Die Deutschen, und nicht sie allein, besitzen die Gabe, die Wissenschaft unzugänglich zu machen. – Johann Wolfgang von Goethe
Vor weit mehr als 100 Jahren verkündete Werner von Siemens in Berlin, „das naturwissenschaftliche Zeitalter“ habe begonnen, denn „die bis dahin nur im abgeschlossenen Kreise der Fachgelehrten betriebenen Naturwissenschaften seien nun dem öffentlichen Leben zugänglich und dadurch dienstbar.“ Der Industrielle glaubte also nicht nur an die Nutzbarkeit von Wissenschaft, sondern auch an ein allgemeines Verständnis für sie, und er träumte von solch einer Kulturentwicklung der Menschen. Nun hat Siemens zwar in dem ersten Punkt recht behalten, wie die heutige Größe des Unternehmens zeigt, das seinen Namen trägt, doch ansonsten tippte er daneben. Viele Beobachter haben nämlich den Eindruck, dass wir von den Lehren der Wissenschaft heute weiter entfernt sind, als es die mittelalterlichen Bauern von der Theologie ihrer Jahre waren.
Der amerikanische Physiker Morris Shamos hat sogar vom Mythos des wissenschaftlichen Alphabetentums gesprochen und es ein Märchen genannt, wenn von einem öffentlichen Verständnis der Wissenschaft geredet wird. Dabei bemüht man sich schon seit Jahren in England und den USA amtlich um ein „public understanding of science“, was heißt, dass man hier Lehrstühle unter diesem Titel geschaffen hat, um die Wissenschaft so zugänglich und akzeptabel zu machen, wie Siemens sie schon im letzten Jahrhundert einschätzte. Natürlich gibt es auch hierzulande viele Bemühungen – etwa im Fernsehen oder in der FAZ –, über Fortschritte der Wissenschaft zu berichten. Aber allen Erklärungen zum Trotz – ein „public understanding“ will sich bei uns nicht so recht einstellen und man sollte beginnen, das dazugehörige „public misunderstanding“ zu untersuchen.
Was ist da zu tun? Offenbar haben die alten Wege des Wissenschaftsjournalismus, auf denen zumeist nur eine privilegierte und bereits interessierte Klientel bedient wird, nicht gefruchtet. Neue Ideen braucht die Zunft, die selbst über so viele Innovationen berichten muss. In dem Fall lohnt meist ein Blick in die Geschichte. Die Frage, was einem Verständnis der Wissenschaft fehlt, hat zum Beispiel Egon Friedell in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit beantwortet. Es heißt da: „Mit einer ganzen Milchstraße, die der Rationalismus in Atome aufgelöst hat, können wir nichts anfangen; aber mit einem pausbäckigen Engel und einem bockfüßigen Teufel, an den wir von Herzen glauben, können wir sehr viel anfangen.“
Tatsächlich lassen rationale Erklärungen die meisten Menschen kalt. Wissenschaft muss sinnlich zugänglich werden, und das heißt, sie muss eine wahrnehmbare Form bekommen. Ein „public understanding“, die ein echtes Verstehen meint und der ein oberflächliches Verständnis nicht ausreicht, gelingt nur über die Gestaltung von Wissenschaft, die als eigenständige Tätigkeit zwischen den Forschern und der Öffentlichkeit vermittelt. Arbeit für Wissenschaftsgestalter gibt es genug. Was fehlt, sind Studiengänge und Arbeitsplätze. Vielleicht kann (ein) Siemens sie schaffen.
Natürlich besteht allerorten Einigkeit darüber, dass die Zugänglichkeit der Wissenschaft für die Öffentlichkeit und das allgemeine Verständnis für die wissenschaftliche Vorgehensweise bei der Lösung individueller und gesellschaftlicher Probleme verbessert werden muss. Die Gründe dafür liegen zum einen in der entscheidenden Bedeutung der Wissenschaft für eine lebenswerte Zukunft unserer Gesellschaft und zum anderen in der Tatsache, dass Wissenschaft einen Wesenszug abendländischer Menschen zum Ausdruck bringt und untrennbarer Teil ihrer Kultur und ihres Wirtschaftens ist.
