Sanskrit – eine indogermanische Sprache

Über die Sprache und Weisheit der Indier

Im Jahre 1808 veröffentlichte der vormalige Leipziger Student Friedrich Schlegel (1772-1829) die Monographie „Über die Sprache und Weisheit der Indier“. Diese Schrift lenkt das deutsche und europäische Interesse verstärkt auf Altindisch oder Sanskrit und gehört damit zu den Geburtshelfern der Indologie und der Indogermanistik. Hierbei meint Altindisch Vedisch oder klassisches Sanskrit. Die ältesten vedischen Texte sind im Rigveda überliefert und stammen von 1500-1000 vor unserer Zeitrechnung. Klassisches Sanskrit wird dem Zeitraum 500 vor bis 500 nach unserer Zeitrechnung zugeordnet.


Zehn Jahre später wird Friedrichs Bruder August Wilhelm von Schlegel an der neu gegründeten Universität Bonn als Professor für Sanskrit berufen. In Leipzig dauert es etwas länger: Der Lehrstuhl für Indologie wird 1841 eingerichtet und von Hermann Brockhaus vertreten, der 1848 ordentlicher Professor der altindischen Sprache und Literatur wurde. Hermann Brockhaus entstammt dem berühmten Verlagshandel, den sein Vater zunächst in Amsterdam, ab 1817 jedoch in Leipzig betreibt.

Auch die Indogermanistik verdankt der „Sprache und Weisheit der Indier“ viel. Erst der Vergleich zwischen Sanskrit, Latein, Griechisch und anderen Sprachen führt die Gelehrten auf die richtige Fährte: Vor etlichen Tausend Jahren hat es eine Sprache gegeben, Indogermanisch, von der die meisten uns geläufigen Sprachen abstammen. Hierzu zählen, grob gesprochen, die Sprachen zwischen Indien (Sanskrit) und Island (Altisländisch als germanische Sprache) und zudem, als Neuentdeckungen des 20. Jahrhunderts, Tocharisch und Hettitisch. Finnisch, Estnisch, Ungarisch und Baskisch gehören nicht dazu.

Die Indogermanistik wird auch als historische Sprachwissenschaft (in Bezug auf die indogermanischen Sprachen) bezeichnet. Sie thematisiert also den Wandel dieser Sprachen. Warum aber können wir uns mit Sprachwandel sinnvoll beschäftigen? Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens, in ziemlich kurzen Zeitabschnitten wandeln sich Sprachen enorm. Obwohl Kinder die Sprache im Allgemeinen so sprechen wie ihre unmittelbaren Vorfahren, ergeben sich im Laufe von schon 20 oder 30 Generationen so große Unterschiede, dass eine Verständigung nicht mehr möglich ist. Zweitens ist der Sprachwandel im Nachhinein unglaublich regelmäßig. Die Regelmäßigkeiten sind so bedeutend, dass wir hier von Lautgesetzen sprechen. Wie man diese Lautgesetze zu verstehen hat—darüber gab es heftigen Streit in Leipzig. Dazu etwas später mehr.

William Jones und Franz Bopp

Im ersten Satz der Vorrede zu seiner berühmten Schrift „Über die Sprache und Weisheit der Indier“ nimmt Friedrich Schlegel Bezug auf Sir William Jones. Das ist sehr passend. Denn dieser hatte als einer der ersten die Ähnlichkeit zwischen Sanskrit einerseits und etlichen europäischen Sprachen andererseits bemerkt.
William Jones war ein Richter an einem britischen Gericht in Kalkutta zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft in Indien. Im Jahre 1786 argumentiert er vor der „Asiatic Society of Bengal“, dass Sanskrit sowohl zum Lateinischen als auch zum Griechischen eine große Ähnlichkeit aufweise, die nicht zufällig entstanden sein könne. Für ihn ergab sich folgende Schlussfolgerung: Diese drei Sprachen sind aus einer gemeinsamen Sprache entstanden, die vielleicht nicht mehr existiert. Jones ging noch einen Schritt weiter und behauptete, neben dem Sanskrit, dem Griechischen und dem Lateinischen könnten auch das Gotische und das Keltische aus dieser gemeinsamen Sprache herrühren. Heute nennen wir diese gemeinsame Ursprache Indogermanisch oder auch Indoeuropäisch.

