„Morgen kommt der Weihnachtsmann,
Kommt mit seinen Gaben.“
So viele Bräuche und Traditionen ranken sich um die Adventszeit und das Weihnachtsfest. Am 6. Dezember bringt der Nikolaus für gute Kinder mit blankgeputzen Schuhen kleine Gaben, und mancherorts hat er seinen grausigen Gegenpart Krampus im Schlepptau, um unartige Kinder das Fürchten zu lehren. Der Nikolaustag ist, in gewissem Sinne, die Vorhut für das eigentliche Weihnachtsfest.
Ein Symbol der Weihnachtszeit
Bei manchen kommt er durch den Schornstein und packt die Geschenke unter den Weihnachtsbaum, bei anderen füllt er diese in Strümpfe, die am Kamin hängen. Und wieder in anderen Fällen kommt er am Heiligen Abend zu Besuch und bringt sie vor den Augen aller vorbei. Von Land zu Land, von Region zu Region, manchmal sogar von Familie zu Familie, variieren die Bräuche des weihnachtlichen Schenkens, doch meist gibt es nur einen, der dafür verantwortlich ist. Die Rede ist vom Weihnachtsmann, in unserer heutigen Zeit DER Weihnachtsfigur schlechthin.
„Gleichwie man die kindlin gewenet, das sie fasten und beten und jr kleiderlin des nachtes ausbreiten, das jn das Christkindlin odder Sanct Nicolas bescheren sol.“
Im weiteren Sinne hat die Entstehung des Weihnachtsmannes ihre Wurzeln in der Reformation. Die Erneuerung des christlichen Glaubens etablierte sich auf dem Fundament der Abschaffung und Einführung von Traditionen, eine Abspaltung vom heiligen Nikolaus musste erfolgen, so wie die evangelische sich von der katholischen Kirche abspaltete.
So bestimmte zum Beispiel die “Bilderfrage” teils die Ausstattung des protestantischen Gotteshauses und auch die weihnachtlichen Gaben waren nicht länger Aufgabe des Nikolauses. Um 1535 wurde die “Kinderbescherung” am Nikolausabend abgeschafft, zu nah war diese Tradition mit dem alten Glauben verbunden. Kein Kind, das im neuen Glauben erzogen wurde, sollte von einer Figur beschenkt werden, die an einen katholischen Würdenträger erinnerte. Stattdessen sollten die Kinder von da an ihre Geschenke vom “heiligen Christ” bekommen, ein Symbol des Schenkens, das näher an der protestantischen Vorstellung von Christus im Mittelpunkt existierte. Eine eigene Tradition des Weihnachtsfestes war geboren.
Dieser “heilige Christ” wurde schließlich zu dem, was wir heute als Christkind kennen. Obwohl dieses heutzutage vor allem in vorwiegend katholisch geprägten Regionen, wie Süddeutschland, die Geschenke bringt, war die kindliche Figur mit den Flügeln und dem Heiligenschein ursprünglich eine protestantische Erfindung. Auch so kann die Zeit Traditionen verändern.
Aus Alt mach Neu
Am Ende ist es eine Weiterentwicklung des Nikolaus, die heute in weiten Teilen des vorwiegend evangelischen Deutschlands (also Nord- und Ostdeutschland) als Symbol für das Schenken steht. Vielleicht wollte man erneut einen Abstand zum katholischen Weihnachtsbrauch herstellen, vielleicht sah man den ursprünglichen Gedanken der Ablehnung gegenüber dem Nikolaus aber auch mittlerweile gelassener. Die Figur des Weihnachtsmannes ist im Vergleich zum Nikolaus von Myra recht jung, aber dafür mittlerweile in der ganzen Welt als eigenständiger Weihnachtsmythos angekommen. Mit den niederländischen Siedlern kam der Sinterklaas, der seit dem Ende des 20. Jahrhunderts selbst Konkurrenz vom Weihnachtsmann (kerstman) bekommt, nach Amerika, wo er sich heute als Santa Claus riesiger Popularität erfreut. Besonders hier regiert die Vorstellung, dass der Weihnachtsmann mit einem von Rentieren gezogenen, fliegenden Schlitten des nachts durch die Lüfte reist und durch den Kamin in die Häuser steigt. Aufgekommen war diese durch das 1823 veröffentlichte Gedicht A Visit from St. Nicholas von Clement Clarke Moore:
„‚Twas the night before Christmas, when all through the house
Not a creature was stirring, not even a mouse;
The stockings were hung by the chimney with care,
In hopes that St. Nicholas soon would be there;
The children were nestled all snug in their beds;
While visions of sugar-plums danced in their heads;
And mamma in her ‚kerchief, and I in my cap,
Had just settled our brains for a long winter’s nap,
When out on the lawn there arose such a clatter,
I sprang from my bed to see what was the matter.