Die moderne Wissenschaft ist im Europa des 17. Jahrhunderts entstanden. Sie hat nicht nur entscheidend das Weltbild der hier beheimateten Menschen geprägt, sondern darüber hinaus den hier entstehenden Staaten die Möglichkeiten zur Industrialisierung und damit zur Schaffung von Wohlstand gegeben. Wer verstehen will, wie sich die moderne Lebensweise unseres Kulturkreises herausgebildet hat, kann dies nur tun, wenn er ein Verständnis für Wissenschaft hat. Ohne dieses Verständnis bleibt den Menschen nicht nur ihre Vergangenheit fremd. Ohne dieses Verständnis wird es den Menschen zudem kaum möglich sein, Vertrauen in die jeweils gegenwärtigen Wissenschaft zu fassen, deren Macht sie täglich spüren und erleben. Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, die Wissenschaft wie einen fremden und unheimlichen Gott zu behandeln, dessen Wirken und Werken man scheinbar hilflos ausgeliefert ist. Wir wissen, dass Zukunft Wissenschaft braucht, und deshalb muss Wissenschaft verstanden werden. Es muss aber auch verstanden werden, dass die Aufgabe der Vermittlung von Wissenschaft nicht nur genauso wichtig, sondern auch genauso schwierig ist wie das Voranbringen der Wissenschaft selbst.
Wenn hier von „Wissenschaft“ geredet wird, dann sind vor allem die Naturwissenschaften gemeint. Ihnen gegenüberstehen zum einen die als „Geisteswissenschaften“ zusammengefassten Bemühungen um die schönen Künste, die Philosophie und die Theologie und zum zweiten die „Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“, die historische, politische, soziologische, ökonomische, durch Medien vermittelte und andere Aspekte der Wirklichkeit erfassen. Trotz dieser Fächervielfalt meint das „Verständnis für Wissenschaft“ vor allem „Verständnis für die Naturwissenschaften“, da es die unter diesem Begriff zusammengefassten Disziplinen wie Physik, Biologie und Chemie sind, die sich unmittelbar im Alltag auswirken und deshalb von der Öffentlichkeit verstanden werden sollten.
Wer sich zum Ziel setzt, das Verständnis für die Wissenschaft zu verbessern, ist wahrscheinlich gut beraten, auf die Abtrennung der oben genannten anderen Bereiche der Geistes- und Sozialwissenschaften zu achten, denn obwohl die Gegenwart, in der wir leben, nur als Gegenwart einer durch wissenschaftliche Entwicklungen ermöglichten Industriegesellschaft verstanden werden kann, sind die geistes- und sozialwissenschaftlichen Institute unserer Universitäten weit davon entfernt, diese Realität zu ihrem Thema zu machen und ernst zu nehmen. Das öffentliche Unverständnis für Wissenschaft beginnt vielleicht auf dieser Ebene – es wird ganz sicher von dieser Position aus verstärkt –, und die Trennung der zwei (oder drei) Kulturen, die seit längerem beklagt wird, ist noch lange nicht überwunden. Es würde der Wissenschaft für die Zukunft sehr helfen, wenn sie an ihrer Seite eine geistes- und sozialwissenschaftliche Begleitforschung wüsste, die sich Gedanken über die gesellschaftliche Akzeptanz von wissenschaftlich-technischen Neuerungen (industriellen Innovationen) gemacht hat und entsprechende Orientierung geben kann. Auf die große Aufgabe der Universitäten, den Begriff der universitas mit Leben zu füllen und den Dreiklang von Alexander von Humboldt aus „Wissenschaft, Kunst und Humanität“ wieder hören zu lassen, kann hier nur hingewiesen werden.
