber hinaus) anfangen, Bilanz zu ziehen: „Eine trübe, kaltfeuchte Wagenspur:/ Das ist die herbstliche Natur./ Sie hat geleuchtet, geduftet, und trug/Ihre Früchte. – Nun, ausgeglichen,/Hat sie vom Kämpfen und Wachsen genug. –/ Scheint’s nicht, als wäre alles Betrug/
Gewesen, was ihr entwichen?!“ (Joachim Ringelnatz, Herbst)

Der Herbst ist auch die Zeit der Feste und Gedenktage. Erntedank (in den USA und Kanada bekannt als Thanksgiving). Oktoberfest. Reformationstag. Allerheiligen. Buß- und Bettag. Martinstag. Totensonntag. Der Herbst ist Ausgleich (mit der Natur) und Besinnung (auf uns selbst und auf unsere Umwelt). Ein besonderes Fest, das in Deutschland seit einigen Jahren vor allem kommerziell beworben wird, sich trotz vieler regionaler Parallelen bislang aber nur schleppend verwurzelt hat, ist Halloween.

Halloween (abgeleitet von „All Hallows‘ Eve“ [altenglisch: hálga > holy], der Tag vor Allerheiligen). Gefeiert am Abend bzw. in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November und daran erkennbar, dass Kinder, verkleidet als Geister, Monster, Skelette oder in allerlei anderer Gestalt, an den Türen klingeln und nach Süßigkeiten fragen. „Trick or Treat“. Frei übersetzt: Süßes oder es gibt Saures. Paganes Erbe und christliches Gedankengut prallen hier aufeinander.

Der Religionsethnologe Sir James George Frazer (1854-1941) sieht in Halloween ein Fest mit keltischen Wurzeln, welches das Kommen des Winters feiert, das Einbringen der Ernte und das Schlachten des Viehs. Er setzt es damit in engen Bezug zu Samhain [ˈsau̯nʲ] oder Samain [’savinʼ], eines der vier großen irisch-keltischen Jahresfeste, das am Tag vor dem 1. November begangen wurde. Dem keltischen Kalender von Coligny aus der gallo-römischen Zeit zufolge markiert der Tag sogar den Beginn des neuen Jahres. Den Mythen nach soll während dieser Zeit das Tor zur Anderswelt offenstehen. Menschen und „jenseitige“ Wesen wie Feen, Zwerge oder Götter können dabei in direkten Kontakt miteinander treten.

Ein weiterer Samhain-/Halloween-Mythos verdankt seine Existenz den  Studien des Intellektuellen und Landvermessers Charles Vallencey (1731-1812). Der Engländer war auf Geheiß des britischen Militärs in Irland stationiert und verfasste dort eine Reihe von Schriften, die sich mit Geschichte, Philosophie und Mythologie des Landes befassten. In der dritten Ausgabe seines Werks Collectanea de Rebus Hibernicis (1786) nimmt Vallencey Bezug auf das Samhainfest, deutet dieses aber nicht als das Ende des Sommers, sondern glaubt, dass es sich bei Samhain um eine keltische Gottheit namens BALSAB (Bal > lord,  SAB > death; Herr des Todes) handelt. Die Hintergründe von Vallenceys‘ Theorie waren und bleiben allerdings  schwammig, denn sie finden in der keltischen Überlieferung keinerlei Entsprechung.

Bekannt hingegen ist der Gott Cromm Cruach („schwarzer Kopf“, auch: Cenn Crúach > „blutiger Kopf“), in der keltischen Mythologie der Gott des Todes und der Hüter der Unterweltssonne, der u. a. in der Vita des Heiligen Patrick erwähnt wird. Sowohl die Psychologin und Autorin Ingeborg Clarus (1917-2003) als auch der Keltologe Helmut Birkhan verweisen darauf, dass Cromm Cruach an Samhain Blutopfer (Erstgeborene von Tieren und auch Menschen) dargebracht worden seien. Vor allem in Jahren von Missernten wandte man sich dem Todesgott umso mehr zu, um die Fruchtbarkeit im neuen Jahr wiederherzustellen bzw. zu gewährleisten.

