MYTHO-Cast Folge 4 - Die Poesie des Nevermore - Edgar Allan Poes dunkle Romantik
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Podcast-Script nach einem Beitrag von Isabel Bendt und der Textvorlage „The Raven“ von Edgar Allan Poe im englischen Original und „Der Rabe“ in deutscher Übersetzung von Carl Theodor Eben
Gesprochen von Isabel Bendt (Beitrag) Constance Timm (Der Rabe) und Sebastian Helm (The Raven)
Intro und Outro gesprochen von Constance Timm und Isabel Bendt
„Die Raben rufen: ‚Krah, krah, krah! Wer steht denn da, wer steht denn da? Wir fürchten uns nicht, wir fürchten uns nicht vor dir mit deinem Brillengesicht.
Wir wissen ja ganz genau, du bist nicht Mann, du bist nicht Frau. Du kannst ja nicht zwei Schritte gehn und bleibst bei Wind und Wetter stehn.
Du bist ja nur ein bloßer Stock, mit Stiefeln, Hosen, Hut und Rock. Krah, krah, krah!'“
(Die Vogelscheuche, Christian Morgenstern)
Nachdem wir in den vergangenen Wochen den Spuren steinerner Herzen, erzählender Bäume, heiliger Berge und morgenländischer Märchen gefolgt sind, ist es nun an der Zeit uns dem mythischen Herbst zuzuwenden. Und welches Fest wäre besser für solche Gedanken geeignet als das bevorstehende Halloween? Das Fest, das Erntedank und Totenfeier miteinander vereint. Halloween, das bedeutet Verkleidung, Grusel, „trick or treat“ (Süßes oder Saures). Man schlüpft in die Rolle der Geister und schlägt der Angst ein Schnippchen.
Einer der vorigen Blog-Beiträge behandelte die Rolle des Raben in der Mythologie der Nordwestküsten-Indianer – er ist einer der prominentesten Trickster in den indigenen Kulturen Nordamerikas. Mittlerweile bedienen sich die Indianer auch zeitgenössischer Medien, um die Trickstergeschichten zu erzählen. Im Jahr 2004 eroberte der Trickfilm Raven Tales: How Raven Stole the Sun die Leinwände indigener und internationaler Filmfestivals. Die Jury des ImagineNATIVE in Toronto kürte den 26-minütigen Trickfilm zur Best Television Production des Jahres. Auf dem American Indian Film Festival in San Francisco wurde er mit dem Best Animated Short Award ausgezeichnet. Weitere Preisverleihungen folgten und machten Raven Tales zu einer der erfolgreichsten Produktionen des Native American Film. Die mittels CGI (Computer-Generated Imaging) realisierte 3D-Animation wurde von dem Cherokee Chris James entwickelt und von den in Calgary ansässigen New Machines Studios in Zusammenarbeit mit dem Kwakwaka’wakw-Künstler Simon James produziert.
„Once upon a midnight dreary, while I pondered,
weak and weary, Over many a quaint and curious volume
of forgotten lore, While I nodded, nearly napping,
suddenly there came a tapping, As of some one gently rapping, rapping
at my chamber door. ‚‘Tis some visitor,‘ I muttered, ‚tapping
at my chamber door – Only this, and nothing more.‘“
Während Raben in Europa fast ausschließlich als Erkennungstiere von Göttern erscheinen, ist der Rabe in den Kulturen der Nordwestküsten-Indianer selbst eine Gottheit. Er ist sowohl Demiurg als auch Trickster, sowohl Held als auch Schurke, und dies häufig zur gleichen Zeit. In nahezu jeder Schöpfungsmythe der Region ist der Rabe entweder der tatsächliche Schöpfer der Welt oder spielt bei der Schöpfung eine große Rolle. In vielen Mythen erscheint der Rabe in mehreren Gestalten. Dies ist möglich durch die Personifizierung der Tiercharaktere in der Kultur. In der Mythologie der Nordwestküsten-Indianer können Tiere problemlos menschliche Gestalt annehmen und auch ein Leben wie Menschen führen – wobei der Rabe der größte Verwandler von ihnen ist, der in der Lage ist, sich in alles zu verwandeln, um zu bekommen, was er will.