Der Einfluss der Wissenschaft auf gesellschaftliche Entwicklungen ist im 20. Jahrhundert zunehmend deutlich zu spüren und bis in den Alltag hinein nachzuweisen – als Stichworte sind unter anderem die Informations- und die Biotechnologie zu nennen –, wobei es verschiedene Einstellungen der öffentlichen Meinung dazu gegeben hat. Die Unterschiede sind besonders in jüngster Zeit deutlich hervorgetreten, als zum Beispiel den wissenschaftsgläubigen sechziger Jahren, die sich am technischen Fortschritt orientierten und vor allem seine Vorteile betonten, die wissenschaftskritischen siebziger Jahren folgten, die dem Fortschritt skeptisch gegenüberstanden und verstärkt seine Risiken aufzählten.
Damals tauchte in Deutschland der Wunsch auf, ein Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen in der wissenschaftlich-technischen Welt zu gründen, um einen Ort der Verständigung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu schaffen. Tatsächlich hat die Max-Planck-Gesellschaft solch ein Institut unter der Leitung von Carl Friedrich von Weizsäcker eingerichtet, es dann aber 1980 „unter fadenscheinigen Gründen“ wieder geschlossen. Der Vorschlag von Klaus Michael Meyer-Abich, die Aufgabe dieses Instituts durch eine Akademie zur Erforschung der Lebensbedingungen in der wissenschaftlich-technischen Welt übernehmen zu lassen, hat bislang nur wenig Reaktionen hervorgebracht, da sich das wissenschaftspolitische Interesse auf das Bemühen um Technikfolgenabschätzungen konzentrierte. Man sollte überlegen, ob es für ein Verständnis der Wissenschaft nicht besser wäre, wenn mehr die Fragestellungen der Wissenschaft und ihre möglichen Ziele – eben in einer Akademie zur Erforschung der Lebensbedingungen – diskutiert und weniger die Folgen von Entdeckungen kritisiert würden, die im öffentlichen Bewusstsein immer dann besonders stark die Aufmerksamkeit beanspruchen, wenn sie Schäden und Gefahren in ihrem Gefolge haben.
Als die Max-Planck-Gesellschaft das oben erwähnte Institut schloss, unternahm vor allem in England und den USA die Bewegung erste Schritte, die seit den achtziger Jahren als „public understanding of science“ bezeichnet und aktiv betrieben wird. Sie gibt inzwischen nicht nur eine eigene Zeitung (mit diesem Titel) heraus, sie verschafft sich darüber hinaus auch durch zwei Lehrstühle (in London und Oxford) Gehör, und sie macht sich auf großen wissenschaftlichen Konferenzen – wie etwa den Jahrestreffen der AAAS (American Association for the Advancement of Science) – bemerkbar und wird als Teil der Wissenschaft in ihren Auftrag eingebunden. „Science in Public“ oder „Scientific Literacy“ sind im angelsächsischen Sprachraum längst Thema von umfangreichen Büchern geworden. Sie untersuchen dabei aber nicht nur Fragen von „Communication, Culture, and Credibility“, und sie beschränken sich auch nicht allein darauf, Wege zur Vermittlung von Wissenschaft vorzustellen. Sie machen vielmehr zum Teil unmissverständlich deutlich, dass man sich davor hüten sollte, davon zu sprechen, dass „public understanding“ schon existieren würde. Sie betonen vielmehr, dass derjenige einer romantischen Träumerei unterliegt, der annimmt, es gäbe heute schon so etwas wie ein wissenschaftliches Alphabetentum der Menschen in westlichen Gesellschaften.