Die Deutung von Samhain als Geister- und Totenfest ist in der wissenschaftlichen Forschung nicht unumstritten. Laut dem Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens soll es zu diesen Feierlichkeiten nicht nur möglich gewesen sein, den Werdegang des kommenden Winters zu bestimmen, sondern auch einen Blick in die Zukunft – vor allem in Bezug auf Liebesdinge – zu werfen. Kindern, die zu Samhain geboren wurden, sprach man überdies die Fähigkeit zu, Geister zu sehen und mit ihnen kommunizieren zu können.

Seit dem 7. vorchristlichen Jahrhundert wurde an Samhain angeblich auch das „Fest von Tara“, das als eines der ältesten altirischen Versammlungen gilt, begangen. Die Zusammenkunft dauerte drei Tage. U. a. wurden dort Steuern eingetrieben, Kriminelle bestraft oder Verträge beschlossen. Auch reichlich Alkohl soll dabei geflossen sein. Am Tag vor Samhain löschte man zudem alle Herdfeuer. Die Druiden entzündeten dann in der Nacht große Lagerfeuer, die Samhain-Feuer, denen man besondere Kräfte zuschrieb. Gegen Entrichtung eines Entgelts konnte jeder „Haushalt“ an diesen Kräften teilhaben, und auf spirituelle Weise die Furcht vor dem Winter und der Dunkelheit mildern.

Wie aber wurde aus Samhain nun Halloween? Irische Einwanderer brachten ihre Bräuche im 19. Jahrhundert aus der katholischen Heimat mit in die USA und Kanada, wo sie sie pflegten und intensivierten. Halloween entwickelte sich schon bald zu einem wichtigen Volksfest. Und obwohl die Nacht vor Allerheiligen auch in Europa (in protestantischen Gegenden überformt durch den Reformationstag) nie völlig in Vergessenheit geraten ist, beobachtet man seit den 1930er Jahren eine rückläufige „Halloweenisierung“, ausgehend von Nordamerika, die bis heute anhält.

Ein besonderes Markenzeichen von Halloween (u. a. neben Scarecrow, der Vogelscheuche) soll an dieser Stelle natürlich nicht unerwähnt bleiben: Es handelt sich um den Kürbis. Ausgehöhlt und mit mehr oder weniger gruselig zurechtgeschnittenen Gesichtern versehen, soll er Geister abschrecken und als Laterne dienen. In Bezug zu den christlichen Festen Allerheiligen und Allerseelen werden die Kürbislichter häufig auch als Grablichter gedeutet, die den Verstorbenen leuchten.

Der Halloweenkürbis ist also einerseits ein Symbol für den Erntedank, andererseits steht er für die Erhaltung von Licht und Wärme in der hereinbrechenden dunklen Jahreszeit. In Teilen Deutschlands (u. a. in Schwaben, Baden-Württemberg, Thüringen, Oberlausitz oder im Westerwald), der Schweiz und Östereichs kennt man stattdessen das sogenannte Rübengeistern. Auch hier werden Herbstrüben ausgehölt, verziert (je dämonischer desto besser) und mit einem Licht (meistens einer Kerze) ausgestattet. Von Region zu Region unterschiedlich ziehen Kinder mit den beleuchteten Rüben durch die Straßen oder stellen diese vor die Häuser.

