Die (postmodernen) Nibelungen: Blut und Spiele

„Hinter ihren Schwertern fließt Blut.“ (Das Nibelungenlied)

Sommer. Sonne. Spiele. Auch vor Worms macht die Hitze nicht Halt, kein Bollwerk, das die Wärme stoppt; alles ist durchlässig. „Alles fließt“, heißt es in der berühmten Formel des griechischen Philosophen Heraklit (ca. 520 – ca. 460 v. Chr.), panta rhei (altgriech. πάντα ῥεῖ). Oder präzisier (bei Platon überliefert): „Alles fließt [bewegt sich fort] und nichts bleibt“ (altgriech. Πάντα χωρεῖ καὶ οὐδὲν μένει; Vgl. Kratylos 402A = A6). Und es sind nicht nur die Wärme, der Sommer, die Zeit, die stetig dahinströmen wie der Rhein, nein, es fließt auch das Blut. Bei Amazon Prime einmal mehr fiktiv-brachial in Szene gesetzt durch die neue Roland-Emmerich-Gladiatoren-Serie „Those About to Die“, in Worms dagegen fließt es für den Zuschauer live und erlebbar bei den Nibelungen-Festspielen. Dort, auf der Bühne vor dem Wormser Dom St. Peter, wird in munterer Reihenfolge das (Kunst-) Blut vergossen, weggeschrubbt, untersucht, sich damit beschmiert, darin gewatet, als sei die Erde, der Himmel, jeder Gedanke aus Blut, im Blut, mit dem Blut. Und am Ende – warten keine genähten Wunden, keine geheilten Narben. Keine Versöhnung. Nur Blut. Das einfach nicht aufhören will zu fließen.

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Vergessene Götter: Anu, „der allerfernste der Götter im weiten Himmel“

„Als die Götter Mensch waren, trugen sie die Mühsal, schleppten sie den Tragkorb. Der Tragkorb der Götter war groß, die Mühsal schwer, übermäßig war die Drangsal. Die großen Anunnaku ließen siebenfach die Igigu die Mühsal tragen. Anu, ihr Vater, war der König; ihr Ratgeber der Held Enlil. Ihr Thronträger war Ninurta, ihr Kanalinspektor Ennugi. Sie fassten die (Los-)Flasche an ihrer ‚Wange‘, warfen das Los, woraufhin die Götter teilten: Anu stieg (sodann) zum Himmel empor, Enlil nahm sich die Erde für seine Untertanen. Die Riegel und die Schlingen des Meeres wurden dem weitsichtigen Enki hingelegt. Diejenigen des Anum stiegen zum Himmel empor, diejenigen des (Grundwassers) Apsu stiegen endgültig hinab. Es waren müßig diejenigen des Himmels, die Mühsal ließen sie tragen die Igigu. Die Götter begannen, Flüsse zu graben – die Wasserläufe der Götter, das Leben für das Land.“ (Als die Götter Mensch waren, Die altorientalische Sintfluterzählung, S. 10)

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„Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich“ – Wie ein Roman eine klassische Dichtung ins Heute holt

Jay Mendelsohn, ein 81-jähriger Mathematiker und Computerwissenschaftler im Ruhestand, nimmt 2012 an dem Seminar über Homers „Odyssee“ teil, das sein Sohn Daniel Mendelsohn im Frühjahrssemester an dem kleinen, aber feinen Bard College in der Nähe von New York gibt. Anschießend machen beide eine Mittelmeer-Kreuzfahrt, die den Spuren des Helden dieses mehr als zweieinhalb Jahrtausende alten griechischen Epos folgt. Anders als Odysseus, der nach vielen Irrungen und Abenteuern schließlich auf seiner heimatlichen Insel Ithaka landet, erreichen sie dieses Ziel aber nicht, da aufgrund von Streiks im Zuge der griechischen Wirtschaftskrise die Reiseroute geändert werden muss. Ein Jahr nach Beginn des Odyssee-Seminars erleidet der alte Herr einen Schlaganfall, der ihn ins Pflegeheim bringt, wo er sich eine Infektion zuzieht, an der er stirbt. So einfach lässt sich die Handlung von Daniel Mendelsohns Roman „Eine Odyssee“ zusammenfassen, dessen amerikanische Originalausgabe 2017 unter dem Titel „An Odyssey. A Father, a Son and an Epic“ bei Alfred A. Knopf, New York, erschienen ist und dessen deutsche Übersetzung der Siedler-Verlag (München) 2019 herausbrachte. Aber so einfach ist es nicht …

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"Ich bin Circe" – Weibliche Irrfahrten durch die Griechische Mythologie

Fast jeder kennt die Irrfahrten des Odysseus, von denen der griechische Dichter Homer in seiner „Odyssee“ berichtet. Gemeinsam mit der „Ilias“ gehört das Epos sowohl zu den ältesten als auch zu den berühmtesten Dichtungen der abendländischen Literatur. Folgt man der Poetik des Philosophen Aristoteles, ist der Inhalt schnell erzählt: „Jemand weilt viele Jahre in der Fremde, wird ständig von Poseidon überwacht und ist ganz allein; bei ihm zu Hause steht es so, daß Freier seinen Besitz verzehren und seinem Sohn nachstellen. Er kehrt nach schweren Bedrängnissen zurück und gibt sich einigen Personen zu erkennen; er fällt über seine Feinde her, bleibt selbst unversehrt und vernichtet die Feinde“. (Aristoteles, Poetik, 17)

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