Magie und Technik: Parallele Denkungsarten?

Magie ist ein äußerst umfänglicher Themenkomplex, in dem mit unterschiedlichster Perspektive unterschiedlichste inhaltliche Aspekte näher betrachtet werden können. Das zeigt schon die erste Literaturrecherche oder ein Blick in die bisherigen Blog-Beiträge des Jahres. Eine Erörterung der dabei zentralen Begrifflichkeiten und Konzepte ist in einer solchen Situation zwar von entscheidender Bedeutung, doch kann das im vorgegebenen Rahmen an dieser Stelle kaum sinnvoll erfolgen. Deswegen möchte ich mich hier bescheiden und – gemäß des Titels – auf die begrenzte Themensetzung der parallelen Denkstrukturen von Magie und Technik fokussieren. Der Beitrag will dabei keinesfalls die Phänomene Technik und Magie gleichsetzen oder Magie vorschnell als eine Vorstufe von Technik und Wissenschaft (oder auch Religion) verstehen, wiewohl hierzu durchaus Ansatzpunkte vorhanden wären (vgl. Cassirer, bspw. 1994, S. 265). Vielmehr geht es darum, ähnliche Impulse und Denkmuster zu benennen, die sowohl der Magie als auch der Technik zugrunde liegen.

Minimale Begriffsklärung

Um eine knappe Erläuterung, wie der Begriff Magie gebraucht wird, kommen wir aber nicht ganz umhin. Die durchaus interessante und den Sinn des Wortes prägende Etymologie wie auch historisch-kulturelle Besonderheiten, seien hier ausgespart und auf entsprechende Nachschlagewerke verwiesen (RGG Bd. 4, S. 662ff). Frenschkowski hat hierzu ebenfalls wichtige Aspekte zusammengefasst (2016, S. 57-84). Allgemein ist es sinnvoll, den Begriff ‚Magie‘ als ein „randoffenes Hinweis- und Deutwort“ zu verstehen, da durchaus „massive, erklärungsbedürftige Analogien und interkulturelle Rezeptionsphänome“ existieren (Frenschkowski 2016, S. 41, ähnlich auch S. 22 und 24). Spezifisch meint ‚Magie‘ im Folgenden Handlungen/Riten und dazugehörige Vorstellungen, deren gesellschaftliche Anerkennung und Bekanntheit schwanken, also aus einem umfassenderen, verbindlichen gesellschaftlichen Rahmen herausfallen, tlw. auch direkt allgemein gültige Riten ignorieren oder sich über diese hinwegsetzen. Weiterhin sind magische Handlungen und Riten sehr konkret und auf die Einflussnahme einer gegebenen Realität gerichtet (letzteres vgl. die Zitierung von Harari in Frenschkowski 2016, S. 35).

Erklärungsbedürftig ist weiterhin der zweite Hauptbegriff des Beitrags, nämlich ‚Technik‘. Hergeleitet vom griechischen techne, Kunst, Können, wird es gemäß der „Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie“ in dreifacher Hinsicht gebraucht: 1. im Sinne der „Beherrschung eines Handlungsschemas“, 2. im Sinne der „Bereitstellung oder Beherrschung von Mitteln für feststehende Zwecke“ oder 3. im Sinne der Produkte von Konstruktionen, wie bspw. Geräte und Maschinen (Mittelstraß, 2004, Bd. 4, S. 215). Unsere Perspektive liegt der Begriff Technik vor allem im Sinne der zweiten Kategorie zugrunde, ohne die anderen beiden gänzlich auszuschließen.

Fünf Parallelen zwischen Magie und Technik

Nach dieser reduzierten Skizze, wie Magie und Technik im Folgenden verstanden werden, stellt sich nun die Frage, worin denn die mutmaßlichen parallelen Impulse bzw. Muster beider Phänomene liegen. Landläufig werden beide Phänomene zunächst ja eher als im Gegensatz zueinander stehend, nicht als verwandt gedacht. Doch bei einer weiteren Annäherung fallen schließlich deutliche Parallelen auf. Diese seien hier in Form von fünf Punkten vorgestellt. Diese Zahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ist nicht absolut zu nehmen, möglicherweise ist sie erweiterbar oder auch reduzierbar.

