„Wenn man beim Gehen viel denkt, spielt Entfernung keine Rolle mehr.“ (Elmar Schenkel)
Haben Sie schon einmal mit dem Gedanken gespielt, auf Weltreise zu gehen? Wenn ja, welche Länder, Städte oder Landschaften würden Sie wählen? Mit welchem Transportmittel würden Sie reisen? Flugzeug? Schiff? Auto? Zug? Oder gar zu Fuß? Wer sollte sie auf der Reise begleiten? Und wem würden sie gern begegnen wollen? Reisen ist nicht gleich Reisen und Reise nicht gleich Reise. Reisen bedeutet nicht nur metaphorisch einen Fuß vor den anderen zu setzen, sondern auch neugierig zu sein, zu sehen, zu erkennen, sich inspirieren zu lassen, zu reflektieren etc. Der Weg ist das Ziel. Und die Strecke bis zum Ankommen gleicht einer Suche nach dem Unbekannten um uns und in uns.
Das Reisen spielt eine zentrale Rolle in den Werken von Elmar Schenkel. Entdecken. Erzählen. Sprechen. Verbinden. Fantasieren. Fortbewegen. U. a. auch mit dem Fahrrad, welchem der Anglist und Schriftsteller den Essay „Cyclomanie: Das Fahrrad und die Literatur“ (2008) gewidmet hat.
Und irgendwie muss man an Elmar Schenkel denken, wenn es im Zuge der zur Ausgrabung des antiken Babylon (1898-1917 geleitet durch den Architekten Robert Koldewey) pilgernden Besucher heißt: „Zu Besuch kamen Fürsten, Diplomaten, Kaufleute aus Bagdad, Reisende, ganze Expeditionsgruppen, Gelehrte und sogar ein Weltreisender aus Deutschland. Es handelte sich um einen […] Mann aus Leipzig, der aufgrund einer Wette mit dem Fahrrad um die Welt unterwegs war – und zwar ohne einen Pfennig in der Tasche. Wir genossen seine abenteuerlichen Geschichten, mit denen er uns am Abend unterhielt. Einmal sei er durch eine Gegend gefahren, in der man offensichtlich Fahrräder nicht kannte. Die Menschen, die ihn wohl für einen Teufel hielten, versuchten ihn festzuhalten und verfolgten ihn. Nur mit Hilfe einer Gummipeitsche konnte er sich gegen sie wehren.“ (Leurpendeur, Babylon wird ausgegraben, S. 86)
Wenn einer eine Reise tut … oder: in 80 Büchern um die Welt. Aber: Passt die Welt in 80 Bücher? Oder wären es nicht doch 80 Welten, die sich uns in den Seiten lesend offenbaren?
Neben Reisebüchern zu Rumänien, Indien, Japan oder Mitteldeutschland finden sich in Elmars Schenkels umfangreichen Oeuvre Biografien, Essays, Gedichte und Romane. Und immer spielt das Reisen schon in den Titeln eine Rolle: U. a. „Der magische Globus“ (2012), „Vom Rausch der Reise“ (2012), „Reisen in die ferne Nähe: Unterwegs in Mittedldeutschland“ (2013), „Fahrt ins Geheimnis: Joseph Conrad“ (2015), „Unterwegs nach Xanadu: Begegnungen zwischen Ost und West“ (2021), „Ostwind, Westwind: Begegnungen zwischen Asien und Europa“ (2023). Dass sich auch eine Reise zu den Sternen lohnt, beweisen die Werke „Sonne, Mond und Ferne: Der Weltraum in Philosophie, Politik und Literatur“ (2013) oder „Keplers Dämon: Begegnungen zwischen Literatur, Traum und Wissenschaft“ (2016).
Reisen, das bedeutet bei Elmar Schenkel immer auch über den Tellerrand hinaus zu blicken. Ob Mythologie (u. a. „Tolkiens Zauberbaum“, 2013), Geologie („Im Zeichen der Feuerberge – ein Gespräch über Vulkane in Mythologie und Literatur“, 2010), Sprache („Befragung der Schwalben: Notizen und Aphorismen“, 2012), Kultur, Philosophie (u. a. „Wahre Geschichten um Friedrich Nietzsche“, 2023), Religion, Poesie oder Kunst. Es gibt kaum ein Gebiet, das den Universalinteressierten, der 1953 in Oestinghausen bei Soest/Westfalen geboren wurde, bis 2019 am Lehrstuhl für Englische Literatur der Universität Leipzig gewirkt hat und im selben Jahr auch den Vereinsvorsitz beim Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V. übernommen hat, nicht in den Bann zu schlagen vermag.