Away to the window I flew like a flash,
Tore open the shutters and threw up the sash.
The moon on the breast of the new-fallen snow,
Gave a lustre of midday to objects below,
When what to my wondering eyes did appear,
But a miniature sleigh and eight tiny rein-deer,
With a little old driver so lively and quick,
I knew in a moment he must be St. Nick.
More rapid than eagles his coursers they came,
And he whistled, and shouted, and called them by name:
„Now, Dasher! now, Dancer! now Prancer and Vixen!
On, Comet! on, Cupid! on, Donner and Blitzen!
To the top of the porch! to the top of the wall!
Now dash away! dash away! dash away all!“
As leaves that before the wild hurricane fly,
When they meet with an obstacle, mount to the sky;
So up to the housetop the coursers they flew
With the sleigh full of toys, and St. Nicholas too—
And then, in a twinkling, I heard on the roof
The prancing and pawing of each little hoof.
As I drew in my head, and was turning around,
Down the chimney St. Nicholas came with a bound.
He was dressed all in fur, from his head to his foot,
And his clothes were all tarnished with ashes and soot;
A bundle of toys he had flung on his back,
And he looked like a pedler just opening his pack.
His eyes—how they twinkled! his dimples, how merry!
His cheeks were like roses, his nose like a cherry!
His droll little mouth was drawn up like a bow,
And the beard on his chin was as white as the snow;
The stump of a pipe he held tight in his teeth,
And the smoke, it encircled his head like a wreath;
He had a broad face and a little round belly
That shook when he laughed, like a bowl full of jelly.
He was chubby and plump, a right jolly old elf,
And I laughed when I saw him, in spite of myself;
A wink of his eye and a twist of his head
Soon gave me to know I had nothing to dread;
He spoke not a word, but went straight to his work,
And filled all the stockings; then turned with a jerk,
And laying his finger aside of his nose,
And giving a nod, up the chimney he rose;
He sprang to his sleigh, to his team gave a whistle,
And away they all flew like the down of a thistle.
But I heard him exclaim, ere he drove out of sight—
“Happy Christmas to all, and to all a good night!'“
Obwohl auch hier noch die Rede vom St. Nicholas ist, sind die Parallelen zum heutigen Santa Claus unübersehbar. (Wer Der Grinch mit Jim Carrey in der Hauptrolle gesehen hat, erkennt im Gedicht womöglich sogar einige Textzeilen wieder, welche für den Film adaptiert wurden.) Im berühmten deutschen Weihnachtslied Morgen kommt der Weihnachtsmann, welches von Hoffmann von Fallersleben 1835 verfasst wurde, ist bereits explizit vom Weihnachtsmann die Rede. Man kann also davon ausgehen, das die Idee vom 19. Jahrhundert ausgehend Form annahm, als die Figur des Bischofs Nikolaus säkularisiert wurde und daraufhin auf Attribute wie Chormantel und Messegewandt verzichten musste. Seine vereinfachte Kluft bestand nur noch aus Mantel und Zipfelmütze. Letzteres erinnert an die Phrygische Mütze aus Kleinasien, die ursprünglich aus dem gegerbten Hodensack eines Stiers und umliegenden Fellpartien bestand. Sie sollte die magische Kraft besitzen, die Eigenschaften des Tiers auf den Träger zu übertragen. Das ist sicherlich weit entfernt von allem, was man als weihnachtlich bezeichnen könnte, doch der Aspekt der Magie verblieb. Kann man den Weihnachtsmann also als eine einfache Kopie des Nikolaus mit neuem Stempel darauf betrachten?