Die Vermutung, dass die meisten Menschen der westlichen Welt wissenschaftliche Analphabeten sind, wird in allen Umfragen, die zu diesem Zweck durchgeführt werden, bestätigt. Kritisch könnte an dieser Stelle der Einwand erhoben werden, dass niemand sagen kann, ob die Fragen und Antworten, die in diesem Zusammenhang gestellt und gegeben werden, etwas über ein Verständnis für Wissenschaft aussagen. Versteht derjenige Wissenschaft, der richtig antwortet, dass Atome größer sind als Elektronen? Versteht diejenige Wissenschaft, die korrekt wiedergibt, dass Antibiotika nicht gegen Viren wirken? Es braucht nicht betont zu werden, dass auch an dieser Stelle eine Instanz fehlt, die Auskunft geben könnte. Deshalb wird das wissenschaftliche Analphabetentum noch lange mit der westlichen Gesellschaft sein.
Beim Studium der angelsächsischen Literatur fällt immer wieder der Hinweis auf einen Aspekt auf, der mehr Aufmerksamkeit verdient, wenn es um ein Verständnis der Wissenschaft geht und der in zwei Zitaten vorgestellt werden soll. Der erste britische „Professor for the public understanding of science“, der in London am Science Museum residierende John Durant, hat die Frage, was die Öffentlichkeit in dieser Hinsicht wirklich braucht, kürzlich einmal wie folgt zusammenfassend beantwortet:
„The public needs more than factual knowledge, and it needs more than idealistic images of ´the scientific attitude´ and ´the scientific method´. What it needs, surely, is a feel for the way that the social system of science actually works to deliver what is usually reliable knowledge of the natural world.“ Und der amerikanische Physiker Morris Shamos hat dargestellt, welches Ziel das Bemühen um wissenschaftliches Alphabetentum in der Gesellschaft haben könnte, nämlich: „What we seek is a society that (a) is aware of how and why the scientific enterprise works and its own role in that activity, and (b) feels more comfortable than it presently does with science and technology.“
Es ist keine Frage, dass in den zitierten Sätzen wesentliche Aspekte des „public understanding“ angesprochen werden, wobei das entscheidende Wort „das Gefühl“ heißt. Es ist nämlich immer auch das Gefühl, mit dem all die verschiedenen Öffentlichkeiten, die sich definieren lassen – also die Menschen, die sie jeweils ausmachen –, auf die Wissenschaft reagiert. Dies gilt unter anderem, wenn mit Gefühl die emotionale Gewissheit gemeint ist, dass den rationalen Erklärungen, die von der Wissenschaft etwa in Hinblick auf ökologische Themen und ihren komplexen Hintergrund angeboten werden, etwas fehlt bzw. unbefriedigend bleibt, selbst wenn sie dem Verstand noch so einleuchtend erscheinen. Das Gefühl anzusprechen, darf als Teil der Bemühungen um ein „public understanding“ nicht vernachlässigt werden, weil sich die Öffentlichkeit zum einen mit der Wissenschaft wohl fühlen sollte, und weil die Tätigkeit der Forscher zum zweiten gerade auch mit diesem Teil unserer Wahrnehmungsfähigkeit erfasst und beurteilt werden kann. Wenn man die Definition der Psychologie zugrunde legt, der zufolge das Gefühl die Fähigkeit von Menschen ist, den Wert einer Sache zu erkennen, dann lässt sich ein Aspekt des „public understanding of science“ dadurch übersetzen, dass es darum geht, die Menschen in die Lage zu versetzen, Mitgefühl für die Wissenschaft zu entwickeln und somit zu lernen, Wissenschaft zu ihrer eigenen Sache zu machen. Solange Wissenschaft für die Öffentlichkeit äußerlich bleibt – hier könnte das Stichwort vom Elfenbeinturm erwähnt werden -, solange kann es kein „public understanding of science“ geben.
Unabhängig vom dem erwähnten Aspekt des Gefühls muss das Bemühen um ein „public understanding of science“ einige Missverständnisse beseitigen, die in Hinblick auf die Wissenschaft bestehen, und sie muss auch unumwunden auf Mängel und Schwächen von Forschern hinweisen. So ist zum Beispiel im Rahmen ethischer Debatten deutlich geworden, dass sich die meisten Wissenschaftler nur wenig oder wenig klare Gedanken über die Folgen ihres Tuns gemacht haben und viele dies nicht einmal können (und folglich Hilfe brauchen). Und eine weitere große Lücke in der Berichterstattung über die Forschung erkennt man darin, dass jegliches Scheitern versteckt wird und man der Öffentlichkeit vorgaukelt, sämtliche Forschungsvorhaben führten letztlich an das vorgegebene Ziel.