Dass ihn auch die bildende Kunst schon lange begleitet, dokumentiert der Band „Orte träumen in Farbe“ (2019), der sich vor allem Elmar Schenkels Acrylmalerei seit 2000 widmet. Landschaften, Städte, Gesichter, Menschen kann man auch auf Leinwänden begegnen. Eine sehr persönliche Reise, auf die Betrachterinnen und Betrachter mitgenommen werden. Reisen – Erzählen – Zeichnen. Die Erinnerung an einen Augenblick, um diesen der Welt auf ganz eigene Weise ins Gedächtnis zu schreiben.
Auch der anlässlich des 70. Geburtstags von Elmar Schenkel erschienene Band „Verzeichnet Verschrieben – Skizzen und Notizen“ gibt Einblicke in kleine und große Welten, zeigt bild-und worthafte Verwerfungen, „Risse und Ritzen in dem Mauerwerk, das uns die Welt zusammenzuhalten scheint“, mal schwarz-weiß mal in Farbe, entstanden zwischen 1973 und 2023 „auf Reisen oder in Wartezeiten“. Eine weitere Weltreise, die am Ende mehr Lust auf noch mehr Reisen macht. Denn Reisende sind und bleiben wir ein Leben lang, ob wir wollen oder nicht. Und so heißt es auch so treffend in den die Bilder begleitenden Aphorismen: „Wir sind blinde Passagiere auf einem Schiff, dessen Ziel uns unbekannt ist“.
Der Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V. gratuliert Elmar Schenkel zu seinem Jubiläum, auf dass das Reisen mit all seinen Inspirationen, Geschichten und Herausforderungen noch lange (auch in unserem Blog) weitergehen möge.
Buchtipp:
Verzeichnet – Verschrieben. Skizzen und Notizen. Edition vulcanus, Leipzig 2023.
Artikel von Elmar Schenkel im MYTHO-Blog:
Zwischenraum, hindurchzuschaun: Mit einem Gruß an die Zaungeister
Roger Callois: Der Mythos und der Mensch
Eine Reise ins mythische und reale Tamil Nadu
Erika Taube: Briefe aus der Mongolei (1966-1987)
Rumänische Phantastik oder Wie ich Mircea Eliade wieder entdeckte
Der Detektiv und der Philosoph
Wie die Sterne an den Himmel kamen
Der Wandelbare. Rezension zu einer neuen Biographie von Rudolf Steiner
Go East 4.0 – Dao kommt nach Westen. Wege des Daoismus durch die moderne Kultur
Go East 3.0 – Abenteuerliche Pilgerin im Himalaya: Alexandra David-Néel
Go East 2.0 -Tibetische Horizonte: Shangri-La und Shambhala
Go East 1.0 – Der Mönch und der Khan: Wilhelm von Rubruk reist im 13. Jahrhundert in die Mongolei
„Ich bin Mystiker und glaube an nichts“. Eine Erinnerung zu Gustave Flauberts 200. Geburtstag
Franziska Meier: Dante-Rezeption nach 1800
Der Traum vom Raum. Warum sich Milliardäre in den Himmel schießen lassen
Terra Incognita TUVA. Eine Reise zu Nomaden, Musikern und Schamanen
Zauberwort und Wortzauber – Magie in Sprache und Literatur
Peter Hunt: Die Erfindung von Alice. Wie alles begann
Planet Dante. Ein Reisebericht
Kosmologie und Literatur I: Von Dante zur Science Fiction
Das Holi-Fest: Farben, die um die Welt gehen
Dekadenz und Arbeit – Ein Abend über Wolfgang Hilbig, Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud
Mythische Exkursionen: Nietzsche, Röcken und die Schamanin von Bad Dürrenberg
Der Mythos in den Zeiten von Corona – An die Leser unseres Blogs
Zwischen Mythen, Religion und Geschichte – Eine Reise nach Israel
Sibirische Mythen – Eine Reise nach Jakutien
Zukunft im Digital: Über Hoffnung und Angst in der Utopie
Possen, Spiel und Hochstapelei, oder: Der Weg des Tricksters
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