Eine vielschichtige Persönlichkeit
Nein, bei weitem nicht. Besonders in der heutigen Zeit hat der Weihnachtsmann durch Literatur- und Medienpräsenz eine eigene Identität entwickelt, worauf wir aber noch zurückkommen werden. Hier in Deutschland haben wir unterschiedliche Traditionen bezüglich der zwei Figuren und auch in anderen Ländern wie Frankreich, Russland und Skandinavien, ist der Gabenbringer an Weihnachten ein anderer als der Nikolaus.
Der französische Père Noël (übersetzt: Väterchen Weihnacht) kommt am Weihnachtsabend in die Häuser. Der Tradition nach stellen die Kinder ihre Schuhe an den Kamin und füllen sie mit kleinen Leckereien und Karotten. Während sich erstere Väterchen Weihnacht schmecken lassen darf, sind die Karotten für seinen braven Esel Gui (übersetzt: Mistelzweig) gedacht. Waren die Kinder brav, so füllt er die Schuhe mit kleinen Geschenken.
In Skandinavien existiert seit jeher eine Männergestalt, die zum Beispiel in Finnland als Joulupukki bekannt ist und im weitesten Sinne den Weihnachtsmann repräsentiert. Mit einer Rute ausgestattet, die als Fruchtbarkeitssymbol gilt, reist der Herr in dicke, braune Felle gekleidet in seinem Rentierschlitten (der allerdings nicht fliegt) von seinem Zuhause in Lappland aus durch das Land und bringt den Menschen Nüsse, die ihnen über die strenge Winterzeit helfen sollen. Da in Skandinavien der vorchristlichen Glauben in vielen Zügen der Kultur, auch im skandinavischen Christentum, noch enthalten ist, wird oft der Göttervater Odin als Ursprung dieser Figur vermutet.
Auch Ded Moros, der russische Weihnachtsmann, den wir als Väterchen Frost vom Namen her kennen, trägt nichts Rotes, sondern ist in blaue Roben gekleidet. Ihm zur Seite steht stets Snegurotschka (übersetzt: Schneeflöckchen), seine Enkelin. Russisch-orthodoxe Christen feiern, anders als viele andere Nationen, Weihnachten am 7. Januar.
Der Weihnachtsmann in den Medien – Ein moderner Mythos?
Zu Anfang der 1930er Jahre begann die Coca-Cola Company mit einer weihnachtlichen Werbecampagne. Deren Star war ein stilisierter Weihnachtsmann in glattrotem Mantel und Mütze, deren Säume mit weißem Pelz verbrämt waren, ein lustiger, alter und gutmütiger Herr. Mit einer jährlichen Ausstrahlung über eine Zeitspanne von ungefähr 80 Jahren, und dem Fernseher in mittlerweile allen Haushalten, erreichte der Werbespot die breite Masse der Gesellschaft und bis heute liefert uns der Konzern jedes Jahr einen neuen, der meist sehr gut ankommt. Man ging sogar so weit und behauptete, den Weihnachtsmann, wie ihn heute jeder kennt, hätten die Marketingexperten von Coca Cola erfunden. Kann das wahr sein? Eine Überlegung ist es wert.
Der Coca-Cola Weihnachtsmann ist ein vertrauter Anblick geworden. Auch der diesjährige Werbespot besticht unleugbar durch seine Atmosphäre: Draußen schneit es und vom Klang weichnachtlicher Glöckchen begleitet, öffnet sich die Tür zur Weihnachtswerkstatt. Die helfenden Elfen werkeln fleißig, lesen und bearbeiten Wunschzettel. Der Weihnachtsmann sitzt gemütlich an seinem Pult und trinkt – was sonst? – eine eisgekühlte Coca-Cola, während er sein großes Buch der Namen aufschlägt, um zu schauen, welche Kinder artig waren und welche nicht. Ein weihnachtlicher Chor schmettert Holidays Are Coming (Original von Melanie Thornton) und schließlich wechselt die Location zu den Coca-Cola Weihnachtstrucks, die ebenso Kultstatus errungen haben. Mit fröhlichen Menschen, schönen Lichtern und einem Ausdruck von Geselligkeit, trifft der Werbesspot genau ins Schwarze. Sieht man sich auf Youtube die Kommentare dazu an, so scheint es viele Menschen zu geben, die dem Auspruch “Es ist nicht Weihnachtszeit bevor nicht der Coca-Cola Weihnachtsmann im Fernsehen lief!” zustimmen. Viele scheinen sehr viel mit dieser Präsentation der Figur zu verbinden und auch diesmal sieht der Weihnachtsmann im Werbesspot aus, „wie man ihn sich vorstellt“: die typische Ausstattung, die einem zur Weihnachstzeit überall begegnet. Aber kann man das Beweis dafür betrachten, dass Coca-Cola den Mythos des modernen Weihnachtsmannes erfunden hat?