Zu den unentschuldbaren Irrtümern, denen Forscher selbst allzu oft unterliegen, gehört die Annahme, dass es so etwas wie die wissenschaftliche Methode gibt. „The notion of the hypothesis-test-verification/falsification strategy of research is a myth“, wie nicht deutlich genug betont werden kann. Es gehört weiter zu den verbreiteten Irrtümern über die Fähigkeiten der Wissenschaft, dass man annimmt, die in ihrem Rahmen gestellten Probleme könnten in absehbarer Zeit endgültig gelöst werden. Vor allem in populären Büchern der sechziger Jahre wurde der Gedanke befördert, dass – um beliebige Beispiele zu nennen – die Forscher zwar im Augenblick noch keine vollständige Theorie der Quasare, von Krebs, vom Klimawandel, von den Genen o.ä. haben, dass es aber nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es soweit ist und die Wissenschaft die Wahrheit weiß. Diese vorgespielte Sicherheit der Wissenschaft musste in den siebziger Jahren, als Politiker hämisch aus vielen sich widersprechenden wissenschaftlichen Gutachten zitierten (und deren Käuflichkeit betonten), zu einem fast völligen „misunderstanding“ der Wissenschaft und ihrer Möglichkeiten führen, was logisch die nachfolgende öffentliche Abwendung zur Folge hatte.
Wissenschaft liefert eben nicht die Wahrheit, sondern stellt eine methodisch orientierte und nachvollziehbare Weise des Vorgehens dar, bei der zuletzt unter den erschwerten Bedingungen des Experiments verlässliche Angaben über die Wirklichkeit zustande kommen. Die Relevanz der entsprechenden Auskünfte bzw. ihr Gültigkeitsbereich kann aber nur dann verstanden werden, wenn es zuvor ein Verständnis der angewandten Methoden (und ihrer Grenzen) gibt. Zu einem „public understanding of science“ gehört auch der Hinweis auf den Missbrauch, der mit der Wissenschaft getrieben worden ist und werden kann – entweder durch Ideologien, die zum Beispiel von sich behaupten, einen „wissenschaftlichen Sozialismus“ zu praktizieren, oder von einzelnen Forschern, die schon mit allergeringsten Kenntnissen über die Gesetze der Vererbung behaupten, sie wüssten, wie Eugenik möglich und warum sie nötig sei und sich sogar entsprechend willig den Machthabern zur Verfügung stellen.
Auf der rein sachlichen Seite gehört zu einem Verständnis für Wissenschaft auch der Hinweis, dass es äußerst anstrengend sein kann, einige ihrer Grundgedanken verstehen oder nachvollziehen zu wollen, selbst wenn sie sehr vereinfacht dargestellt werden. Es ist zum Beispiel Unsinn, so etwas wie eine „anschauliche und leicht verständliche Quantentheorie“ oder Erklärungen komplexer ökologischer Zusammenhänge zu versprechen, die zugleich einfach, einleuchtend und zutreffend sind. Die großen Theorien der Wissenschaft (zum Beispiel die der Relativität) widersprechen eklatant dem gesunden Menschenverstand. Sie beleidigen den Common Sense, und die Annahme hat sich als Irrtum erwiesen, dass man nur eine Generation warten müsse, bis die mit der Relativitätstheorie verbundenen Raum- und Zeitvorstellungen so in der Schule vermittelt werden können wie die der Euklidischen Geometrie. Wissenschaftliche Ergebnisse sind nur da einfach verständlich, wo ihre Wiedergabe allein deskriptiv gelingt, und das heißt, Wissenschaft wird dort einfach, wo es keine Theorie gibt – wobei die Frage auftaucht, ob von Wissenschaft im eigentlichen Sinne geredet werden, wenn dies der Fall ist. Die Einsicht, dass Molekularbiologie und Biotechnologie dazu gehören und bestenfalls Ingenieurwissenschaften (ohne Theorie) darstellen, fällt selbst praktizierenden Forscher schwer, was die Aufgabe, ein „public understanding of science“ zu erreichen, nicht leichter macht. (Dass es keinerlei Theorie der Wissenschaftsvermittlung gibt, sei hier wenigstens in Klammern angemerkt.)
