Es ist vielleicht DER kultigste Weihnachtsfilm in Deutschland, obwohl sich darüber natürlich streiten ließe. Der DEFA-Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ aus dem Jahre 1973 erzählt auf charmant-fantastische Weise die Geschichte des Aschenbrödels. Trotz der gemeinen Albernheiten ihrer Stiefmutter und Stiefschwester schafft es das Mädchen durch ihr eigenwilliges, cleveres Wesen – und drei magische Haselnüsse – den leichtlebigen Prinzen zu treffen, diesen in ihren Bann zu schlagen und schließlich zu heiraten.
Zugrunde liegt dem Film das gleichnamige Märchen aus der Feder der tschechischen Schriftstellerin Božena Nĕmcová (1820-1862), dessen Stoff für die Filmadaption jedoch stark verändert wurde. An sich vereint das Kunstmärchen viele Aspekte anderer Märchenversionen.
Ebenso wie in der Aschenputtel-Version der Brüder Grimm lebt Aschenbrödel in Nĕmcovás Märchen bei ihrem Vater, der nicht verhindert, dass die Stiefmutter und Dora, die Stiefschwester, ihr das Leben zur Hölle machen. Als der Vater eines Tages auf eine Messe fährt, fragt er seine Töchter, was er ihnen aus der Stadt mitbringen soll. Dora wünscht sich schöne Kleider und Schmuck, das gute Aschenbrödel, oder Aschenputtel, wie es hier auch genannt wird, will nur „das erste Reis, dass Euch [dem Vater] ins Gesicht schlägt”; ein ungewöhnlicher Wunsch, der jedoch ihr Glück machen wird. Hier ähnelt Nĕmcovás Märchen dem Anfang der französischen Version von „Die Schöne und das Biest“, veröffentlicht 1756 von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont. Dort wünschen sich Belles leichtlebige Schwestern ebenfalls schöne Kleider und Schmuck, während Belle nur eine Rose möchte.
Aschenputtels Vater wird jedoch von keinem Biest überfallen und bedroht. Nach getanen Geschäften kehrt er samt Kleidern und Schmuck im Gepäck nach Hause zurück und auch der Haselstrauch schlägt den unachtsamen Mann ins Gesicht – ein Zweig mit drei Haselnüssen.
Daheim angekommen, verspotten Stiefmutter und Stiefschwester das Aschenputtel wegen ihres bescheidenen Geschenks, doch das Mädchen lässt sich nicht beirren. Sie möchte gern mit den beiden am Sonntag zur Kirche gehen, wird aber abgewiesen – sie sei schmutzig und so könne man sich nicht sehen lassen. Boshaft mischt die Stiefmutter Linsen in die Asche und Aschenputtel muss sie bis zum Ende des Kirchgangs ausgelesen haben. Dies erinnert erneut an das Märchen der Gebüder Grimm. Auch hier muss Aschenputtel diese Sortierarbeit tun, nachdem Erbsen und Asche gemischt wurden.
Als sich Aschenputtel am Brunnen waschen will, fällt ihr der Haselreis unter Klagen in den dunklen Schacht. Doch sie hat Glück – ein Frosch springt heraus und überreicht ihr eine der Haselnüsse, ähnlich dem Froschkönig im gleichnamigen Grimm Märchen, welcher der Prinzessin ihre goldene Kugel zurückbringt. Doch der grüne Geselle will kein Heiratsversprechen. Die Nuss soll sie öffnen „und was du drinnen findest, ist dein“.
Und tatsächlich – beim Öffnen fällt ein ‚Sonnenkleid‘ heraus, leuchtend schön. Diesen Teil des Märchens behält die Verfilmung bei und zaubert Aschenbrödel ein Jagdkostüm, ein Ballkleid und ein Brautkleid. Aschenputtel erhält zudem Hilfe von den Tauben, sowohl beim Auslesen der Linsen und im Märchen auch beim Ankleiden. Niemand erkennt die strahlende Jungfrau, die durch einen kleinen Zauberspruch – „Nebel vor mir, Nebel hinter mir, über mir die Sonne!“ – ungesehen zur Kirche gelangt und schließlich auch ungesehen wieder verschwindet. Letzteres sehr zum Verdruss eines jungen Fürsten, welcher vollkommen fasziniert gern mehr von ihr erfahren hätte. Doch niemand – auch nicht die eigene Familie – erkennt Aschenputtel. Als Stiefmutter und Stiefschwester zuhause ankommen, trägt sie schon wieder ihr schmutziges Gewand. Die erste geöffnete Haselnuss hat sie dem Frosch zur Bewachung anvertraut.
Jeder, der den Film kennt, hat sich vermutlich schon über die verdutzte Blindheit des Prinzen amüsiert, der Aschenbrödel in ihren gezauberten Kleidern nie wiedererkennt und das, obwohl er sie schon mehrmals getroffen hat. In der literarischen Vorlage läuft am darauffolgenden Sonntag das gleiche Spiel – Aschenputtel darf nicht mit zur Kirche und soll stattdessen Mohn aus Gerste lesen.
Der treue Frosch bringt die zweite Nuss und das Mädchen findet darin ein silbrig glänzendes ‚Mondkleid‘. Auch die Tauben sind erneut zur Stelle und so macht sie sich nach kurzer Zeit wieder ungesehen zur Kirche auf. Die Versammelten staunen und kaum ist der Kirchgang beendet, eilt Aschenputtel davon. Diesmal versucht der verliebte junge Fürst sie noch einzuholen, doch die mysteriöse Jungfrau löst sich vor seinen Augen in Luft auf. Das nächste Mal, schwört er sich, wird sie nicht so einfach verschwinden.
