Magische Begegnungen, oder: Vom realen Zauber einer Ausstellung

„Der menschliche Geist ist allein der Vollbringer wunderbarer Werke, dass er sich mit einem jeden Geist, mit welchem er will, verbinden mag, und wann dies geschehen, so tut und wirkt er, was er will. Deshalb soll man in magischen Sachen vorsichtig handeln, damit einem die Sirenen und andere Monstra nicht betrügen, welche gleicher Weise mit den Menschen Gemeinschaft zu machen begehren. Daher berge sich ein rechter Magier allezeit unter den Flügen des Höchsten und lasse sich nit von den brüllenden Löwen verschlingen, denn die, welche nach weltlichen Dingen begierig sind, können schwerlich des Satans Stricken entfliehen.“

(Liber Arbatel, Basel 1575, Aphorismus XXXV)

Es ist ein Bild, das seinen Schöpfer nicht preisgibt. Niederrheinischer Meister heißt es in der Beschreibung des Museums der Bildenden Künste Leipzig. Um 1470 ist es entstanden. Öl auf Holz, 24 mal 18 Zentimeter klein und leicht zu übersehen. „Der Liebeszauber“ nennt es sich. Im Zentrum eine junge Frau im Zimmer eines Hauses, nackt und einzig mit Sandalen bekleidet, einen durchsichtigen Schleier um den rechten Arm geschlungen und ein Gefäß, aus dem Tropfen auf ein in einer Kiste verwahrtes Herz sprudeln, in derselben Hand haltend. Ein Hund liegt ihr zu Füßen. Ein Vogel blickt in Richtung des offenen Fensters. Durch die halb geöffnete Tür sieht man einen Mann mit sehnsüchtigem, aber seltsam starrem Blick in das Haus treten, während das Antlitz des Mädchens abschätzend bleibt, siegessicher, als wisse sie genau, was zu tun ist. Ob der Mann ein Verehrer ist und vom Duft der Tropfen angelockt wurde oder die Frau eine Hexe mit der Fähigkeit, jedes Herz für sich einzunehmen, das ihr beliebt, bleibt offen und am Ende, wie bei jeder Betrachtung, der Fantasie des Betrachters überlassen.

Der Liebeszauber, um 1470

Das Motiv des Liebeszaubers ist seit der Antike bekannt. Es beruht auf der Vorstellung, man könne das unwissende oder unwillige Objekt der Begierde mithilfe bestimmter Substanzen für sich einnehmen. Während Aphrodisiaka, u. a. gewonnen aus Alraune oder Sauerampfer, die sexuelle Lust und die Potenz steigern sollten, geht es beim Liebeszauber um das Erzeugen von echten Gefühle oder um die Versicherung der Treue des Gefährten/der Gefährtin. Die fatale Wirkung eines solchen Gebräus hat William Shakespeare in seinem „Sommernachtstraum“ auf die Bühne gebracht. Die Komponisten Richard Wagner, Gaetano Donizetti und Manuel de Falla haben das Motiv sogar musikalisch aufgegriffen. Der Liebeszauber gehört dabei zu einer ganzen Reihe von magischen Praktiken und Ritualen, die seit dem Hellenismus immer wieder in Zauberpapyri und magischen Codices auftauchen.

Magia. Magie. Magic. Ein Wort, das ursprünglich aus dem Persischen stammt und mit „mager“ Traumdeuter oder zoroastrischen Priester meint. Nicht erst seit Harry Potter ist Magie in aller Munde. Sie ist gewissermaßen so alt wie die Menschheit selbst. Die Universitätsbibliothek Leipzig hat ihr im Zeitraum von 15. November 2019 bis 16. Februar 2020 eine Ausstellung gewidmet, die vom Theologen Marco Frenchkowski kuratiert wurde. Die gezeigten frühneuzeitlichen Objekte, ausschließlich Bücher und Illustrationen der Leipziger Magica-Sammlung, die lange Zeit Teil der Leipziger Ratsbibliothek war und schließlich in den Besitz der Universität überging, enthalten Texte zur Alchemie, Zauberei, Hermetik, Kabbala und Astrologie.

„Es ist dies das größte einschlägige Textcorpus in einer öffentlichen Bibliothek in Europa, das einen einmaligen Blick in die Welt magischer Rituale erlaubt“, wirbt die Internetseite der Universitätsbibliothek mit ihrem 140 Handschriften umfassenden Schatz. Und auf den ersten Blick mag der Besucher ein wenig enttäuscht sein, offenbart sich der Zauber in all seiner Vielfalt doch in einem einzigen Ausstellungsraum. Auf den zweiten Blick wird allerdings schnell klar, dass hier anhand ausgewählter Codices eine wahre Fülle von magischen Themen dargeboten wird. Dabei handelt es sich bei den „How-to-do“-Texten vornehmlich um Gelehrtenmagie. Die unter Pseudonymen wie Salomon oder Paracelsus angegebenen Verfasser der akribisch zusammengestellten und mit großer Sorgfalt geschriebenen Bücher waren in der Regel Ärzte, Apotheker, Lehrer, Juristen, Buchhändler, Pfarrer oder Kaufleute. Unter anderem finden sich dort Handlungsanweisung, wie man einen Geist in eine Flasche einsperrt, wie man Wetterzauber durchführt oder welche Formeln, magischen Gebete und Sigillen (magische Zeichen, die aus miteinander verbundenen Buchstaben oder, in der Frühen Neuzeit, aus magischen Quadraten entstanden und den Wunsch des Benutzers manifestieren sollten) für eine Beschwörung Verwendung fanden.

