A very short introduction
Jeder kennt sie. Jeder staunt über sie. Jeder mag sie. Manche fürchten sie auch. Andere verehren sie. Einige machen Jagd auf sie. Und mancher erfindet sie sogar neu. Was wäre die Welt ohne Fabelwesen? Seit Anbeginn der Menschheit begleiten uns Monster und Fantastic Beasts und es ist eben dieses „Phantastische“, das die so besonders macht. Fabelwesen sind Ausdruck menschlicher Vorstellungskraft. Sie liegen im „Dazwischen“ von Fiktion und Realität. „Die Faszination, die von Drachen, Einhörnern, Phönixen und anderen Fabelwesen ausgeht“, so der Evolutionsbiologe Josef Reichholf, „enthüllt bei genauerer Betrachtung wesentliche Aspekte unserer Menschennatur. Wir werden weit mehr von Gefühlen als von der Vernunft gesteuert. Das Geheimnisvolle lockt uns viel stärker als das Entdeckte und Aufgeklärte.“ (Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen, S. 10)
Fabelwesen sind in allen Kulturen der Welt zuhause. Damit wohnt ihnen eine geradezu einzigartige Beständigkeit inne. Ob als Projektionsfläche unserer Ängste, als Ausdruck des Unbehagens vor dem Unbekannten oder als Spiegel unserer Träume und Erwartungen, in Fabelwesen – ob lange bekannt oder neu geboren – offenbart sich immer eine ganz eigene Sicht auf unsere Welt und damit auch auf uns selbst. Ihre wahre Existenz bleibt verborgen. Und vielleicht macht gerade das, wie Reinholf sagt, ihre unerschütterliche Lebendigkeit aus.
Generell lassen sich Fabelwesen in Tiere und Mischwesen unterscheiden. Allerdings kann man den Begriff durchaus weiter fassen und ihnen auch Geistwesen oder Wesen der Kryptozoologie zuordnen, des weiteren fallen Dämonen, Monster, Götter und Engel unter diese Definition – im Grunde jedes Wesen, das der Mensch mit Hilfe der Imagination zu erschaffen in der Lage ist. Solange wir zur Fantasie fähig sind, existieren auch Fabelwesen. Diese können Wächter von Eingängen, Häusern, Palästen oder ganz allgemein von Grenzen sein (was die Grenze zwischen Leben und Tod mit einschließt), ebenso Begleiter, Glücksbringer, Mittler zwischen Menschen und höheren Mächten, Helfer, Unheilverkünder oder Beobachter. Sie können der Abschreckung dienen oder Menschen (aber auch Götter) in die Irre locken und töten. Sie können allegorisch sein oder reale Vorbilder besitzen.
Vor allem die bildende Kunst hat sich der Fabelwesen angenommen und sie stets aufs Neue zu entdecken verstanden. Seien es Bilder auf antiken Vasen, Plastiken, Münzen, Wandreliefs, Wasserspeier gotischer Kirchen oder kunstvolle Zeichnungen in mittelalterlichen Bestiarien. Auch in der Heraldik, der Wappenkunde, kommt man an Fabelwesen nicht vorbei. Oft bilden sie Schildhalterpaare. Genauso oft tauchen sie aber auch als Wappentiere selbst auf. Ob Greifenlöwen, Einhörner, Lindwürmer oder Zentauren. Alles ist möglich.
Fabelwesen sind zudem herrlich ambivalent. Sie können Naturkräfte bändigen, sie gleichzeitig jedoch auch überwinden und damit Schaden verursachen. Deshalb gelten sie quasi als die perfekte Verkörperung von Gut und Böse und oft genug als Symbol für das Andersartige, das Ungeheuerliche und damit das Chaos, das es zu überwinden gilt.
Im Jahr 2020 geht der Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie dem schier unerschöpflichen Thema „Fabelwesen“ auf den Grund. Dazu wollen wir uns mit den Wesen nicht nur in Vorträgen und Lesungen auseinandersetzen, sondern sie auch in Steckbriefen vorstellen und selbst über sich sprechen lassen. Die Reise beginnt in den nachfolgenden Kategorien.
Willkommen beim Mythisch-Literarischem Bestiarium.
Das Fabelwesen des Monats
Wie unter Menschen kommt es auch unter Fabelwesen vor, dass es welche gibt, die ganz besonders hervorstechen. Sei es durch ihre Bekanntheit, ihr Verhalten, ihre Funktion oder ihre Skurilität. Diese werden wir als „Fabelwesen des Monats“ ein wenig genauer unter die Lupe nehmen. Lassen Sie sich von der Auswahl einfach überraschen.