Das Book of Shadows – eine Wicca-Bibel?
Vor einigen Jahren, es war um die Maienzeit, durfte ich zu einem Universitätsseminar, das sich dem modernen Neuheidentum widmete und von der Wicca-Forscherin Dr. Britta Rensing (Die Wicca-Religion, 2007) geleitet wurde, einen Vortrag über das Book of Shadows beisteuern, das in der neopaganen Religion namens Wicca eine große Bedeutung hat. Als ich zu Beginn in die Runde fragte, worum es sich bei diesem Buch der Schatten handeln könnte, kamen die verschiedensten Ideen zu Tage: die Bibel der schwarzen Magie, eine Dämonologie der Schattenwelt, die heilige Schrift des Neopaganismus, der theologische Kanon des modernen Hexentums und, und, und. Die Ideen trafen zwar nicht recht zu, waren aber vollkommen plausibel, schließlich hatten ja so einige okkultistische Strömungen der Moderne Schriften hervorgebracht, die ihrer Anhängerschaft als spirituelle „Richtschnur“ (altgr. Κανών; kanón) dienten – etwa die Satanic Bibel (1969) von Anton Szandor LaVey, dem Begründer der Church of Satan, oder das Liber AL vel Legis („Buch des Gesetzes“, 1909) von Aleister Crowley, dem „Godfather“ des modernen Okkultismus. Das Book of Shadows sorgte für Irritationen und Diskussionen: War Wicca nun tatsächlich eine „Buchreligion“, die ein Konvolut normativer Texte für eine konzeptuelle Religionspraxis bereitstellt? Nach und nach wurde klarer, dass sich Wicca ebenso wie das Buch der Schatten den klassischen religionswissenschaftlichen Kategorien entzieht und es hier besonders wichtig ist, einzelne Elemente differenziert zu betrachten. Denn bei dem Book of Shadows handelt es sich keineswegs um eine „Wicca-Bibel“, sondern um ein ganz besonderes religiös-magisches Textgenre, in dem kollektive Tradition und individuelle Erkenntnis zusammengeführt werden und sich, wie ich meine zu erkennen, das frühromantische Paradigma der Sympraxis offenbart.
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