Von Geistern und Fabelwesen
Hausgeister und Fabelwesen der deutschen Mythologie stehen beim Projekt Forgotten Creatures im Vordergrund. Jahrhundertelang waren Menschen der Ansicht, dass sie nicht allein auf Erden lebten. Wälder und Gebirge, aber auch die Felder und den eigenen Hof dachten sie sich von zahlreichen Fabelwesen, Natur- und Hausgeister bevölkert. Diese versuchten die Menschen entweder zu vertreiben oder als Verbündete zu gewinnen.
In dem Menschen ureigenen Drang, den Dingen einen Namen zu geben, erhielten auch jene schicksalhaften Gestalten ihre Bezeichnungen. Im Laufe unserer Menschheitsgeschichte verloren diese Namen an Klarheit. Sie wurden selten zu Papier gebracht und waren – wenn sie verschriftlicht wurden – den politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen ihrer Chronisten unterworfen. Christliche Glaubenslehre dämonisierte sie. Die Ungenauigkeit menschlicher Informationsweitergabe machte sie zu Sammelbegriffen oder ließ sie sogar ganz verschwinden. Dabei prägte der Glaube an Drachen und Wilde Frauen, an Kobolde und Zwerge das Leben und den Alltag der Menschen über Jahrhunderte hinweg. Aus diesem Volksglauben entwickelte sich eine Vielzahl an Bräuchen, Liedern und vor allem Sagen. Zahlreiche davon wurden im 19. Jahrhundert durch die Brüder Grimm und andere Sammelnde zusammengetragen.
In Ländern wie Schweden, Großbritannien oder Island wird das „mythologische Erbe“ bis in die heutige Zeit bewahrt. Die Folklore vieler mitteleuropäischer Länder, Deutschland eingeschlossen, fristet jedoch ein eher trauriges Dasein in Form vergilbter Buchsammlungen. Dabei hat jede Region Europas ihre eigenen, unverwechselbaren Erzählungen hervorgebracht, die zu bewahren und zu erzählen es wert sind. Noch immer schlummert diese Faszination in uns. Fantastische Romane und Filme sind in aller Munde, Geschichten von „Feenbeauftragten“ in Island faszinieren Menschen und treiben den Tourismus an. Das Interesse an fremden Sagengestalten und Fabelwesen ist noch heute ungebrochen und findet beständig Einlass in die moderne Popkultur. Doch trotz der anhaltenden Beliebtheit solcher Medien schwindet das Wissen um die kulturelle Herkunft dieser überlieferten Motive aus dem allgemeinen Bewusstsein.
Das Projekt
Mit dem Projekt „Forgotten Creatures“ („Vergessene Kreaturen”) hauchten wir – der Künstler und Naturwissenschaftler Florian Schäfer mit seinem interdisziplinären Team um Erzählforscherin Janin Pisarek und Kommunikationsdesignerin Hannah Gritsch – den Wesen aus Märchen und Sagen des deutschsprachigen Raumes nun neues Leben ein:
Dazu werden die Fabelwesen und Geister im Mythenatelier von Florian Schäfer als detailreiche Skulpturen basierend auf historischen Beschreibungen modelliert – ohne Rücksicht auf das von modernen Medien geprägte Schönheitsempfinden. Es ist ein neuer Ansatz, kulturwissenschaftliche Themen durch Kunstobjekte einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Die Grundlage jeder Figur bildet dabei die aufwändige Recherche historischer Quellen. Egal ob Sagensammlungen aus dem 19. Jahrhundert, Hexenprotokolle und mittelalterliche Schriften: Stets wird dabei versucht, sich den Vorstellungen unserer Vorfahren so weit wie möglich zu nähern. Und das mit einem kritischen Blick auf den zurückliegenden Zeitgeist und die historischen Verhältnisse, die den Glauben an diese Wesen begleiteten.
