Von Sternen und Hunden: Eine Begegnung mit dem Sommer

„Dunst ist die Welle,
Staub ist die Quelle!
Stumm sind die Wälder,
Feuermann tanzt über die Felder!

Nimm dich in acht!
Eh du erwacht,
Holt dich die Mutter
Heim in der Nacht!“

(Die Regentrude, Theodor Storm)

Liebe Leserinnen und Leser,

auch der Mytho-Blog bleibt dieser Tage von der Sommerhitze nicht verschont. Mir fällt dabei immer spontan das Märchen von der Regentrude aus der Feder des Schriftstellers und Lyrikers Theodor Storm (1817-1888) ein. Der Feuermann tanzt über die Felder und das Vieh verdurstet auf den Weiden. Nur durch ein magisches Sprüchlein und die Furchtlosigkeit eines Liebespaares, das sich durch eine fantastisch unwirkliche Landschaft kämpfen muss, die eher wie der Abstieg zur Hölle denn der Aufstieg in Himmel und Wolken anmutet, kann der Schlafbann, der über der Regentrude liegt, gebrochen werden. Noch immer habe ich die Märchenschallplatte dazu im Schrank stehen, und wenn mich bei diesen Temperaturen die Muße packt, hülle ich mich damit des Abends in wohliges Gruseln.

Nur einen Unterschied gibt es: Im Märchen klappt die Sache mit dem Regen. In Realis sieht es damit weiter eher wenig vielversprechend aus. Obwohl dies für die aktuelle Sommerzeit nicht mal besonders untypisch ist, sieht man einmal von der generellen Verteilung der Regenmengen über das Jahr ab.

Das sind die Hundstage, pflegt meine Mutter zu sagen; ein im Volksmund gebräuchlicher Ausdruck, der doch einige Fragen aufwirft. Ein Grund mehr, zwischen gekühltem Tee, Sonnencreme, Vivaldis jahreszeitlichen Sommerklängen und nächtlichen Gedankenträumereien diesem Phänomen einmal näher auf den Grund zu gehen. Denn tatsächlich haben die „Hundstage“ mit unseren vierpfotigen Freunden nur indirekt etwas zu tun. Als Hundstage werden die heißesten Tage des Sommers bezeichnet, welche im Allgemeinen zwischen dem 23. Juli und dem 23. August eintreten sollen und mit Hitze, Lethargie, Gewittern, Fieber, Dürre und Unglück in Verbindung gebracht werden. Und das schon seit antiker Zeit, denn die Hundstage reichen zurück bis in die Mythologie der Alten Ägypter. Der Grund dafür ist der Stern Sirius und die mit dem Stern verbundene Himmelsgöttin Sodpet.

Bildergebnis für Dog days mythology
Canis Major, Sirius, Manuskript 9. Jahrhundert

Den religiösen Vorstellungen zufolge soll Sodpet den Seelen der verstorbenen Pharaonen geholfen haben, in den Himmel zu gelangen. Sie war aber nicht nur als Seelenschützerin bekannt, sondern stand auch für die Wiedergeburt und die Fruchtbarkeit. Auch zu letzterem hat der Stern Sirius einen engen Bezug, denn sein Erscheinen am nächtlichen Himmel bedeutete, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der Nil über die Ufer trat. Sein fruchtbarer Schlamm sicherte das Leben und Überleben im Alten Ägypten.