Als erstes gehört dazu, dass sowohl magisches als auch technisches Handeln genuin poietischen Charakter tragen, entweder die Herstellung eines Artefakts, dass einen bestimmten Zweck dient, im Mittelpunkt steht, oder die Handlung selbst einen Zweck verfolgt und keine praxis im aristotelischen Sinne darstellt. Magie ist also keine Tun um seiner selbst Willen, genau so wie Technik kein bloßes Spiel ohne Hintergedanken ist. Das schließt nicht aus, dass das bloße Spiel in Anfangsstadien einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Genese leistet.

Zweitens sind die anvisierten Ziele in beiden Fällen nahezu deckungsgleich: Die Magie bezweckt fast immer die Bereitstellung „weltlicher Güter“, sei es im individuellen Rahmen oder der einer größeren Gruppe. Durch die Riten wird bspw. versucht, Reichtum oder Macht zu gewinnen, die Fruchtbarkeit der Landwirtschaft zu gewährleisten oder Glück im Kampf herbeizuführen. Die Technik operiert innerhalb des selben Motivsubstrates von materiellen Bedürfnissen und wird entsprechend u.a. genutzt, um Wohlstand zu mehren (z.B. Produktionssteigerung in beliebigen Bereichen) oder Herrschaft zu sichern bzw. herzustellen (z.B. Waffentechnik und -gebrauch).

Drittens ist das jeweils verfolgte Ergebnis durch übliches Handeln eines einzelnen (oder weniger Personen) nicht ohne weiteres herstellbar, d.h. es erscheint zunächst grundsätzlich nicht erreichbar oder ist von zahlreichen Faktoren abhängig, die es unsicher machen und worüber keine Kontrolle besteht. Im magischen wie im technischen Handeln geht es nun um die Erlangung bzw. Erweiterung der Wirkmächtigkeit, um den Gewinn von Kontrolle bzw. Souveränität über den jeweils anvisierten Sachverhalt und damit um Sicherheit im entsprechenden Bereich. Entsprechend ist der „Macht-Gedanke“ (Begrifflichkeit s. auch HPW, Bd. 5, S. 631 im Kontext zur Magie) in beiden Fällen nicht unerheblich vorhanden.

Viertens existieren in der Magie, wie in der Technik, verbindliche, zu befolgende Handlungsmuster. D.h. ein magisches Ritual ist in seinem Ablauf strikt geregelt und es wird die größte Sorgfalt und Genauigkeit bei seiner Ausführung gefordert. Ist dies nicht der Fall, funktioniert das Ritual nicht bzw. kann es zu schwerwiegenden Zwischenfällen kommen (Schadenzauber trifft den Falschen o.ä.). Selbiges gilt für die Technik. Es müssen Protokolle und Sicherheitsvorschriften eingehalten werden, weil das Ganze sonst nicht funktioniert, fehlerhafte Ergebnisse zeitigt („Ausschuss“) oder gar in schwere Unfälle münden kann („Gau“).

Und fünftens hinsichtlich sozusagen des gesellschaftlichen Standes: Wiewohl Technik in der menschlichen Gesellschaft relativ weit akzeptiert ist und dies auch historisch in früheren Gesellschaft oft war, gibt es doch immer wieder (vor allem ab dem 19. Jh.) nicht wenig Fälle, in denen gegen Technik polemisiert wird oder ethische Debatten um sie entbrennen, was einerseits in den durch sie entstehenden Möglichkeiten, einschließlich der negativen Auswirkungen, andererseits in der begrenzten Verstehbarkeit ihrer Funktionsweise begründet liegt. Etwas Ähnliches findet sich auch in der Magie: Auch sie ist für die meisten in der Art, wie sie funktioniert völlig unklar, es benötigt den Magie-Experten zu ihrer Durchführung, der seinerseits wiederum als mit einer Macht versehen erscheint, der man mit Vorsicht begegnet. Und auch gegen die Magie wurde schon immer aus verschiedenen Warten her polemisiert und sie steht – viel stärker noch als Technik – im Ruf eines zweifelhaften Unterfangens.