In langwieriger Handarbeit entstehen daraufhin die kleinen und großen Wesen aus Sagen und Märchen. Körper und Gesichter werden nach den historischen Beschreibungen modelliert und anschließend mit hochwertigen Acrylfarben bemalt, winzige Kleidungsstücke entworfen und per Hand genäht. Auch zahlreiche Naturmaterialien kommen zum Einsatz. So entstehen bezaubernde Einzelstücke, die täuschend echt anmuten und Lust machen, in eine andere Welt einzutauchen.
Die Geister im Haus
Mit der Sesshaftwerdung des Menschen entwickelten sich bereits in der Jungsteinzeit die ersten dörflichen Siedlungen. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nahm in diesen bäuerlichen geprägten Gemeinschaften die selbstständige Versorgung mit Rohstoffen und Lebensmitteln einen hohen Stellenwert ein. Das Zusammenleben prägte das Sozialgefüge des Menschen und bildete die Grundlage für den Glauben an Hausgeister und deren Verehrung sowie für die spätere Verteufelung durch die Kirchen.
Unter dem Titel „Hausgeister! Fast vergessene Gestalten der deutschsprachigen Märchen und Sagenwelt“ erschien im vergangenen August 2020 unser erstes Buch, in dem die zahlreichen Stunden aus Recherche, Figurenbau und Fotografie gebündelt wurden. Parallel lief eine kleine Wanderausstellung mit den im Buch gezeigten Figuren an.
Zwei der Gestalten sollen im Folgenden exemplarisch vorgestellt werden:
Der Kobold – Die wahren Ursprünge des Pumuckl
„An einigen Orten hat fast jeder Bauer, Weib, Söhne und Töchter einen Kobold, der allerlei Haus-Arbeit verrichtet, in der Küche Wasser trägt, Holz haut, Bier holt, kocht, im Stall die Pferde striegelt, den Stall mistet und dergleichen. Wo er ist, nimmt das Vieh zu und alles gedeiht und gelingt. Noch heute sagt man sprüchwörtlich von einer Magd, der die Arbeit recht rasch von der Hand geht: ‚sie hat den Kobold‚. Wer ihn aber erzürnt, mag sich vorsehen.„
aus Grimm, Jacob und Wilhelm (1965): Deutsche Sagen, München
Keinen anderen der zahlreichen Hausgeister des deutschsprachigen Raumes umgeben so viele Geschichten, Erzählungen und Sagen wie den Kobold. Die erste schriftliche Erwähnung des Namens geht auf das 13. Jahrhundert zurück. „Kobold“ setzt sich aus den Nomen „Kob/Koben“ für „Haus/Gemacht“ und „Bold“ für „Walter/Herrscher“ zusammen. Demnach sind Kobolde die Herrscher von Haus und Hof.
Der Begriff „Kobold“ löste ältere Bezeichnungen ab, wie etwa das im 13. Jahrhundert verwendete „Stetewalden“, das als „Walter des Platzes“ übersetzt wird und als Begriff für Hausgottheiten Verwendung fand. Heute dient „Kobold“ uns als Sammelbegriff, denn nicht nur die Vorstellungen davon, was ein Kobold ist, gingen im Laufe der Jahrhunderte immer wieder auseinander, sondern auch die vielfältigen regionalen Namen, die man ihm gab.
Die Wortherkunft des “Koboldes“ steht in mancherlei Hinsicht im Widerspruch zur Erscheinung des Hausgeistes in den Sagensammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Kobold als archaische Vorstellung eines über Haus und einwohnende Familie wachenden Schutzgeistes verblasste womöglich schon früh zum Poltergeist. Archäologischen Funde lassen die Interpretation zu, dass Menschen einen „Hausgeist“ verehrten und ihm Opfer und damit Respekt entgegen brachten.
Insbesondere drei Aspekte des Koboldes kristallisierten sich im Mittelalter heraus und wurden nebeneinander – mit erstaunlicher Kontinuität – bis in die Moderne transportiert: Der Kobold als dienender Schutzgeist, als neckender Poltergeist sowie (beeinflusst durch die Aberglaubenbekämpfung des Christentums) als boshafter Teufel. Über Jahrhunderte wurden diese Motive in erstaunlicher Art beibehalten.
