Wasserpferd
Sehen Sie, da steht ein Pferd am See. Haben Sie jemals ein schöneres Pferd gesehen? Es scheint so fügsam zu sein, dass es praktisch darum bettelt, geritten zu werden. Scheint das zu schön, um wahr zu sein? Ich verspreche Ihnen, es ist wirklich zu schön, um wahr zu sein. Wie kann ich das wissen? Es ist meine Lieblingstaktik, Menschen auf meinen Rücken zu locken, damit ich sie ertränken kann. Wenn Sie einmal auf meinem Rücken sind, dann bleiben Sie auch dort, bis Sie meinen Namen, den Namen Gottes oder des Teufels, ausgesprochen haben. Ich habe viele Namen, each uisge, eachanna uisce, ceffyl dŵr, cabyll ushtey, nykur und nennir, um nur einige zu nennen, aber vielleicht kennen Sie mich am besten als das Wasserpferd.
Ich bin in Gewässern wie Seen, Flüssen und dem Meer rund um die britischen und skandinavischen Inseln zu Hause. Es ist gesagt worden, dass es in fast jedem See oder Fluss in Schottland spukt, obwohl ich nicht behaupten kann, dass Wasserpferde sie alle besetzen. Das Monster von Loch Ness ist ja wohl kaum ein Wasserpferd. Es könnte sogar beleidigt sein, wenn Sie das sagen, obwohl es meiner Meinung nach eher ein Kompliment ist. Natürlich sollte ich auch das Kelpie erwähnen.
Manche verwenden unsere Namen als Synonyme, da wir viele Gemeinsamkeiten haben, zum Beispiel: Wir leben beide im Wasser, wir sind beide Gestaltwandler, die entweder die Gestalt eines Pferdes oder eines attraktiven jungen Mannes annehmen, und wir versuchen beide, unvorsichtige Opfer in unseren wässrigen Behausungen in den Tod zu locken.
In einem Artikel im Celtic Magazine von 1887 heißt es ausdrücklich, dass each uisge (Übersetzung: Wasserpferd) das gälische Wort für Kelpie ist, während eine von Erren Micheals erzählte Geschichte aus Jersey die Begriffe Wasserpferd und Kelpie austauschbar verwendet, um sich auf dasselbe übernatürliche Wesen zu beziehen. Andere Quellen behandeln uns insgesamt als getrennte Wesen. Carol Rose stellt fest, dass Wasserpferde Salzwasser und Binnenseen heimsuchen, während die Kelpies fließendes Wasser bevorzugen. Bruce Gilkison pflichtet ihr bei, führt aber weiter aus, dass Kelpies in Flüssen oder turbulentem Wasser leben. Josepha Sherman klassifiziert Kelpies als Gestaltwandler am Meer und Wasserpferde als Seemonster. Obwohl sie uns als getrennte Wesen auflistet, verwirrt ihre Erklärung das Thema nur, da sie den Aussagen von Rose und Gilkison zu widersprechen scheint. William Craigie sagt nicht ausdrücklich, dass wir verschieden sind, aber er listet uns in seinem Kapitel über Wasserwesen unter separaten Überschriften auf. Er sagt, das Nykur (einer von zwei isländischen Begriffen für Wasserpferd) lebe in Seen, Flüssen und manchmal im Meer. Die einzige Geschichte in seinem Buch über das Kelpie erzählt, wie die Kelpies gerne den Lauf der Mühlen anhalten, geht aber nicht auf die feineren Details ein. Wie Sie also sehen, ist das Argument so klar wie der Schlamm, der auf dem Grund unserer jeweiligen Wasserquellen zu finden ist. Ich persönlich habe keine sonderlich guten oder schlechten Gefühle hierzu: Ich bin, was ich bin.