Pizza-Brot, Zahlen und Schutzgeister

Einer der für post-moderne Augen skurrilsten Zauber der Ausstellung hat eine solche Beschwörung zum Anlass. Um einen Dämon, auftretend in der Gestalt eines schwarzen Mannes, erscheinen zu lassen, soll man diesem als Opfer ein Pizza-Brot überreichen. Als Gegenleistung wird man von ihm einen Mantel erhalten, der unsichtbar macht. Beim Ritual ist unbedingt darauf zu achten, dass dabei das Holz eines Galgens Verwendung findet. Dagegen hat die in einem anderen Zauberbuch beschriebene Zahlenmagie, die zur Mantik (Wahrsagung) verwendet wurde und die davon ausgeht, dass die Substanz der Welt auf Zahlen und Buchstaben beruht, d.h. jedes Wort einem Zahlenwert entspricht und jede Zahl einem Wort, fast schon etwas Konservatives an sich.

Pizza-Brot-Ritual, Cod. mag. 46, Blatt 2r

Großer Beliebtheit erfreuten sich auch Abschriften und Auszüge aus dem „Buch der wahren Praktik in der uralten göttlichen Magie„, welches auf Abraham von Worms zurückgeht, der vermutlich im 14. Jahrhundert ebenfalls unter Pseudonym schrieb. Dabei handelt es sich um einen der einflussreichsten Texte abendländischer Magie und in gewisser Hinsicht auch um eine Art „magische Bildungsreise“. In einem 18 Monate dauernden Ritual sollte es beispielsweise möglich sein, einen persönlichen Schutzgeist zu gewinnen. Dass Abraham Jude war, spielte in diesem Zusammenhang keine Rolle. Im Gegenteil: Die in der Renaissance wiederentdeckten jüdischen Quellen zur Mystik und Esoterik erfreuten sich bei den frühneuzeitlichen Zauberinteressierten außerordentlicher Beliebtheit und wurden als Werke besonderer Weisheit hochgeschätzt. Vor allem der „Schlüssel Salomons“ (Clavicula Salomonis) fand oft Verwendung. Dabei handelt es sich um ein König Salomon (König von Israel, 10. vorchristliches Jahrhundert) zugeschriebenes Zauberbuch. Dieses enthält Beschwörungen für Dämonen und Tote (Nekromantie), dazu Flüche und Anrufungen sowie Exorzismen, Anleitungen zur Verwendung und Herstellung magischer Werkzeuge sowie Anleitungen zum Tieropfer und zum Zwecke der Geisteranrufung.

Dämonische Reiter und magische Quadrate

Wie bereits beim Pizza-Brot-Zauber erwähnt, war die Beschwörung von Dämonen zur Erfüllung bestimmter Aufgaben eine äußerst reizvolle Thematik. Im „Experimentum Negromanticum“ der Leipziger Magica-Sammlung wird ein nächtlicher Zauber beschrieben, der im Wald stattzufinden habe und drei dämonische Reiter herbeirufen solle zu dem Zweck, Geld zu beschaffen. Ob dem Ritual Erfolg beschieden war, lässt sich freilich nicht nachprüfen.

Darüber hinaus hält die Ausstellung wissenswertes zur Alchemie bereit, ebenso Schriften zu magischen Alphabeten und zur Kryptografie sowie der Verwendung von magischen Ringen und magischen Quadraten. Eines der berühmtesten ist zweifellos das sogenannte „SATOR“-Quadrat, ein Satzpalindrom (die Wörter können vorwärts und rückwärts sowie horizontal und vertikal gelesen werden). Die Formel „SATOR AREPO TENET OPERA ROTAS“ (Übersetzungsvarianten: „Der Säman Arepo hält durch seine Mühe die Räder“ oder nach Umstellung „Vater unser, Anfang und Ende“) gilt seit der Antike als eine der wirksamsten Zeichenfolgen. Die Funktion des SATOR-Quadrats wird im Allgemeinen mit Schutz- und Abwehrzaubern in Verbindung gebracht und soll gegen Seuchen, Unheil, Krankheiten und bösen Mächten seine Wirkung tun.

Einzig den Liebeszauber sucht man in der Ausstellung der Universitätsbibliothek vergeblich. Der Besucher mag dies dennoch verzeihen, wird er doch mit einer Vielzahl magischer Schriften und Praktiken der Frühen Neuzeit belohnt, oftmals versehen mit faszinierenden Illustrationen und vor allem sehr informativen Texten. Ein hervorragender Anreiz, sich weiter und vielleicht auch ein wenig intensiver mit dem faszinierenden Thema Magie zu befassen.

Ein Beitrag von Dr. Constance Timm

Literaturhinweise:

www.uni-leipzig.de/+magica

www.ub.uni-leipzig.de/aktuelle-ausstellungen/zauberbuecher-die-leipziger-magica-sammlung-im-schatten-der-fruehaufklaerung/

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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