Von Bildern und Mythen: Die schaffende Galatea

Die Ausstellung „Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen„, die in der Kunsthalle „Talstrasse“ in Halle (Saale) zwischen dem 13. Juli und dem 13. Oktober 2019 zu sehen war, wurde als Antwort auf heutige Geschlechterkonflikte im Rahmen der letzten 100 Jahre konzipiert.

Dorothea Maetzel-Johannsen, Das kranke Mädchen, 1919, Öl auf Leinwand, Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Schleswig

In der Weimarer Republik wurde Frauen im Jahr 1919 nicht nur das Wahlrecht verliehen, sondern sie wurden auch erstmals in der Geschichte für staatliche Kunstschulen und Akademien zugelassen. Um diese Freiheit zu feiern sowie als Kritik zu gesellschaftlichen Idealen und manchmal auch Einschränkungen der Weiblichkeit, stellte die Ausstellung über 80 Porträts von Frauen, geschaffen von Frauen, aus. Damit geben sie der facettenreichen Natur der Weiblichkeit eine Stimme und thematisieren, was es heißt eine Frau zu sein. Mittels Malerei, Skulpturen, Fotos und anderen Medien fordern die Künstlerinnen die Beziehung von Frauen mit häufig dargestellt Themen der Weiblichkeit haben, heraus: Schönheit (Dorothea Maetzel-Johannsen- „Das kranke Mädchen„; [1919] oder Jeanne Mammen-„Frau mit spitzer Nase und Krawatte“ [1935-1940]) , Mutterschaft (Susanne Kandt-Horn „Am Abend“ [1974]), und Mythologie (Johanna Schütz-Wolffs „Frau“ [1925]; Käthe Kollwitz „Der Aufbruch“ [1902]). Sie geben diesen Themen eine dezidiert weibliche Perspektive und eine Eigenständigkeit der es früheren Darstellungen fehlte. Weiterhin tauchen die Künstlerinnen in die Themen der Beziehungen ein, und stellen die Beziehung von Frauen zu sich selbst, sowie mit Zeitgenossen als auch gesellschaftlichen Erwartungen, heraus.

Susanne Kandt-Horn, Am Abend, 1974, Öl auf Hartfaser, Privatbesitz © Nachlass Kandt-Horn

Das vielleicht deutlichste diese Beziehungen thematisierende Werk ist Annemirl Bauers „Alibi-Frau mit eingeschlossenem selbst„- (1980er Jahre). Bauer stellt eine blonde Frau in einem grün-pinken Blumenkleid gemeinsam mit einer düsteren, verschrumpelten, schreienden und eingeschlossenen ‘inneren’ Frau dar. Das Bild erinnert stilistisch an Picasso und ist vielleicht durch Bauers Wahl des Gesamtgefüges und der Platzierung der Gesichtszüge inspiriert. Die Farbwahl der Haut ist in verschiedenen Blautönen gehalten, wobei für die äußere Frau hellblau gewählt wurde, und die innere Frau in dunkelblau mit Hervorhebungen und Verzerrung noch dunklerer Töne gestaltet ist. Dieses suggeriert innere Aufruhr, die auf den Betrachter beunruhigend wirkt. Das Werk weckt Empathie von jenen, die Teile ihres Selbst verschlossen halten, da sie Angst davor haben, von für sie wichtigen Menschen missverstanden, verunglimpft oder ausgeschlossen zu werden.

Ein faszinierendes Beispiel für zwischenmenschliche Beziehungen war Johanna Schütz-Wolffs „Unterhaltung“ (1950).  In diesem Holzschnitt werden zwei Frauen gezeigt, die zusammen stehen, aber in die gleiche Richtung schauen, als ob sie etwas außerhalb des Blickfeldes des Betrachters sehen würden. Die beiden Köpfe und ihre Arme sind deutlich voneinander getrennt, aber ihre Körper sind so eng beieinander, dass eine Unterscheidung kaum möglich ist. Die Frau im Vordergrund hat ihren Körper teilweise von der Frau in Hintergrund umschlossen, während ihre Hände verschlungen sind. Die Intensität der Intimität und des Vertrauens zwischen den beiden ist unbestreitbar, aber die genaue Art ihrer Beziehung ist nicht offensichtlich; dadurch wird der Betrachter herausgefordert, eigene Vorstellungen von Beziehungen und äußere Ausdrucksformen der Intimität zu hinterfragen.

Johanna Schütz-Wolf, Unterhaltung, 1950, Farbholzschnitt von zwei Platten auf Japanpapier, Nachlass Johanna Schütz-Wolf

Eine weitere Erkundung des Beziehungsthemas, das sowohl die Beziehung der Frau zu anderen einbezieht, als auch ein ergreifendes Bild von sozialen Erwartungen darstellt, ist Herta Günthers „Masken“ (1972). Das Werk porträtiert mehrere Frauen, die scheinbar in eine Unterhaltung verwickelt sind. Eine der Frauen blickt den Betrachter direkt an und trägt eine den anderen Frauen zugewandte Maske. Durch diese wird jedoch nur ein Teil ihres Gesichtes für den Betrachter sichtbar. Die offensichtliche Ähnlichkeit ihrer Maske und den Gesichtern der anderen Frauen zwingt den Betrachter sich zu fragen, ob nur diese Frau eine Maske zur Anpassung trägt, oder ob die anderen Frauen auch eine Maske tragen. Die Antwort hierauf ist nicht offensichtlich, sondern inspiriert den Betrachter hierüber nachzudenken.