Der Halloweenkürbis selbst besitzt indes noch eine ganz eigene Geschichte. Ähnlich wie die Bezüge zu Samhain basiert auch diese auf irischen Wurzeln. Sie handelt vom Hufschmied und Tunichtgut Jack O’Latern (Jack mit der Laterne) oder Jack Oldfield, der geizig und trunksüchtig war. Am Abend des 31. Oktober saß er in einem Wirtshaus und begegnete dort dem Teufel, der es auf seine Seele abgesehen hatte. Doch gelang es Jack, den Herrn der Hölle zu überlisten. Als Gegenleistung für einen letzten Drink, so sagte er, könne der Teufel seine Seele haben. Da der Teufel aber kein Geld bei sich trug, verwandelte er sich in eine Münze, um den Wirt zu bezahlen. Jack nahm die Münze an sich und verschloss sie in seiner Tasche, wo er auch sein Kreuz aufbewahrte. So konnte der Teufel sich nicht zurückverwandeln und ging mit Jack den Deal ein, dass dessen Seele noch 10 Jahre frei sein durfte.

Nachdem die vereinbarte Zeit abgelaufen war, kam der Teufel, abermals an Halloween, zu Jack. Und wieder gelang diesem eine List, die dazu führte, dass der Teufel versprechen musste, ihn und seine Seele auf ewig in Frieden zu lassen. Als Jack nach seinem Tod an der Himmelpforte klopfte, verweigerte man ihm den Einlass mit der Begründung, dass er nie ein braver Mann gewesen sei. Daraufhin ging er zur Hölle, aber auch dort verwehrte man ihm den Eintritt, da der Teufel ja an sein Versprechen gebunden war. So stand Jack nun zwischen Hölle und Himmel. Da hatte der Teufel Mitleid mit ihm und schenkte Jack ein Stück Höllenkohle. Jack stopfte die Kohle in eine Rübe und wandelte fortan als verdammte Seele zu Halloween durch die Lande.

Die Geschichte von Jack O’Lantern wurde so umgedeutet, dass ein beleuchteter Kürbis oder eine Rübe dazu in der Lage seien, Geister, Dämonen und sogar den Teufel fernzuhalten. Im englischen Dorf Hinton St. George (Somerset) hat sich, angelehnt an die Legende vom Jack mit der Laterne, eine Tradition etabliert, die sich „Punkie Night“ nennt. Diese findet immer am letzten Donnerstag im Oktober statt, unabhängig davon, ob der Tag auf Halloween fällt oder nicht. „Punkie“ ist der lokale Name für Jack O’Lantern, ob er vom Wort „pumpkin“ (Kürbis) abgeleitet ist, bleibt aber Spekulation. Zur „Punkie Night“ werden Kürbisse oder Futterrüben mit Lichtern versehen. Die besten erhalten eine Prämie. Außerdem gibt es einen Umzug, zu dem die Kinder den „Punkie Night Song“ singen, einen Kinderreim, in dem sich die Wurzeln von Halloween wunderbar widerspiegeln:

It’s Punkie Night tonight,
It’s Punkie Night tonight,
Give us a candle, give us a light,
If you don’t you’ll get a fright.

It’s Punkie Night tonight,
It’s Punkie Night tonight,
Adam and Eve wouldn’t believe
It’s Punkie Night tonight.

Von allen Festtagen im Jahr ist Halloween das schaurigste, hintergründigste und missverstandenste von allen. Vielleicht weil es uns mit an das Vergehen erinnert, das dem Werden des Frühlings und des Lebens zwangsläufig folgen muss. Vielleicht auch, weil es uns mit unseren Ängsten konfrontiert. Und vielleicht hilft dagegen nur eines: einen Kürbis zu schnitzen und ein Licht anzuzünden.

Ein Beitrag von Dr. Constance Timm

Literaturhinweise:

Helmut Birkhan: Kelten. Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur. Wien 1997.

Ingeborg Clarus: Die keltischen Mythen. Der Mensch und seine Anderswelt. Freiburg 1991.

James G. Frazer: The Golden Bough. A Study in Magic and Religion. Oxford University Press 2009.

Lisa Morton: trick or treat. a history of halloween. London 2017.

©  Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.