Zum einen gibt es diverse Abbildungen, die beweisen, dass seine rot-weiße Aufmachung schon vorher mit ihm in Verbindung gebracht wurde. Postkarten aus den 1890er Jahren, die den Weihnachtsmann in rot und weißem Pelz darstellen und somit dokumentieren, dass die Vorstellung vom besagten Outfit so weit und allgemein verbreitet war, dass er in solcher Form auf einem damaligen Massenmedium verewigt wurde.
Coca-Cola hat den Weihnachtsmann nicht als die fixe Gestalt erfunden, die wir als typisch betrachten. Der Konzern griff lediglich einen bereits bestehenden Mythos auf und verpasste ihm eine individuelle Note, indem er ihm Attribute wie die Elfen, Weihnachtstrucks und einen wiederkehrend ähnlichen Handlungsablauf zur Seite stellte. Dann bediente man sich eines anderen Massenmediums, welches die Menschen in der Zukunft noch intensiver erreichen sollte. Es ist somit nicht der Mythos vom Weihnachtsmann, sondern der vom Coca-Cola-Weihnachtsmann, der als eine Facette dieser Figur geschaffen wurde; ein Teil unseres heutigen Weihnachtsmythos, aber bei weitem nicht so verwurzelt wie viele andere Traditionen. Zumindest noch nicht, denn es bleibt spannend zu sehen, wie sich dieser Mythos in der Zukunft noch entwickeln mag.
Von Bräuchen und Kommerz
Jedes Jahr werden immer wieder Stimmen laut, das Weihnachtsfest sei zu kommerziell, der eigentliche Gedanke ginge verloren. Der Weihnachtsmann ist hierbei immer wieder ein Ziel der Proteste: er verkörpere Konsumwahn und lehre die Menschen nur haben zu wollen, statt tatsächlich zu schenken und zu geben. In manchen Fällen führt dies sogar zu einem Boykott des Weihnachtsfestes, was sich jedoch allgemein bis jetzt nicht durchgesetzt hat. Dabei muss man sich hier die Frage stellen: Was ist denn der eigentliche Gedanke von Weihnachten, von dem da gesprochen wird?
Ursprünglich mag es das Fest zu Ehren der Geburt Christus sein (auf seine Art ein Weihnachtsmythos wie er ihm Buche steht, aber das ist eine andere Baustelle), doch über die Zeit wurde Weihnachten für die breite Masse ein Fest der Familie. Für den Nächsten ist es einfach eine Zeit der Besinnlichkeit, für den Dritten der Spaß auf Weihnachtsmärkten zu bummeln und Freunde zu treffen, und in manchen Gruppen feiert man lieber die Wintersonnenwende und hält sich aus dem ganzen Weihnachtsgetummel raus. Vielleicht kann man also gar nicht von dem einen eigentlichen Gedanken sprechen. Mythen, auch Weihnachtsmythen, verändern sich und der Weihnachtsmann ist ohne Frage eine davon.
Ein Beitrag von Pia Stöger
Literaturhinweise:
Becker-Huberti, Manfred. Lexikon der Bräuche und Feste: 3000 Stichwörter mit Infos, Tipps und Hintergründen für das ganze Jahr. Herder, Freiburg 2007.
A Visitfrom St. Nicholas von Clement Clarke Moore, Poetry Foundation, https://www.poetryfoundation.org/poems/43171/a-visit-from-st-nicholas
Coca-Cola Weihnachtskampagne 2018 – Teilt eure Weihnachtsfreude! – 60″, https://www.youtube.com/watch?v=Npvu1Bm6Hfc ©Coca-Cola
„Coca Cola? Ach was!“ Süddeutsche Zeitung, gefunden unter https://www.sueddeutsche.de/leben/weihnachtsmann-coca-cola-ach-was-1.281759
„Martin Luther machte den Nikolaus arbeitslos“ Evangelische Kirche in Deutschland, gefunden unter https://www.ekd.de/martin-luthers-christkind-verdraengte-den-nikolaus-31281.html
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