Herta Günther, Masken, 1972, Farbradierung, Sammlung Günther, Hale (Saale), Foto: Olaf  Martens

Auf mythologische Ideale beziehen sich zwei Werke, die sich der bereits erwähnten Herausforderung der Darstellung mythologischer Frauen als schöne Göttin (Aphrodite), sexuelle Wesen (Nymphen), pure und unschuldige Schönheit (Galatea), oder furchteinflößendes Wesen (Medusa) annehmen. Johanna Schütz-Wolffs „Frau“ (1925) stellt eine einzeln für sich sitzende Frau dar. Ihre runden, mondartigen Züge, in einfachem Schwarz-Weiss dargestellt, erinnern an die ruhige Gelassenheit des Buddhas, der nach der Erlangung der Erleuchtung alleine unter dem Bodhi-Baum sitzt. Auf der anderen Seite des Spektrums befindet sich das Werk „Losbruch“ von Käthe Kollwitz, das eine Frau darstellt, die eine Gruppe Bauern zu einem Ansturm anstachelt. Das Thema ist weder monströs oder schrecklich, noch ist die Frau idealisiert, wie man es in der Darstellung der Freiheit als barbrüstige, die französischen Revolutionäre anführende Frau (Eugene Delacroix, „Die Freiheit führt das Volk an„, 1830) sieht. Stattdessen ist sie dem Betrachter abgewandt und vollständig in der Handlung, die sich vor ihr entfaltet, versunken. Ihr schwarzer und leicht gekrümmter Körper und die ausgestreckten Arme sind von roher Emotion und Kraft erfüllt, und erinnern an eine zum Flug ansetzende Krähe. Wenig überraschend ist die Krähe in der irischen keltischen Mythologie als Badh, eine der drei Schwestern der irischen keltischen Königin der Schlachten Morrigan bekannt (Ellis, 1999, S. 24). 

Käthe Kollwitz „Losbruch“. 1921

Die Ausstellung mit ihrer Sammlung weiblicher Darstellung in der Vielzahl ihrer Formen war ein anregender und sehr passender Rahmen für den den Vortrag „Galatea emanzipiert sich. Metamorphosen eines Mythos! von Christoph Sorger, in dem er die lange Geschichte von Pygmalion’s perfekter Repräsentation weiblicher Schönheit und Reinheit thematisiert. Dieser schafft eine elfenbeinerne Statue, die durch sein Gebet an Aphrodite, sie wirklich werden lassen, zu Leben erwacht. Diese Geschichte wurde erstmals durch den römischen Dichter Ovid (43 – 18 v. Chr.) im 10. Buch seiner Metamorphose erzählt. In Ovids Erzählung und allen Nacherzählungen bis zur Renaissance liegt der Fokus ausschließlich auf dem Künstler Pygmalion, und nicht seiner Schöpfung. Obwohl ihr Leben gegeben wird und sie die Rolle seiner Frau antritt, hat sie keine Handlungsfähigkeit, keine eigene Stimme und, am verwunderlichsten, keinen Namen. Pygmalions Schöpfung bleibt bis zum 18. Jahrhundert, bis zur Aufklärung, namenlos, als Philosophen und Autoren ihr einen Geist, einen Namen und eine Seele geben. In seiner Geschichte Pygmalion und Elise (1747) nannte der Schweizer Philologe und Autor Johann Jakob Bodmer (1698 – 1783) sie Elise. Es war jedoch Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) der ihr in seinem Melodrama Pygmalion dazu verhalf, international Fuß zu fassen. Er nannte sie Galatea, und seitdem war sie unter diesem Namen bekannt. Die vermutlich bekannteste Version der Geschichte von Galatea ist My Fair Lady (1956) von Frederick Loewe und Alan J. Lerner, ein auf George Bernard Shaws Theaterstück Pygmalion (1913) basierendes Musical. Shaw, der dabei vermutlich an Bodmer dachte, benannte sie in Eliza Doolitte um. Aus der statischen Skulptur wurde eine lebhafte junge Frau, die einen eigenen Charakter und eine Stimme hat, und ihre Meinung häufig kundtut. Wie Eliza haben die Künstlerinnen, die in dieser Ausstellung präsentiert wurden, ihre eigene Handlungsmacht ergriffen. Sie sind nicht mehr das Bildnis, das darauf wartet real zu werden, sondern die Bildschaffenden, die Schönheit und die Verortung von Frauen in der Welt neu definieren. Wie der Titel des Vortrags angemessen suggeriert, hat sich Galatea nun wahrlich emanzipiert.

Ein Beitrag von Colleen Nichols

Literaturhinweis:

Peter Ellis. The Chronicles of the Celts. London: Robinson Publishing, 1999.

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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