Der Stern Sirius galt und gilt also als eine Art himmlischer Vorbote. Er erscheint nur im Sommer und ist Teil des Sternbildes „Canis Major“, des Großen Hundes, besser gesagt, sein hellster Stern, denn bei gutem Wetter kann Sirius sogar in der Morgendämmerung beobachtet werden. Der „Aufgang“ des Sternbildes erfolgt heliakisch, ein Begriff, der von den Griechen geprägt wurde – es bedeutet „zur aufsteigenden Sonne gehörend“; ein wenig seltsam, weil Sternbilder in der Regel erst von Menschen wahrgenommen werden, wenn die Sonne fehlt. Allerdings kann man Sterne bzw. Sternbilder (abhängig von der Leuchtkraft ihrer Sterne) in der Morgendämmerung durchaus mit bloßem Auge ausmachen. Und diese Beobachtung kann man auch taggenau datieren. Demnach markiert der 23. Juli den heliakischen, also erstmals in der Morgendämmerung sichtlichen Aufgang von „Canis Major“. Generell ist diese Datierungsmethode jedoch schwierig. So schwankten die astronomischen Beobachtungen des Großen Hundes in der Zeit des Römischen Reiches zwischen dem 26. Juli (römische Königszeit) und dem 1. August (in der Regentschaft von Julius Cäsar). Woher diese Schwankungen rühren? Zum einen vollziehen die Sterne von „Canis Major“ eigene Bewegungen. Und zweitens spielt die Rotation der Erde (genauer gesagt ihre Präzessionsbewegung) eine weitere wichtige Rolle. Parameter, welche die antiken Astronomen noch nicht in der Form in ihre Beobachtungen mit einbeziehen konnten, wie wir dank Computern und Hochleistungsteleskopen dazu in der Lage sind.

Im 22. Gesang der Ilias des griechischen Dichters Homer werden Sirius und das Sternbild „Canis Major“ auf wundervoll poetische Weise beschrieben und das in einer Szene, die alles andere als verzückend anmutet, denn dieser Part des Epos beschreibt den Tod des trojanischen Helden Hektor durch Achilles. In der immer noch anerkannten und populären Übersetzung von Johann Heinrich Voß (1751-1826) liest sich die Stelle wie folgt:

„Priamos aber der Greis ersah ihn zuerst mit den Augen,
Strahlenvoll wie der Stern, da er herflog durch das Gefilde,
Welcher im Herbst aufgeht, und mit überstrahlender Klarheit
Scheint vor vielen Gestirnen in dämmernder Stunde des Melkens;
Welcher Orions Hund genannt wird unter den Menschen;

Hell zwar glänzt er hervor, doch zum schädlichen Zeichen geordnet,
Denn er bringt ausdörrende Glut den elenden Menschen:
So dort strahlte das Erz um die Brust des laufenden Herrschers.“
(22. Gesang, 25-33)

Interessanterweise wird der Aufgang von Sirius für den Herbst angegeben; ὀπώρα (opora) ist das Altgriechische Nomen für Herbst. Damit stimmt die Voßsche Übersetzung mit dem Originaltext überein. Anders liest sich dieselbe Stelle des 22. Gesangs in der Übersetzung des amerikanischen Philologen Stanley Lombardo aus dem Jahr 1997:

„Priam saw him first, with his old man’s eyes,
A single point of light on Troy’s dusty plain.
Sirius rises late in the dark, liquid sky
On
summer nights, star of stars,
Orion’s Dog they call it, brightest
Of all, but an evil portent, bringing head
And fevers to suffering humanity.“ (22. Gesang, S. 423)

In der Variante von Lombardo ist Sirius ein Stern der Sommernächte und nicht des Herbstes. Der Bezug zum „Hund Orions“ verweist dagegen wieder Richtung Herbst, denn das Wintersternbild Orion erscheint in unseren europäischen Breiten etwa ab Mitte August am nächtlichen Sternenhimmel. In Deutschland findet der heliakische Aufgang des Sirius übrigens erst um den 30. August statt. Damit sind wir (zumindest aus meteorologischer Sicht) schon halb im Herbst.

Der Vergleich zeigt, dass Übersetzungen nie so eindeutig sind, wie sie uns immer gern glauben machen wollen. Und, dass es faszinierend sein kann, wie Geschichten, die man Sternen gegeben hat, an durch und durch irdische Ereignisse gebunden sind. Die Macht der Beobachtung kann doch manchmal so viel faszinierender sein, als alle Computer der Welt. In diesem Sinne komme Sie gut durch die Hundstage und werfen Sie ab und an einen Blick in den Nachthimmel.

