Herkules und die Pygmäen

Die 12 Taten des Herakles – Teil 3

Begleitend zur vierten Folge unseres Heldenspecials im MYTHO-Cast sollen hier zwei weitere Darstellungen des Herkules vorgestellt werden, nämlich eben jene, die den Halbgott unter Pygmäen zeigen: Lucas Cranachs „Der schlafende Herkules und die Pygmäen“ und „Der erwachte Herkules vertreibt die Pygmäen“ (beide 1551, heute Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden).

Die Bildtafeln gehören zu den originellsten Darstellungen ihrer Zeit und wurden von Kurfürst Moritz von Sachsen (1521-1553) in Auftrag gegeben. Sie waren Teil der Ausstattung der Fest- und Repräsentationsräume des Dresdener Residenzschlosses. Ursprünglich hing dort bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch ein drittes Gemälde Cranachs, welches Herkules im Kampf mit dem Riesen Antäus zeigte; es befindet sich jedoch mittlerweile in unbekanntem Privatbesitz.

Lucas Cranach d. J. (1515-1586) zählt mit seinem Vater Lucas Cranach d. Ä. zu den einflussreichsten Malern seiner Zeit. Als er in die Werkstatt seines Vaters eintrat, in der er vermutlich auch seine Ausbildung erfahren hatte, war diese in der Residenz- und Universitätsstadt Wittenberg bereits bestens etabliert. Nachdem sein Bruder Hans 1537 verstorben war, übernahm Lucas d. J. dessen gesellschaftlichen Aufgaben. Nach dem Weggang des Vaters, der seinem besiegten Dienstherren Herzog Johann Friedrich der Großmütige gefolgt war, führte er ab 1550 die Werkstatt allein weiter und schuf für namhafte Auftraggeber eine Vielzahl an bedeutenden Werken; dazu zählten Tafelgemälde mit profanen und religiösen Motiven sowie Porträts und Druckgrafiken.

Das eher ungewöhnliche Sujet der beiden Herkules-Tafeln geht zurück auf eine Beschreibung antiker Gemälde durch Flavius Philostratos (um 165/70 – 245 n. Chr.) In den Bildbeschreibungen – griech. Eikónes – erzählt dieser, dass er Gemälde, auf welchen der Kampf des Herkules mit den Pygmäen dargestellt war, in einer Galerie in Neapel gesehen hätte (in der Kunstforschung ist jedoch umstritten, ob es diese Galerie tatsächlich gegeben hat). Der griechische Text wurde erstmals 1503 in Venedig verlegt, eine Übersetzung ins Lateinische wurde 1532 in Basel gedruckt. Cranach wird sich jedoch eher an italienischen Künstlerkollegen orientiert haben, welche das Motiv bereits vor ihm verarbeitet hatten. Hier sei vor allem Dosso Dossi (1469-1542) genannt, der 1535 für den Hof in Ferrara ein entsprechendes Gemälde geschaffen hatte, auf dem der Ferraeser Regent Ercole (dt. Herkules) II. d‘Este in einem Kryptoporträt unter Pygmäen gezeigt wird. (Kryptoporträts sind Bildnisse historischer Personen, welche durch Künstler in christliche, mythologische oder allegorische Bildthemen übernommen werden, wodurch das jeweils dargestellte Sujet um eine weitere Sinnebene ergänzt wird.)

Der sächsische Fürst Moritz war Fürst der albertinischen Linie des Hauses Wettin; 1547 wurde er zum sächsischen Kurfürsten ausgerufen. Um Verbündete gegen Kaiser Karl V. (1500-1558) zu gewinnen, weilte Moritz um 1549 am Hof des Herzogs von Ferrara, wo er sicherlich Dossis Gemälde sah und vermutlich an dessen eigenwilliger Motivik Gefallen fand. Cranachs Herkules-Tafeln entstanden zwei Jahre nach besagtem Aufenthalt. Es ist durchaus möglich, dass Moritz sich ebenfalls entsprechend als überlegener Herrscher zu inszenieren dachte wie der italienische Regent, denn „der ruhende Herkules kann mühelos als Sinnbild des souveränen Fürsten verstanden werden, der sich von unterlegenen Gegnern nicht beeindrucken lässt.“ (Müller, 2009, S. 51)