Unter den Bewohnern des Königreichs herrscht pure Ratlosigkeit – keiner weiß, wer die junge Frau ist, die sonntags in Kleidern wie Sonnen- und Mondlicht zur Messe kommt. Durch das Gerede der Leute erfährt Aschenputtel auch, dass der Fürst nach ihr forscht.
Am dritten Sonntag schüttet die Stiefmutter Hanfsamen in den Aschekübel, worüber Aschenputtel den Gram nur noch oberflächlich zu überspielen vermag. Die Tiere helfen ihr noch einmal und die letzte der drei Haselnüsse enthält ein Kleid aus lauter Edelsteinen, ein ‚Sternenkleid‘. Freundlich verabschiedet sich der Frosch und wünscht ihr alles Gute, bevor Aschenputtel zur Kirche eilt. Dort warten alle gespannt darauf, ob die geheimnisvolle Jungfrau nochmals auftauchen wird, allen voran der verliebte Fürst. Plötzlich, von allen unbemerkt steht sie vor dem Altar „wie der klare Abendstern, wenn er in der Dämmerung am Himmel aufleuchtet“.
Da sie glaubt, es sei ihre letzte Chance, betrachtet auch Aschenputtel den Fürsten eingehender; dieser erwidert ihre Blicke. Wieder will sie entfliehen, doch der Fürst verstellt ihr diesmal den Weg – woher sie käme und ob er sie begleiten dürfe, fragt er. Vollkommen perplex bekommt das arme Aschenputtel kein Wort heraus, schüttelt nur den Kopf und verschwindet mithilfe ihres Zaubersprüchleins. Doch rechnet sie nicht mit der List des Fürsten, welcher die Straße vor der Kirche mit Pech bestreichen ließ und in dem einer ihrer Schuhe stecken bleibt. Zuhause erfährt Aschenputtel durch das Geplapper der Frauen, dass der Prinz mit dem Schuh von Haus zu Haus gehe, um die geheimnisvolle Jungfrau zu finden. Das Mädchen, dem der Schuh passt, wird seine Frau.
Aufregung erfüllt Aschenputtels Heim, als der glücklose Prinz schließlich bei ihnen ankommt. Grimmig verbirgt die Stiefmutter Aschenbrödel unter einem Bottich, während die Stiefschwester Dora den Schuh anzieht, doch er passt nicht. Kurzerhand schneidet die Mutter der eigenen Tochter die Zehe ab, um den Fuß in den kleinen Schuh zu zwingen – ein Betrug, der auch in Grimms Märchen an den Stiefschwestern verübt und dann durch die Tauben aufgeklärt wird. Dort nimmt der arglose Prinz die Mädchen bereits auf seinem Pferd mit, bei Nĕmcová zweifelt der Fürst noch im Haus. Ein Hahn ist es schließlich, der die Lüge der Stiefmutter entlarvt und verkündet: „Kikiriki, die Rechte ist auch hie!“. Diese Meldung erinnert stark an den Ausruf des Hahns im Märchen „Frau Holle“, der die Rückkehr der einen oder anderen Marie vermeldet.
Der Fürst befiehlt nun dem Hausvater, der aus Furcht vor seiner Frau geschwiegen hat, seine andere Tochter herbeizuschaffen. Aschenputtel kommt unter dem Bottich hervor, rennt jedoch unter dem Vorwand sich waschen zu wollen zum Brunnen. Dort zieht sie die Nuss mit dem Sonnenkleid hervor, kleidet sich an und versteckt die übrigen Nüsse im Mieder. Die drei Kleider in den Farben der Gestirne, welche allesamt in eine Nussschale passen, entstammen dem Märchen „Allerleirauh“, in dem eine Prinzessin vor ihrem Vater flieht und die diese glitzernden Stoffe als einzige Kleider mit sich nimmt.
Mit nur einem Schuh betritt Aschenbrödel das Haus und plötzlich fällt es den Anwesenden wie Schuppen von den Augen: Sie ist die schöne, geheimnisvolle Jungfrau! Der Vater freut sich ungemein, Stiefmutter und Stiefschwester grämen sich und werden bleich vor Neid, als Aschenputtel die Geschichte der drei Haselnüsse erzählt. Dora muss den Schuh hergeben. Dieser wandert, perfekt passend, and den Fuß der rechtmäßigen Besitzerin. Die Verliebten sind vereint, der Vater gibt seinen Segen zur Hochzeit. Glücklich begibt sich das Paar zum Wagen des Fürsten und sie fahren davon.
„Als Aschenputtel sich in den Wagen setzte, drehte es sich noch einmal nach dem Brunnen um und dankte dem guten Fröschlein – der Hahn und die Täubchen aber kamen herbei, und der Hahn setzte sich auf den Wagen, die Täubchen flogen über der Kutsche. Auch den alten Vater nahm der Fürst mit sich, und in der Hütte blieben die böse Stiefmutter und Dora allein zurück – ohne Liebe und ohne Freude.“
Tiere haben in Märchen seit jeher eine große Rolle gespielt, meist als Freunde, Begleiter und Belohner für gutherzige Menschen. Während im Märchen der Frosch als Verwalter der Haselnüsse fungiert, bewacht die Eule Rosalie den Schatz im Märchenfilm. Ein Film, der Nĕmcovás Märchenstoff mit Witz und Tiefe aufgreift und jedes Jahr zur Weihnachtszeit Groß und Klein aufs Neue zu verzaubern versteht.
Ein Beitrag von Pia Stöger
Literaturhinweis:
Božena Nĕmcová (Hrsg.), Slovakische Märchen. Übersetzt von Dr. Peter Hrivnák. Bratislava: Mladé Letá, 1978.
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.