Ein öffentliches Verständnis für Wissenschaft ist zugleich dringend nötig und äußerst mangelhaft entwickelt. Dies gilt nicht nur für Großbritannien und die USA, dies trifft wahrscheinlich erst recht für Deutschland zu, und diese Einsicht ist eine Herausforderung sowohl für die Betreiber von Wissenschaft (die Wissenschaftler und ihre Institutionen) als auch für ihre Vermittler (Journalisten, Pressesprecher, Buchautoren, Moderatoren, Mitarbeiter in Museen und viele andere). Die Frage, wie das erwünschte „public understanding“ zu erreichen ist, wird man natürlich in Abhängigkeit von der Öffentlichkeit beantworten müssen, die man im Auge hat (Jugendliche, Politiker, Schriftsteller, Bildungsbürger, Manager und viele mehr). Unabhängig von dieser Vorgabe setzt der Umgang mit dem Thema voraus, dass man zum einen weiß, was die jeweils anvisierte Öffentlichkeit tatsächlich benötigt (zum Beispiel Vertrauen in die Auskünfte der Wissenschaft, intellektuelles Vergnügen an ihren Ideen oder Informationen über mögliche Technologien), und daß man sich zum zweiten klarmacht, was derjenige erreichen möchte, der sich um die Vermittlung wissenschaftlicher Befunde und Einsichten bemüht.
Grundsätzlich gilt, dass die Vermittlung von Wissenschaft als eigenständige Aufgabe und Leistung mehr Anerkennung braucht und den Geruch der Zweitrangigkeit verlieren muss. Unter Wissenschaftlern gilt die Originalarbeit als die höchste Stufe des Könnens, selbst wenn darin nur Routinemethoden auf Standardprobleme angewendet werden und als Resultat nur wenig Bedenkenswertes ermittelt wird.
Um als zwar andersartige, aber gleichwertige Leistung akzeptiert zu werden, muss die Umsetzung wissenschaftlicher Einsichten und Erkenntnisse nicht bei dem „Abschreiben auf tieferer Ebene“ stehenbleiben, das vielfach im Wissenschaftsjournalismus praktiziert wird, wenn Fachartikel mit der Standardfloskel „Wissenschaftler haben herausgefunden …“ schlicht und verkürzt den Lesern zur raschen Kenntnisnahme vorgesetzt werden. Wenn bei dieser Tätigkeit – abgesehen von der Information einer bereits vorinformierten und damit elitären Klientel – überhaupt ein „public understanding“ erreicht werden kann, dann müsste das „Abschreiben auf höherer Ebene“ erfolgen, um einen Ausdruck von Thomas Mann zu verwenden, den er zur Charakterisierung seiner eigenen Vorgehensweise verwendet hat. „Abschreiben auf höherer Ebene“ heißt, das vorgefundene wissenschaftliche Ergebnis so darzustellen, dass sein Zusammenhang (Kontext) mit dem Lebensganzen erkennbar und der humane Bezug ersichtlich wird, an dem Menschen vor allem interessiert sind.