Geschichten über Wasserpferde gibt es zuhauf in den von vielen als keltisch und skandinavisch bezeichneten Ländern. Diese Geschichten unterscheiden zwar in Details, aber die Erzählformel ist dieselbe oder zumindest sehr ähnlich. Folkloristen bezeichnen diese Geschichten als Wanderlegenden, da diese gewandert zu sein scheinen. Das wirft natürlich die Frage auf, woher genau diese Geschichten stammen. Der bereits erwähnte Artikel aus dem Jahr 1887 stellt fest, dass das Wort „Kelpie“ ein Importwort aus dem Deutschen oder Englischen ist (erinnern Sie sich, dass dieser Artikel sagt, dass Wasserpferde und Kelpies gleich sind) und zitiert weiter Dr. Karl Blind, der suggeriert, dass die Wasserpferde-/Kelpie-Geschichten nicht keltischen Ursprungs sind, da es keine walisischen Erzählungen über solche Wesen gibt. Dies berücksichtigt natürlich nicht die Geschichten von ceffyl dŵr (walisisch für Wasserpferd). Vielleicht hat Blind die Geschichten über den Ceffyl dŵr nicht in seine Liste aufgenommen, weil diese Geschichten besagen, dass der Ceffyl dŵr ahnungslose Reisende eher zu Tode trampelt, als seine Beute auf den Rücken zu locken, aber dies ist eine Vermutung meinerseits. Ich selbst kenne nicht viele meiner walisischen Vettern. Andererseits nennt der Autor in einem Artikel von Bo Almqvist (1991) zwei Experten, C.W. von Sydow und Brita Egardt, die behaupten, dass Wasserpferdlegenden keltischen Ursprungs sind. Almqvist jedoch weist darauf hin, dass die keltischen Ursprünge des nordischen Wasserpferdes übertrieben dargestellt werden. Die Tatsache jedoch, dass es so starke Ähnlichkeiten zwischen den schottischen, irischen und nordischen Erzählungen gibt, deutet darauf hin, dass eine Entlehnung stattgefunden hat. Dieses geschah vermutlich während der Wikingerzeit, wobei die Legenden irgendwann vor 1000 n. Chr. vollständig entwickelt waren.
Aber was sind das für Wandergeschichten, fragen Sie? Es gibt Geschichten, in denen ich in der Form eines Pferdes mehrere Kinder anziehe (in diesem Fall streckt sich mein Rücken gewöhnlich magisch, um sie alle aufsteigen zu lassen) oder einen Erwachsenen, der auf meinen Rücken klettert, wo sie auf magische Weise haften bleiben und nicht absteigen können. Dann gibt es die Geschichten, in denen ich als attraktiver junger Mann junge Frauen umwerbe, um sie zu meiner Braut zu machen oder sie in ihr Verderben zu locken.
Es gibt aber auch Geschichten, in denen ich gezäumt und zur Arbeit gezwungen werde, um Häuser und Mauern zu bauen oder als Pflugpferd zu arbeiten. All dies wird in den Ländern, in denen meine Geschichten erzählt werden, in unterschiedlicher Form geteilt, auch wenn sich Einzelheiten und oft auch der Ausgang der Geschichten von Land zu Land unterscheiden. In Schottland und Island haben diese Geschichten meist ein trauriges Ende, da meine Beute für gewöhnlich ertrinkt. In Schottland und auf den Färöer-Inseln hinterlasse ich manchmal sogar das Herz oder die Leber des Opfers schwimmend auf dem See. In den Shetlandinseln ziehe ich meine Beute für gewöhnlich unter Wasser, aber sie erleidet nicht mehr als eine vollkommene Durchnässung. In den anderen nordischen Ländern entkommt meine Beute gewöhnlich, indem Sie meinen Namen, etwas ähnlich lautendes oder Gottes Namen erwähnt. In Irland gibt es laut Almqvist nur wenige Geschichten darüber, dass ich Menschen auf meinen Rücken locke und sie dann in den Tod stürze. Stattdessen handeln Geschichten häufiger davon, dass ich zur Arbeit eingespannt werde. Außerdem zeigt sich in Irland ein Motiv, das man in den nordischen Ländern nicht findet: das der gefangenen Wasserpferde, die als Rennpferde verwendet werden.
Wohlgemerkt gibt es viele Geschichten und Gerüchte über mich und meine Verwandten, und ich habe Ihnen nur einen sehr kurzen Überblick über diese gegeben. Ich würde gerne bleiben und länger plaudern, aber mein See ruft.
Das Wasserpferd dankt einer Autorin Colleen Nichols.
Mehr über mich finden Sie bei:
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