Im Vordergrund der beiden Gemälde befinden sich jeweils eine Anzahl Pygmäen, die von ihrer Kleidung und den Barttrachten hier zunächst wie Zwerge erscheinen. Pygmäen (altgriech. πυγμαῖος pygmaíos) bedeutet „Fäustling“ oder „von der Größe einer Faust“. Bis in die Frühe Neuzeit glaubte man durchaus an die Existenz dieses sagenhaften kleinwüchsigen Volkes. Erst im 19. Jahrhundert übertrug man die Bezeichnung „Pygmäen“ auf Gesellschaften in Zentralafrika, denen eine geringe Körpergröße zu eigen ist. 

Lucas Cranach: „Der schlafende Herkules und die Pygmäen“, 1551, Öl auf Lindenholz, 189 x 259 cm, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden © Foto: Isabel Bendt, Privat

Im ersten Gemälde sehen wir den Halbgott schlafend (wohl erschöpft vom Kampf mit Antäus) an den Stamm einer mächtigen Eiche gelehnt, während das kleine Volk mit einer Vielzahl unterschiedlichster Waffen gegen ihn vorrückt: Pfeil und Bogen, Flinten, Sägen, Schwerter, Lanzen, eine Axt und anderes mehr. Cranach schwelgt hier sowohl in großem Farben- als auch Detailreichtum; so gleicht keine Waffe der anderen, auch die Gewänder der Figuren sind höchst abwechslungsreich gestaltet. Das im Vergleich zu anderen Bildern aus der Cranach-Werkstatt relativ große Format wird der Künstler nicht zuletzt gewählt haben, weil somit die Details der kleinen Angreifer besser erkennbar sind. Herkules wird recht energisch bedrängt – man sticht ihn mit Lanzen und Schwertern und beschießt ihn mit Pfeilen, zwei Pygmäen sind gar im Begriff, ihm den rechten Fuß abzusägen. Bei aller ihrer Angriffslust läuft die Gewalt der Pygmäen doch ins Leere, denn der Heroe scheint nahezu unverletzbar zu sein, obgleich der Betrachter bei genauem Hinsehen doch ein wenig Blut entdeckt, welches sich unter dem angesägten Bein angesammelt hat. Eine Lanze hat sich in seinem Fellschurz verheddert, ein Pfeil ist in seinem Bart stecken geblieben und die Stichwaffen scheinen seiner Haut nichts anhaben zu können.

Das Geschehen spielt sich vor einer waldigen Landschaft ab; im Mittelgrund befinden sich zwei Burgen und ganz im Hintergrund sieht man eine Stadt.  In der Bildmitte nähert sich von der linken Seite eine Horde wilder Männer einem Hirschrudel.

Lucas Cranach: „Der erwachte Herkules und die Pygmäen“, 1551, Öl auf Lindenholz, 186 x 261 cm, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden © Foto: Isabel Bendt, Privat

Das zweite Gemälde ist ähnlich aufgebaut wie das erste. Doch nun ist der Halbgott erwacht und nimmt sich seine Angreifer vor – er ist dabei, mit seiner Keule zuzuschlagen und einige der Pygmäen zu zertreten, währen der Rest der Kleinwüchsigen erschrocken versucht, die Flucht zu ergreifen. Im Mittelgrund dann ein Bild im Bild – wir sehen Herkules, der drei seiner Gegner in sein Fell gewickelt hat und von dannen trägt (darunter auch der rotgewandete Pygmäe, den er im Vordergrund an den Beinen gepackt hat und kopfüber hält).  Daneben stürmen mehrere wilde Männer – teils beritten – auf Bären ein und am rechten Bildrand sind zwei weitere wilde Männer dabei, einen Keiler zu erschlagen. Im Hintergrund links befindet sich auf einem Felsen eine weitere Burg.