Der Vortrag von Jones war in Europa schnell bekannt geworden und elektrisierte viele Forscher in Deutschland und außerhalb. Als Begründer der Indogermanistik gelten weder William Jones noch Friedrich Schlegel, sondern erst der strenger und systematischer arbeitende Franz Bopp (1791-1867). Er veröffentlicht sein Werk „Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache“ im Jahr 1816, das als Geburtsjahr der vergleichenden Sprachwissenschaft und der Indogermanistik gilt. Das Hauptaugenmerk auf Sanskrit zu richten, ist auch aus heutiger Sicht vernünftig. Tatsächlich stützt sich die Rekonstruktion der indogermanischen Sprache hauptsächlich, aber keinesfalls ausschließlich, auf die altindischen Veden, die ältesten Texte der Hindu-Religion. Diese sind etwa vor 3500 Jahren formuliert worden, ohne zunächst schriftlich festgehalten zu werden. Jahrhundertelang erfolgte die Überlieferung nur mündlich.

Auf dem Gebiet des Sprachvergleichs hat Franz Bopp Großes geleistet. An der Rekonstruktion der indogermanischen Sprache haben zunächst August Schleicher (1821 – 1868), Professor in Prag und schließlich Jena, und August Friedrich Pott (1808 – 1887), Professor in Halle gearbeitet. Wesentliche Fortschritte werden dann von der Leipziger Schule erarbeitet.

Die Leipziger Schule

An der Universität Leipzig lehrte der klassische Philologe und Indogermanist Georg Curtius (1820-1885). Er und Pott vertreten die Unterscheidung in „regelmäßige oder durchgreifende“ und „unregelmäßige oder sporadische“ Lautveränderungen. Manchmal passen die Lautgesetze und manchmal halt nicht.
Die jüngere Generation widerspricht. Ihr Hauptvertreter war Karl Brugmann (1848-1919), ein Schüler von Curtius. Angeregt durch den Slavisten August Leskien (1840-1916), macht sich Brugmann und ein weiterer Kollege für ein sprachhistorisches Programm stark, das den folgenden zentralen Satz enthält:

„Aller lautwandel, soweit er mechanisch vor sich geht, vollzieht sich nach ausnahmslosen gesetzen, d.h. die richtung der lautbewegung ist bei allen angehörigen einer sprachgenossenschaft, außer dem fall, daß dialektspaltung eintritt, stets dieselbe …“

Mit nicht-mechanischem Lautwandel sind hier vor allem Analogie (Angleichung nach vorherrschendem Muster) und Entlehnungen (wie z. B. Fenster und Wein aus lat. fenestra bzw. vinum) gemeint. Auf der Grundlage der Ausnahmslosigkeit kritisieren die jüngeren Wissenschaftler um Brugmann (siehe Foto) viele bis zu ihrer Zeit anerkannte Wortverwandtschaften als „unmöglich“. Dieses Wort muss in jenen Jahren in Leipzig oft gefallen sein.

Es wird Curtius und seinem Indogermanistenkollegen August Friedrich Pott oft entgegengehalten. Die älteren Sprachwissenschaftler sind ungehalten, dass von ihnen für richtig Befundenes nur unter Bezug auf die Ausnahmslosigkeit abgetan wird. Curtius nennt, mit einiger Bitterkeit und Ironie, „unmöglich“ das „Lieblingswort der neuen Schule“. In diesem Klima entsteht das Spottwort „Junggrammatiker“ für Brugmann und seine Kollegen.


Übrigens trafen sich Brugmann und die anderen Junggrammatiker im Coffee Baum (in der Leipziger Altstadt) zum wöchentlichen Kneipenabend. Nach erfolgreicher Habilitation und einer kurzweiligen Professur in Freiburg konnte Brugmann eine Professur an der Universität Leipzig annehmen, wo er 32 Jahre lang bis zu seinem Tod außerordentlich produktiv wirkte. Zusammen mit seinen junggrammatischen Kollegen bringt er die Indogermanistik auf einen Stand, der in wesentlichen Grundzügen dem entspricht, was auch heute noch an Universitäten auf der ganzen Welt gelehrt wird. In Leipzig, dem vormaligen Zentrum der Indogermanistik, gibt es jedoch keine Professur mehr für Indogermanistik.

Ist Sanskrit die gesuchte Sprache?