Ein Beitrag von Dr. Constance Timm

Literaturhinweise:

Stanley Lombardo. Iliad. Hackett Publishing 1997.

Johann Heinrich Voß. Ilias. Odyssee. Vollständige Ausgabe. 3. Aufl. dtv: München 2004.

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

Eine Antwort auf „Von Sternen und Hunden: Eine Begegnung mit dem Sommer“

  1. Sehr geehrte Frau Timm,

    ich bin begeistert von einer Sternenfreundin so einen netten Kommentar über den ‚Hundsstern‘ zu lesen. Gerade erst vor zwei, drei Tagen, morgens halb sechs, auf meinem täglichen Weg zur Arbeit, hatte ich mich kurz gefragt, was da für ein heller Stern knapp über dem östlichen Horizont steht. Gleich darauf fiel mir ein, das kann nur Sirius sein. Noch faszinierender, zur selben Zeit, besser noch gegen 5 Uhr, sieht man hoch am Himmel in hellem Goldglanz Jupiter strahlen, nördlich flankiert vom rötlichen Mars, südlich vom ganz ähnlich rötlichen ‚Aldebaran‘, dem wütend funkelnden Auge des minotaurischen Stiers. Aber das nur am Rande.
    Wie Sie schreiben, galt Sirius schon den Alten Ägyptern als Erscheinung der Göttin Sopdet oder auch Sothis. Dafür gibt es wohl Belege, die bis in die erste oder zweite Dynastie zurückreichen, wenn ich mich richtig erinnere.
    Ich habe jedoch auf der berühmten Prunkpalette von König Narmer (ca. 31. Jh. v. Chr.) aus dem Ägyptischen Nationalmuseum Kairo entdeckt, dass Sirius zu dieser Zeit noch anders betrachtet wurde, nämlich als eine männliche Figur.
    Betrachtet man auf der Narmerpalette die Seite ohne den runden Schminknapf in der Mitte, die Seite mit der großen Keule schwingenden Königsgestalt, findet sich links hinter dieser, auf einem eigenen Standlevel in Kniehöhe des Keulenschwingers, eine Person, die in der Literatur üblicherweise als der „treue Wesir des Königs“ bzw. als „Sandalenträger des Königs“ bezeichnet wird. In seiner linken Hand hält er ein Paar Sandalen, in der rechten einen Henkelkrug. Auf der Brust trägt er ein Pektoral in Form eines Portals. Neben seinem Kopf findet sich ein astrales Motiv, das in Fachkreisen als Königssymbol im Sinne von ‚Goldglanz‘ gedeutet wird. Weshalb man annimmt, es handle sich um den ‚Wesir des Königs‘.
    Tatsächlich muss das astrale Symbol aber genau so, eben als Metapher für ‚Stern‘ gedeutet werden! Denn der treue Sandalenträger des Götterkönigs Horus, sein erster Wesir, ist niemand anderes, als der ‚Fußstern‘ des ‚Orions‘, der spätere ‚Hundsstern‘ Sirius/Sopdet/Sothis.
    Was sich auf folgende Weise belegen lässt.
    1. Die zentrale Königsfigur des Horus/Narmer ahmt exakt die Haltung des ‚Orion‘ am Himmel nach, mit drohend erhobener Keule zwar, aber ohne die nötige Körperspannung für einen wuchtigen Keulenhieb. Sie entspricht dem Sternbild ‚Orion‘. Folglich muss diesem auf dem Fuße Sirius folgen.
    2. Die Sandalen stehen im astralen Kontext logischerweise synonym für ‚Fußstern‘.
    3. Der Henkelkrug ist kein Salbungsgefäss, wie manche Ägyptologen meinen, sondern, wie andere überzeugt sind, ein Wasserspender, den der Wesir dem König hinterherträgt. Der Krug steht tatsächlich für Wasser, nämlich als Sinnbild für die mit dem heliakischen Siriusaufgang verbundene Nilflut.
    4. Damit aber steht Sirius zugleich für den Jahresbeginn in der ältägyptischen Zeitrechnung, sinngemäß als ‚Jahreseröffner‘, wie an seinem Pektoral in Form eines Portals ablesbar. Das steht übertragen für das Horizontportal des heliakischen Aufgangs des Sirius, somit für ‚Neujahrseröffnung‘.