Die wilden Männer, die man auf dem ersten Bild eher beim zweiten Hinsehen entdeckt, sind nun im Begriff, die Tiere des Waldes zu erlegen; hierin wird die Kampfhandlung des Herkules gespiegelt und die damit verbundene Botschaft verstärkt, die wohl lauten soll: „Unterschätzt mich nicht und legt euch nicht mit mir [dem Regenten Moritz] an, sonst wird es euch schlecht ergehen.“ In Anbetracht des körperlich eindeutig überlegenen Halbgottes werden seine Feinde klein und machen sich zum Gespött. Obschon sowohl Herkules als auch die Waldbewohner nicht über solch raffinierte Waffen wie die Pygmäen verfügen, besiegt der Heroe dennoch seine Angreifer, und die wilden Menschen sind erfolgreiche Jäger.

Es ist anzunehmen, dass sich Cranach von Hans Holbeins 1523 entstandenem Holzschnitt „Luther als Hercules Germanicus“ inspirieren ließ (vgl. Müller, 2009, S. 55 f.) Vor einer Eiche stehend, schlägt hier ein aufgebrachter Reformator mit einer Keule auf mehrere Theologen ein, während an seiner Nase der Papst baumelt.

Zudem mag sich Holbein für seinen Luther und Cranach für seine Darstellung des Herkules an der Mittelfigur der Laokoon-Gruppe orientiert haben. Jene wurde 1506 in Rom entdeckt und inspirierte zahlreiche Künstler. Interessant ist auch der Verweis darauf, dass Herkules bereits bei den alten Germanen verehrt worden sein soll, nachzulesen in Tacitus‘ Germania. (vgl. Müller, 2009, S. 56).

„So stellt sich unweigerlich die Frage, inwiefern Cranachs Bilder an diese Konzeption anschließen. Bringt [Kurfürst] Moritz, wenn er sich als sächsischer Herkules darstellen lässt, seine antipäpstliche und antikaiserliche Gesinnung zum Ausdruck? Stellt er gar den katholisch-kaiserlichen Führungsanspruch in Frage? In jedem Fall gibt er sich als wilder Germane, in dessen simplicitas seine eigentliche Überlegenheit erkannt werden soll.“ (Müller, 2009, S. 56)

Ein Beitrag von Isabel Bendt


Podcast-Script geschrieben von Sebastian Helm

Gesprochen von Sebastian Helm

Intro und Outro gesprochen von Constance Timm

Musik von Sebastian Helm

Editing von Sebastian Helm


Literaturhinweise:

Kolb, Karin: Cranach und Dresden. Die Werke Cranachs in der Dresdener Gemäldegalerie. Dissertation. Berlin: dissertation.de, 2005.

Marx, Harald, Mössinger, Ingrid: (Hrsg.): Cranach. Anlässlich der Ausstellung „Cranach“ vom 13. November 2005 bis 12. März 2006 in den Kunstsammlungen Chemnitz. Eine Ausstellung in Kooperation mit der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Köln: Wienand, 2005.

Maaz, Bernhard: Cranach in der Gemäldegalerie Alte Meister Dresden. Berlin, München: Deutscher Kunstverlag, 2010.

Müller, Jürgen: Moritz von Sachsen als „Hercules germanicus“. Zur Deutung der Herkulestafeln Lukas Cranach d.J., in: „Man könnte vom Paradies nicht angenehmer träumen“. Festschrift für Prof. Dr. Harald Marx zum 15. Februar 2009. Hrsg. Von Andreas Henning, Uta Neidhardt und Martin Roth, Deutscher Kunstverlag Berlin, 2009.

Philostratos, Flavius: Die Bilder. Griechisch-deutsch. Nach Vorarbeiten von Ernst Kalinka herausgegeben. übersetzt und erläutert von Otto Schönberger. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2004.

Spielmann, Heinz; Schade, Werne: Lucas Cranach. Glaube, Mythologie und Moderne. Katalog anlässlich der Ausstellung Lucas Cranach. Glaube, Mythologie und Moderne im Bucerius-Kunst-Forum, Hamburg, 6. April bis 13. Juli 2003, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, 2003.

Tacitus, Cornelius: Germania. Lateinisch-deutsch. Hrsg. und übers. von Alfons Städele. Kommentiert von Gerhard Fink. Berlin: Akademie-Verlag, 4. Aufl. 2011.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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