In den Anfangszeiten der Indogermanistik war es durchaus vertretbar, in Sanskrit die gesuchte Ursprache zu sehen. Im Gegensatz zu William Jones legt sich Friedrich Schlegel auf Sanskrit als Ursprung für Griechisch, Lateinisch, Persisch und Gotisch fest. Heute wissen wir, dass dies nicht richtig ist. Aus dem Indogermanischen haben sich Sanskrit und die meisten europäischen Sprachen entwickelt.

Man kann sich die Entwicklung von Sprachen wie einen Baum vorstellen, der sich im Laufe der Zeit immer weiter verästelt. Jede Sprachgruppe bildet weitere Zweige aus. Aus Latein entwickeln sich Französisch und Italienisch, während Englisch, Norwegisch und Hochdeutsch der germanischen Sprache entstammen. Wie lässt sich aber die Streitfrage, ob mit Sanskrit bereits die gesuchte Sprache gefunden ist, entscheiden? Der Streit darüber hat gerade in Leipzig zu Brugmanns Zeiten getobt. Brugmanns Lehrer Georg Curtius vertritt die Auffassung, dass es im Indogermanischen lediglich die drei kurzen Vokale *a, *i und *u gegeben habe, die auch im Altindischen vorzufinden sind. Die Sternchen deuten darauf hin, dass es sich hier um rekonstruierte, nicht um belegte Laute handelt.

Die Junggrammatiker widersprechen entschieden. Sie kommen zu der Auffassung, dass neben *i und *u im Indogermanischen die indogermanischen Vokale *a, *e und *o vorhanden waren. Diese letzteren drei fielen im Altindischen in a zusammen, während im Altgriechischen besonders schön der ursprüngliche Zustand bewahrt blieb. Die (überzeugende) Begründung basiert auf der Ausnahmslosigkeit: Wenn altindisch a den ursprünglicheren Zustand wiedergäbe, müsste man lautgesetzliche Bedingungen finden können, unter denen sich indogermanisch *a im Altgriechischen in a, e beziehungsweise o aufspaltet. Da man solche Bedingungen nicht finden kann, sind folglich im Altindischen die indogermanischen Vokale *a, *e und *o zu a zusammengefallen.

Einige Lautgesetze

Indogermanisches Grundwissen ist für das Erlernen vieler Sprachen hilfreich. Wenn man weiß, dass englisch two neuhochdeutsch zwei entspricht, wird man sich nicht wundern, dass Zaun mit englisch town (die Stadt als durch eine Mauer oder ähnliches Umgrenztes) verwandt ist. Geht man in der Zeit noch viel weiter zurück, stößt man auf ein indogermanisches *d. Dieses findet sich als solches im lateinischen Fremdwort Duett oder in Französisch deux (beide verwandt mit two und zwei). Aus Irland sind viele Ortsnamen bekannt, die mit Dun beginnen, so Dun Laoghaire, der Hafenort bei Dublin. Irisch dun ist also mit Zaun und town verwandt.

Ein letztes Beispiel: Das indogermanische Wort für fünf lautete *penkwe oder so ähnlich. Aus dem Lateinischen haben wir das Quintett übernommen, mit fünf Musikern. Griechischstämmisch ist dagegen das Pentagon (Fünfeck), aus sichtbaren Gründen die Bezeichnung für das amerikanische Verteidigungsministerium. Das Sanskritwort für fünf lautet pañcan. Im modernen Hindi wird daraus pañč und ist wohl verantwortlich für Punsch (englisch punch), ein alkoholisches Heißgetränk aus fünf Bestandteilen.

Ein Beitrag von Harald Wiese


Harald Wiese hat Indogermanistik, Volkswirtschaftslehre und Mathematik in Freiburg, Cork und Bayreuth studiert. Er ist seit 1994 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Leipzig. Seit mehr als zehn Jahren lernt er Sanskrit. Dabei hat ihm der Blick auf Sanskrit als eine indogermanische Sprache sehr geholfen. Sein Hauptinteresse gilt der Betrachtung von altindischen Texten aus dem Blickwinkel ökonomischer Theorien.


Literaturhinweise:

Harald Wiese: Eine Zeitreise zu den Ursprüngen unserer Sprache. Wie die Indogermanistik unsere Wörter erklärt. 2. Auflage. Berlin: Logos Verlag 2010.

Harald Wiese (Autor), Frauke Lehmann-Hößle (Illustrator): Wortverwandtschaften. Selbstverlag (über Amazon beziehbar). (Eine billigere, kürzere und illustrierte Variante der Zeitreise)


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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