    Diese Interpretation der mit dem astralen Symbol auf der Narmerpalette gekennzeichneten Figur des ‚Sirius‘ als: „Erster unter den Fixsternen“ und „Erster im Gefoge des Götterkönigs“hat nicht nur für die gesamte Deutung der Prunkpalette erhebliche Konsequenzen. Denn anders als bisher muss nun das gesamte Palettendekor vor einen konkret astronomischen Backround betrachtet werden, um annähernd korrekt verstanden werden zu können.
    Ein vergleichbares Sternsymbol findet sich auch auf einer, von einigen Ägyptologen einem fraglichen König Skorpion II zugeschriebenen, steinernen Prunkkeule. Grund für diese Annahme ist das als Königsglanz interpretierte Sternsymbol neben dem Kopf des auf der Prunkkeule dargestellten Königs mit der weißen Krone Oberägyptens, dem am Kopf ein Skorpion beigefügt wurde.
    Kritiker zweifeln jedoch an dieser Theorie mangels weiterer zwingender Belege für die einstige Existenz eines Skorpionkings II. Sie sehen eine auffällige Ähnlichkeit zwischen der Königsfigur auf der Narmerpalette und auf der Prunkkeule. Weshalb sie diese ebenfalls Narmer zuschreiben. Dem lässt sich nur beipflichten, denn dss astrale Symbol auf der Prunkkeule neben dem Haupt des Königs bezieht sich nicht auf diesen, sondern auf das Symbol des Skorpions mit dem Ansatz einer Aufsatztylle am unteren Bauchrand. Das bedeutet, hier ist kein echter Skorpion gemeint, sondern das Abbild eines solchen. Zusammen mit dem astralen Symbol kann hier auf der Prunkkeule also nur das Sternbild ‚Skorpion‘ gemeint sein. Eines der ältesten bekannten Sternbilder der Menschheit überhaupt.
    Das bedeutet freilich, dass auch die offensichtlich König Narmer zuzuordnende Prunkkeule zwingend vor einem astronomischen und kosmologischen Hintergrund interpretiert werden muss.
    Damit wird aber deutet sich an, dass wo.öglich die prä- und frühdynastischen Bildzeugnisse Ägyptens generell in einen solchen kosmologischen Kontext gestellt werden müssen, denen die frühen Kosmologien, Kosmogonien und Weltbilder der Ägypter entsprangen.

    Etwa zeitgleich, aber auch viel früher schon gibt es in Europa, Mesopotamien und Asien Bildzeugnisse, die bei ihrer konsequenten archäoastromisch geprägten Deutung allerorten ähnlich kosmologische Sinnbilder enthalten, die bislang von der Vorgeschichtsforschung weitgehend ignoriert werden. Sie bieten jedoch, wie die Narmerpalette für die Zeit um 3000 v. Chr. nun erkennen lässt, ein gewaltiges Potential zum Verständnis prähistorischer und frühgeschichtlicher kultureller, geistiger und sozialer Entwicklungen in der gesamten Alten Welt.
    Hier sollte beispielsweise auch vergleichende Mythologie ansetzen, um etwa die Wege zu verfolgen, welche kosmologischen Ideen, welche Weltbilder und welche astronomischen Kenntnisstände wann und wo zuerst entwickelt wurden und in welche Richtungen sie sich verbreiteten.

    I. Marzahn

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .