Fenriswolf

Hab keine Angst vor mir, ich tue dir nichts. Komm näher und höre, was ich zu berichten habe. Einige nennen mich den Fenriswolf, was aus dem Altnordischen stammt und „Sumpfwolf“ bedeutet. Andere bezeichnen mich als Vángandr, das Monster am Fluss; und für manche bin ich Vitnir, der berühmte Wolf. Aber die meisten nennen mich Fenrir, der im Sumpf Lebende.

Meinen Namen solltest du dir merken, denn einst war ich ein mächtiges Tier. Ich bin das erste Kind des Gottes Loki und der Riesin Angrboda. Eine meiner Schwestern ist Hel, die Herrscherin der Unterwelt und Todesgöttin. Der biblische Ort der Verdammnis wurde nach ihr benannt. Meine zweite Schwester trägt den Namen Midgardschlange. Sie ist im Urozean zuhause und umspannt die Welt. Zusammen gelten wir als die drei germanischen Weltfeinde. Meine Halbbrüder sind Sleipnis, Gott Odins achtbeiniges Pferd; der Riese Narfi und der als der Rächer bekannte Vali. Die Riesin Gyge gebar mir meine Zwillingssöhne Skalli und Hati, zwei Wölfe, die beim Weltende Sonne und Mond verschlingen sollten. Ja, ich war ein stolzer Vater.

 

Die nordische Mythologie kennt aber auch weniger gefährliche Wölfe. Na gut, es waren eher Schoßhündchen, aber lassen wir das. Dem großen Göttervater und Hauptgott Odin zur Seite standen die zwei Wölfe Geri und Freki, der Gierige und der Gefräßige. Natürlich waren diese niederen Kreaturen nicht im Entferntesten mit mir verwandt. Zusammen mit den zwei Raben Hugin und Munin begleiteten sie Odin stets auf seinen Reisen und halfen ihm mit ihren Fähigkeiten. 

 

Als die Christen ihre Religion zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Island verbreiteten und die Menschen den Glauben an die alten nordischen Götter allmählich verloren, wurden die Geschichten und Abenteuer der nordischen Helden und Götter niedergeschrieben. Diese literarischen Zeugnisse sind heute als Edda (Snorra-Edda und Lieder-Edda) bekannt. Ansonsten wäre ich, der gefürchtete Fenriswolf, wohl für immer in der dunklen Gruft der vergessenen Götter und Dämonen verschwunden. Doch ich bin noch da, und nun möchte ich dir meine Geschichte erzählen:

 

Zunächst war ich ein harmloses Tier, nicht gefährlicher als andere Wölfe. Doch mit der Zeit wurde ich immer größer und kräftiger, sodass sich alle über meinen Riesenwuchs wunderten. Die Götter fürchteten gar, ich würde sie eines Tages verschlingen. Deshalb einigten sie sich darauf, mich nach Asgard zu bringen. Dort, so dachten sie, hätten sie mich unter Kontrolle. Man versuchte mich in Ketten zu legen, doch sie konnten meine gewaltigen Kräfte nicht zügeln. Also legten sie mir eine magische Fessel an, die aussah wie ein simpler Faden. Diese Fessel hatte es in sich, da der Faden von den Zwergen aus jenen Dingen gesponnen wurde, die es nicht gab. So wurde beispielsweise der Atem der Fische verarbeitet, die Bärte der Frauen verwendet oder die Wurzeln der Berge eingesponnen. Doch ich erkannte ihre List und so forderte ich einen der Götter auf, mir seine Hand zur Sicherheit ins Maul zu legen. Die Götter fesselten mich und je stärker ich an der Leine riss, desto enger schnürte sie sich zusammen. Keine Chance da je wieder herauszukommen. Ich schaffte es gerade noch Tyr, dem Gott des Krieges und des Thing (Volks- und Gerichtsversammlung), die rechte Hand abzubeißen, die er leichtfertig in mein Maul gelegt hatte. Und dann kam eines Tages das Weltenende Ragnarök. Götter und Riesen sollten in einem schrecklichen Kampf gegeneinander die Welt für drei Jahre erzittern lassen. Der Filmbulwinter kündigte dieses Ereignis an. Es gelang mir, mich von der magischen Fessel zu befreien und den mächtigen Gott Odin zu verschlingen. Doch sein Sohn Vidar sann auf Rache. Und so stieg mir Vidar mit seinem ledernen Stiefel ins Maul, riss es entzwei und erstach mich durch meinen Rachen. Die ganze Welt stand in Flammen und viele der Götter und Riesen wurden getötet. Das entstandene Chaos führte schließlich zu einem neuen Ausgleich und zu einer Reinigung. Göttervater Odin wurde wiedergeboren und er erschuf eine neue bessere Welt.

 

Ja, so war das damals. Ich bin natürlich nicht wirklich gestorben, denn ich lebe ja in den alten Geschichten und Mythen weiter. Doch lass mich dir eines sagen: Irgendwann kehrt das Chaos zurück. Keine Fessel dieser Welt ist stark genug, das Tier auf ewig zu bändigen.

 

Der Fenriswolf bedankt sich bei seinem Autor Andreas Erler.

 

 

Mehr Lesestoff über mich, findet ihr bei:

Reiner Tetzner: Germanische Götter- und Heldensagen, Verlag Philipp Reclam jun. Stuttgart, Stuttgart 2000.

Harri Günther: Die Edda, Verlag Neues Leben Berlin, Berlin 1987.

Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie, Verlag Kröner, Stuttgart 2006.

 

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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