Zwerge, Drachen, Zauberer und eben auch Trolle nehmen in den Geschichten des dritten Teils der Sagas aus der Vorzeit eine bedeutende Rolle ein. Und er trüge zu Unrecht den Untertitel Trollsagas, wenn diese mythischen Damen (es sind meist weibliche Trolle) nicht eine gewichtige Rolle bei der Erfüllung eines Heldenschicksals in den Sagas einnehmen würden. Ohne die Hilfe von Grid und ihrer Tochter Hild, ohne Brana und Mana, um nur ein paar zu nennen – die Helden der in diesem Band gesammelten Sagas wären ziemlich schnell am Ende ihrer Reise gewesen. Schließlich sind es deren Zauberkünste, Ratschläge und magischen Gegenstände (Schwert, Ring, Umhang), welche den Helden die Bewältigung ihrer Taten endgültig ermöglichen. Ihre Rolle in den Trollsagas ist also eine positive und helfende – von der sehr variablen Attraktivität ganz abgesehen.
Natürlich gibt es in den Trollsagas nicht nur hilfsbereite Trolle. So nehmen männliche Trolle eher die Rolle von Räubern, bösartigen Widersachern und Störenfrieden ein. Dabei können sowohl männliche wie weibliche Trolle durchaus menschliche Züge tragen. Daher verwundert es nicht, dass die isländische Folklore eine eigene Hierarchie der Trolle mit Königen, Gesetzessprechern sowie Troll- und Halbtrollfrauen (und Männern) erschaffen hat, die nach eigenen Regeln und Gesetzen zu funktionieren scheint. Daneben finden sich auch immer wieder böse und zauberkundige Stiefmütter, die ihre Stiefkinder unter anderem in Trolle mit besonders abstoßenden Aussehen verwandeln können.
Neben dem Trollmotiv bleiben grundlegend in den Geschichten im dritten Band der Vorzeitsagas das Motiv der Wikingerfahrt und die Brautwerbung. Diese bestimmen in weiten Teilen die Handlung der einzelnen Sagas. Sturlaug, Halfdan, Sörli der Starke und Egil Einhand – sie alle setzten die Segel und besteigen die Schlachtrösser, um ihren Platz in der Welt zu erobern. Einzig Held Hrolf (Saga von Göngu-Hrolf) sticht hier hervor: Er ist zu schwer, als dass ihn ein Pferd über längere Zeit tragen könnte, weshalb er schlicht »der Fußgänger« genannt wird. Aber auch ohne Reittier ist Hrolf in der Lage, sich gegen Alben, Wiedergänger, giftspeiende Zauberer und Gestaltwandler zur Wehr zu setzen und seine Braut für sich zu gewinnen. Ebenso ungewöhnlich und märchenhaft mutet die seltsame Bündnisgemeinschaft zwischen Bauernsohn und Prinz in der Saga von Bosi und Herraud an, deren Zweck nur darin besteht, die Ehre und die gesellschaftliche Stellung des Ersteren wiederherzustellen. Ein besonderer Lesegenuss ist diese kurze, ja kurzweilige Geschichte dennoch, hat sie doch neben dem typischen Brautfahrt- und Ehrenmotiv auch eine humoristisch-delikate Besonderheit zu bieten. Den Abschluss der Vorzeitsagas bilden die beiden Erzählungen von Yngvar dem Weitgereisten und von Eirek dem Weitgereisten. Und auch hier ist der Beiname mehr als nur Programm. Im Falle der Saga von Yngvar dem Weitgereisten handelt es sich sogar um eine mit Phantastik ausgeschmückte Geschichte der historisch belegten Entdeckungsfahrt des Warägeranführers Yngvar nach Georgien im Verlauf 12. Jahrhunderts. Nicht weniger aufregend ist die Suche nach dem (christlichen) Paradies in der Saga von Eirek dem Weitgereisten. Die stark an die Visionsliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts erinnernde Struktur der Geschichte zeugt davon, wie weit verbreitet das Bedürfnis zu jener Zeit gewesen sein muss, zu verstehen, wie das Jenseits aussehen könnte.
Die Vorzeitsagas sind eine willkommene Abwechslung zum gewohnten Lesealltag. Nicht zuletzt wegen der herausfordernden Familiengeschichten und Stammbäume, die auch im dritten Band beim Lesen für Verwirrung sorgen können. So tauchen einzelne Protagonisten aus verschiedenen Sagas zwischendurch in anderen auf. Wir begegnen in Band III erneut Egil Einhand, Ragnar Lothbrok und auch Sörli dem Starken, dessen in Band I aufgenommene Trilogie hier anschließt. Allein um diese Verbindungen zu entwirren und die intertextuellen Bezüge zwischen den einzelnen Sagas herzustellen lohnt eine erneute Lektüre. Ebenfalls positiv hervorzuheben ist, dass die in den beiden Bänden zuvor nur in schwarz-weiß abgedruckte Landkarte im letzten Band als Farbdruck beigefügt worden ist. Eine schöne Ergänzung, die das Gesamtbild der Trilogie abrundet und neben der Orientierungshilfe beim Lesen, wie zufällig zur berühmten Reise mit dem Zeigefinger einlädt. Glossare, Register sowie ein Auflistung der Vorzeitsagas ermöglichen das schnelle Nachschlagen und runden das Bild für den Leser ab. Aber gerade hier wäre sicherlich mehr möglich gewesen. So ist zum Beispiel bei den Sagas vorangestellten Infotexten großes Potenzial verloren gegangen, wäre hier doch der Platz gewesen, neben der kurzen Inhaltsangabe dem Publikum auch vertiefende Einblicke in die Forschung zu ermöglichen und Anreize zum Selbststudium zu geben. Warum dies nicht geschehen ist, sei es aufgrund von Zeit- oder Platzmangel (immerhin ist Band III stolze 431 Seiten stark), kann daher nur vermutet werden. So bleibt nach dem Lesen der Einleitung dann leider doch der Wunsch, mehr über die Hintergründe der Vorzeitsagas, ihre Entstehung und Verbreitung zu erfahren, unbefriedigt.
Was bleibt also nach der Lektüre aller drei Bände? Zuerst einmal gute Unterhaltung und Lust auf mehr, bieten diese alten und nun leserfreundlich zugänglichen Texte eine erfrischende Abwechslung zur modernen Unterhaltungsliteratur. Auch wenn der Stil zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig ist, manche Motive und Szenarien sich oft wiederholen und die Handlung zuweilen dann doch etwas zu geradlinig verläuft, sind die Vorzeitsagas Texte, die beim Lesen einfach Spaß machen. Schließlich sind es ja auch Geschichten von Menschen für den Menschen. Und man stellt bei der Lektüre mit Überraschung fest, dass dieser sich im Laufe der Zeit in manchem verändert hat, vieles aber über Jahrhunderte gleich geblieben ist. In diesem Sinne bieten die drei Bände Sagas aus der Vorzeit nicht nur Kurzweil, sondern werfen auch ein neues Licht auf uns selbst.
Ein Beitrag von Leonhard Lietz
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.