Die Erfüllung dieser Aufgabe geht nicht nur über die reine Berichterstattung, sondern auch über eine wissenschaftsinterne Bewertung des vorliegenden Ergebnisses und die Einschätzung seiner Bedeutung hinaus. Sie würde – als genuin kreativer Prozess – einen wesentlichen Teil der Aufgabe erfüllen, die mit den Begriffen „public understanding“ gemeint sind, und sie würde der Vermittlung den Rang öffnen, auf dem originelle Leistungen möglich sind. Auf diesen Aspekt hat der Leiter des BBC Programms Horizon hingewiesen, der es als „creative challenge“ bezeichnet hat, Wissenschaft als „enticing and relevant as we passionately believe it is“ darzustellen und der Fernseh- und andere Journalisten dazu aufforderte, Wissenschaftsvermittlung als „story telling“ zu versuchen. Damit kämen sie beim Publikum gut an, denn „people above all like to be told a good story“. Und ihre Erfindung ist mindestens so schwierig und kreativ wie die Wissenschaft hinter der Geschichte selbst.
Diese Qualität braucht nicht unbedingt von den Forschern selbst erwartet oder geliefert zu werden. Vielmehr könnte sich zwischen die Wissenschaft und die Öffentlichkeit eine eigene Instanz schieben, so wie es sie zwischen der Kunst und dem Publikum schon längst mit eigenständigem Charakter gibt. Bekanntlich erklären Künstler ihre Werke nicht, und die Wissenschaftler müssen dies auch nicht allesamt versuchen. Sie können diese Aufgabe Personen überlassen, die für die Wissenschaft ausführen, was zum Beispiel Kunstkritiker oder Kunsthistoriker für den anderen Teil der menschlichen Kultur erreichen.
Die Verbindung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit herzustellen, kann nicht nur als Aufgabe von Wissenschaftsjournalisten betrachtet werden, so wichtig ihre Rolle und die von ihnen verbreiteten Informationen auch sind. Wissenschaftsjournalisten liefern nun allgemein zugängliche Texte, und in dieser Form – als geschriebener Text – wird Wissenschaft als Teil der menschlichen Kultur leichter akzeptabel als sonst. In diesem umfassenden Formrahmen sind viele Varianten denkbar, und vermutlich kann die Dramatisierung von Wissenschaft (Beispiele sind „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt oder „In Sachen Robert Oppenheimer“ von Heiner Kipphardt) oder die Inkorporation von Wissenschaft und Wissenschaftlern in soap operas viel zur Verbesserung eines „public understanding“ beitragen. In dem zuletzt genannten Fall käme es darauf an, Wissenschaftlern das Frankenstein-Image zu nehmen, das ihnen aus vielen Filmen anhaftet. Man kann sie – auch in Romanen – als Personen einführen, die genau so leben, lieben und leiden, wie andere Menschen dies tun.
Allgemein läuft die bisherige Beschreibung auf den Vorschlag hinaus, zwischen die Wissenschaft und die Öffentlichkeit eine Instanz zu setzen, die der Wissenschaft die Form bzw. Gestalt gibt, die so für alle Menschen wahrnehmbar ist, wie es Kunstwerke bzw. Kunstgegenstände sind, und die unter diesen Bedingungen auch das erreichen und ansprechen kann, was oben Gefühl („feel“) genannt wurde. Der Begriff „Wissenschaftsgestaltung“ könnte die damit skizzierte Aufgabe beschreiben, und es würde dem „public understanding of science“ helfen, wenn dafür konkrete Vorschläge ausgearbeitet würden.
Zum Abschluss sollen einige Thesen und ein Katalog von lösbaren Aufgaben zusammengestellt werden, die grundlegend für jedes Bemühen um ein „public understanding of science“ (PUS) sind:
1) Die Öffentlichkeit braucht die Wissenschaft so, wie die Wissenschaft die Öffentlichkeit braucht. Es gibt kein „public understanding of science“, solange es kein „scientific understanding of science“ gibt. Wissenschaft muss es gelingen, Veranstaltungen (Preisverleihungen) zu organisieren, die zu einem gesellschaftlichen Ereignis zu werden und so öffentliches Bewusstsein schaffen.