Der Drak – Ein fast vergessener Hausdrache
„Die Drachen erscheinen in feuriger Gestalt und werden in gute und arme Drachen unterschieden. Die meisten fallen in Form einer Feuerkugel durch den Schornstein in die Häuser und schütten daselbst ihre Schätze, Milch, Eier und Geld aus. Man nennt sie die guten Drachen. Bisweilen zieht der Drache aber auch in Gestalt eines langen Wiesebaumes durch die Fensterzwickel in die Wohnungen und hinterläßt statt der Reichtümer einen furchtbaren Gestank. Das ist der arme Drache. Wenn der Einzug des guten Drachen gewahrt wird, werden schnell die Milchgefäße gereinigt, und man setzt sie in Küche und Keller, damit der Drache seine Milch darin ausschütten könne. Um ihn anzuziehen, werden die Butterfässer aus Holzarten gefertigt, welche zu heidnischer Zeit für heilig gehalten wurden, Wacholder, Eibisch, Linde. […]„
aus Bechstein, Ludwig (1930): Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig, S. 374
Der Drak ist ein vor allem in Nord- und Mitteldeutschland beheimateter fliegender Hausgeist, der dem Bauern Reichtum verschafft, indem er durch den Kamin Korn, Getreide, Milch und Gold bringt. Die dienstbaren, wenn auch gefährlichen Hausdrachen sind jedoch nicht zu verwechseln mit den großen mythischen Ungeheuern, die wir aus den heldenhaften Kämpfen der Mythen und Märchen kennen, auch wenn sich einige Eigenschaften durchaus überschneiden können.
Meist aber hat der Drak eine feurige Gestalt: Er erscheint als Feuersäule, feuriger Streifen oder auch als brennender Klumpen. Manche Sagen beschreiben auch einen feurigen Wiesbaum, also jene Stange, die auf dem beladene Heuwagen befestigt wird, damit das Heu nicht herunterfällt.
Der Drak fungiert sowohl als Zuträger von Geld und Korn wie auch als Bringer von Butter oder Milch. Die Bewachung des Eigentums seines Herren ist eine weitere wichtige Aufgabe des Drak. Er hilft auch beim Ausdreschen des Getreides.
Quellen über das Wirken des feurigen Hausdrachens sind für die Zeit zwischen 1500 und 1800 vor allem Hexenprotokolle und Berichte über Brände, die der feurige Drache verursacht haben soll. Sie spiegeln einen recht ausgeprägten Glauben an diesen Hausgeist wider, der im 19. Jahrhundert Eingang in die Sagensammlungen fand.
Ausblick
„Forgotten Creatures“ ist Teil des seit vielen Jahren museal tätigen gemeinnützigen Vereines „Zeitsprünge Breitscheid e.V.“ Der Schwerpunkt unserer Arbeit der Darstellung von Wesen der niederen Mythologie liegt bei den eher unbekannten Wesen aus dem deutschsprachigen Raum. Wir sind offen für Kooperationen zu allen Themen der Mythologie und der Folklore.
Ein Beitrag von Florian Schäfer
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.
Hallo Kobolde / Pumukel
Ich suche für mein Baumhaus/Zwerghaus schöne Figuren 25 cm.
Leider gibt es nur solche aus Kunststoff . Wenn sie interessiert bitte ich sie mir die Natel Nr. bekannt zu geben. Ich würde ihnen gerne ein Bild von meinem Waldhaus (150 cm Höhe) zuschicken.
Danke ihnen im voraus.
Josef Hüsler, Steinacker 4, CH-6145 Fischbach
Hallo ich habe Ihre Zeilen, wirklich alle gelesen, was ich sonst bei anderen Werbungen eigentlich selten tue. Es war für ich sehr interessant über Kobolde und altem Glauben zu lesen. Ich habe mich schon immer dafür interessiert. Mit vielen Grüßen Silvia C. Kuhlmann