Parallelen der Denkungsart bei deutlichen Unterschieden im Detail

Wie aus den fünf genannten Punkten deutlich wird, scheint also sowohl in der Magie als auch in der Technik ein expertisebedürftiges, zweckrational-ergebnisorientiertes und Kontrolle begehrendes Tun zur zentralen Charakteristik beider Phänomene zu gehören. Das mutet für die Technik banal, für die Magie tlw. etwas widersprüchlich an, da sie doch offenbar mit mindestens einem Bein im Aberglauben zu wurzeln scheint. Dieser Widerspruch löst sich aber auf, wenn man von der verwirrenden Vielfalt der verschiedenen Vorstellungen und Praktiken – die zuweilen alles andere als rational anmuten können – abstrahiert und die Grundstruktur herausstellt. Dann ist Magie eben wie die Technik das schon genannte expertisebedürftige, zweckrational-ergebnisorientierte und Kontrolle begehrende Handeln – egal, wie eigentümlich und irrational es im Detail erscheinen mag (HWP Bd. 5, S. 631 spricht von „außerrationalem zweckhaftem Handeln“).

Angesichts der strukturellen Deckungsgleichheiten von Magie und Technik ist nicht verwunderlich, dass Religion bzw. Theologie beiden Phänomenen nicht selten vorsichtig (oder auch feindselig) gegenübergetreten sind (vgl. hier bspw. die differenzierten Ausführungen Frenschkowskis 2016). Dem genuin religiösen Weltzugang geht es wesentlich um Ausformung von Spiritualität, die Annahme dessen was geschieht, um Vertrauen auf das, was geschieht und in asketisch-mystischer Form um Ausräumung dessen, was überflüssig ist und die Beschränkung auf das Notwendige (vgl. hier bspw. die Haltung der islamischen Mystiker zu den Mitteln, asbāb, wie bei al-Ghazali in Wehr, S. 48ff geschildert). Das steht in deutlichem Gegensatz zu Magie und Technik, in denen Materialismus, Einflussnahme, Kontrolle und Vervielfältigung doch sehr zentrale Anliegen sind. Dieser Gegensatz ist zugegebenermaßen sehr schematisch gedacht und cum grano salis zu verstehen, da es zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Kulturen die unterschiedlichsten Mischformen, gerade von Religion und Magie gegeben hat und Magie bzw. Technik im religiösen Denken teils auch schlicht akzeptiert wurden bzw. werden können. Nichtsdestoweniger bleibt aber der Gegensatz in Hinblick auf die grundsätzlichen Beweggründe bestehen.

Interessant und einer näheren Betrachtung wert wäre schließlich das spezifische Verhältnis der Magie zur Technik. Denn wie beschrieben teilen sie viele ihrer Handlungsstrukturen und Ziele, so dass in ihnen nicht ein jeweils wesentlich verschiedener Denkansatz zu Grunde zu liegen scheint, sondern vielmehr eine Konkurrenz innerhalb der selben Domäne. Das näher zu ergründen würde aber eine genauere Rechenschaft über die Unterschiede beider, wie auch der Rolle der Wissenschaft, erfordern. Das zu behandeln kann hier nicht der Ort sein. Hier sei mit der Erkenntnis Genüge getan, dass Magie und Technik – trotz ihrer augenscheinlichen und nicht geringfügigen Unterschiede – offenbar doch Geschwister im Geiste sind.

Ein Beitrag von Dr. Markus Walther


Eingangsbild:

Eigene Aufnahme, Detail einer Replik eines Astrolabiums.


Literaturhinweise:

Cassirer, E., Philosophie der symbolischen Formen – 2. Teil: Das mythische Denken, Darmstadt 1994.

Frenschkowski, M., Magie im antiken Christentum – Eine Studie zur Alten Kirche und ihrem Umfeld, Stuttgart 2016.

HWP, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, Basel 1980.

Mittelstraß, J. (Hg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4, Stuttgart-Weimar 2004.

RGG, Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 4, Tübingen 2002.

Wehr, H., Vom Gottvertrauen, in: Islamische Ethik, Hildesheim-New York, 1979.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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