2) Es muss verstanden werden, dass Beiträge zum „public understanding of science“ ebenso schwierig sind und kreativ sein können, wie Beiträge zur Wissenschaft selbst. Das „public understanding of science“ muß zeigen, worin das Bildungsgut von Wissenschaft (im Sinne von klassischer Bildung) steckt.
3) Es gibt kein „public understanding of science“, wenn wir so tun, als ob sich unsere (gesellschaftliche und politische) Geschichte ohne Wissenschaft entwickelt hätte und die Frage, wie sich die modernen Lebensverhältnisse durchgesetzt haben, allein durch Rückgriff auf militärische oder ökonomische Tatsachen zu beantworten sei.
4) Wissenschaft braucht eine direkte parlamentarische Verankerung, mit deren Hilfe sie deutlich machen kann, dass sie eine Macht ist (die man im übrigen Konzeptive nennen könnte). Ein „public understanding of science“ wird möglich, wenn Wissenschaft Teil der offiziellen politischen Denkens geworden ist und man auf dieser Ebene mit ihr rechnet.
5) Damit das „public understanding of science“ in Deutschland Fuß fassen kann, sollte es wie in England einen Lehrstuhl oder eine Institution (mit interdisziplinärem Studiengang) für diese Aufgabe geben, wobei dafür die oben erläuterte Bezeichnung „Lehrstuhl für Wissenschaftsgestaltung“ vorgeschlagen wird.
6) „Wissenschaft wird von Menschen gemacht“, wie Werner Heisenberg im ersten Satz seiner Autobiographie „Der Teil und das Ganze“ festhält. Doch gerade diese Menschen kennt die Öffentlichkeit nicht. Wissenschaftsgestaltung muss einen Weg finden, sie in das öffentliche Bewusstsein zu rücken, damit einige von ihnen (Hermann von Helmholtz oder Max Planck zum Beispiel) als Klassiker so in das öffentliche Bewusstsein rücken, wie es Dichter, Komponisten und Maler längst sind.
Ein Beitrag von Ernst Peter Fischer
Ernst Peter Fischer studierte Mathematik, Physik und Biologie und promovierte am California Institute of Technology. Er habilitierte sich im Fach Wissenschaftsgeschichte u. a. an den Universitäten Konstanz und Heidelberg. Als Wissenschaftspublizist schreibt er unter anderem für Die Welt und Focus. Fischer ist Autor zahlreicher Bücher, darunter der Bestseller “Die andere Bildung” (2001) und die Max-Planck-Biographie “Der Physiker” (2007). Darüber hinaus erschienen von ihm u. a. “Die Verzauberung der Welt – Eine andere Geschichte der Naturwissenschaften” (2015) und “Durch die Nacht: Eine Naturgeschichte der Dunkelheit” (2017). Für seine Arbeit erhielt er mehre Preise, u. a. den Sartorius-Preis der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.
Was die Wissenschaft betrifft, so soll es die bereits in der Antike gegeben haben und mitnichten neu sein: „Das Wort Alchemie (auch Alchimie und Alchymie, griechisch-arabisch-mittellateinisch alkimia, neulateinisch alchymia, frühneuhochdeutsch alchimei, alchemey) löst immer wieder Neugierde aus. Da Hermes und Thot als Großmeister der Alchemie überliefert werden, ein kurzer Überblick zu diesem Wort. In der Alchemie geht es lange nicht nur darum, Gold bzw. Goldsynthese herzustellen. Vielmehr beschäftigt sich die Alchemie mit den Eigenschaften aller Stoffe und ihren Reaktionen. Heute wird weiterhin Alchemie betrieben, jedoch in zwei Bereiche getrennt: Chemie und Pharmokologie. Chemie und Pharmakologie sind nichts anderes als der Zweig der „altertümlichen“ Naturphilosophie, die Alchemie bezeichnet wird.“ https://www.mythologie-antike.com/t91-hermes-mythologie-gotterbote-viel-mehr-sehr-komplizierter-typ