Es weihnachtet schwer 2.0: Vom Nikolaus und seinen schaurigen Begleitern

Liebe Leserinnen und Leser des Mytho-Blogs,

haben Sie Schuhe geputzt oder Teller aufgestellt? Am 6. Dezember geht der Nikolaus wieder um, dieses Jahr sogar an einem Donnerstag. (Achtung, Achtung: Besondere Vorsicht ist an diesen Dezemberwochentagen geboten!) Man sagt ihm nach, dass er sauberes Fußwerk besonders schätzt. Außerdem ist er auf seinen adventlichen Streifzügen nicht allein unterwegs. Wer ihn begleitet und warum, diesen Fragen wollen wir im zweiten Teil unseres Weihnachtsspecials nachgehen.

Der Nikolaus (griechisch: Nikólaos > Sieg des Volkes) ist nicht irgendwer. Jedes Jahr freuen sich Groß und Klein nicht nur über die eine oder andere süße Leckerei, am 6. Dezember begehen sowohl die Ostkirche als auch die lateinische Kirche in Rom den Todestag des heiligen Nikolaus von Myra (heute: Demre, Lykien, südwestlich von Antalya). Dieser starb im 4. Jahrhundert n. Chr. Die genaue Jahreszahl liegt aufgrund von Überlieferungsproblemen zwischen 326 und 365. Seit dem 10. Jahrhundert ist seine kirchliche und volkstümliche Verehrung nördlich der Alpen belegt. Damit ist er – liturgisch betrachtet – fast so „erfolgreich“ wie die Jungfrau Maria. Etwa 2200 Kirchen, die zwischen dem 11. und dem 16. Jahrhundert errichtet wurden, tragen das Nikolauspatrozinium. Zudem sind ihm Kapellen, Klöster und Hospize geweiht. An dieser Beliebtheit hatte vermutlich die Vermählung des Sachsenkönigs und späteren Kaisers Otto II. mit der byzantischen Prinzessin Theophanu, Nichte des oströmischen Kaisers Johannes I. Tzimiskes, im Jahr 972 entscheidenden Einfluss. 1087 wurden die Gebeine des Heiligen aus Myra, das seldschukische Truppen belagert und erobert hatten, gestohlen und ins unteritalienische Bari gebracht.

Bis heute haben sich Nikolausläufe und Nikolausmärkte im kulturellen Gedächtnis bewahrt. Der Grund für Nikolaus‘ Beliebtheit liegt zum einen in seinem Leben zum anderen in seinen Legenden begründet. Nikolaus von Myra wurde zwischen 270 und 286 in Patara (ebenfalls in Lykien) geboren und schon in jungen Jahren zum Priester geweiht. Als um 310 eine neue Welle von Christenverfolgungen in Kleinasien stattfanden, gehörte er zu den Gefangenen. Er überlebte die Folter und soll sein Vermögen, das ihm per Erbe zustand, unter den Armen verteilt haben (u. a. bezeugt in Schriften der Bischöfe Basilius von Caesara und Ambrosius von Mailand). Obwohl er als Unterzeichner nicht auftaucht, soll Nikolaus 325 auf dem Ersten Konzil von Nicäa gewirkt haben. Dieses Konzil stellte die Weichen für die Durchsetzung, Zementierung und kirchenpolitische Entwicklung des Christentums. So wurde u. a. Ostern als höchster christlicher Feiertag festgelegt und terminiert, die Kircheneinheit beschworen und der Arianismus, eine frühchristliche theologische Strömung, die Gottessohn und Heiligen Geist nicht als dem Gottvater ebenbürtig betrachete, abgelehnt. Mit dem Bekenntnis von Nicäa, das als das meistanerkannte Bekenntnis des Christentums gilt, wurde die Göttlichkeit von Jesus schriftlich verbrieft.

Die Legenden, die sich um Nikolaus von Myra ranken, sind reich an der Zahl: die Rettung des ertrunkenen Sohns, das Kornwunder, die Heimführung eines verschleppten Kindes etc. Allerdings basieren nicht alle davon auf seinem eigenen Leben. Viele stammen aus dem Leben eines Abtes mit gleichem Namen, der im 6. Jahrhundert n. Chr. im Kloster Sion bei Myra lebte.

Eine der Geschichten berichtet, dass Seefahrer, die in einen Sturm geraten waren, den Heiligen anriefen. Daraufhin soll ein Mann erschienen sein, der das Schiff aus der Bedrängnis segelte und das Unwetter beruhigte. Als die Geretteten in einer Kirche in Myra für ihr Überleben beteten, erkannten sie dort Nikolaus. Daher gilt er als Patron der Seefahrer. Im Spätmittelalter sollen Seeleute damit begonnen haben, am Vorabend seines Festtages Schiffchen für ihn aufzustellen. Damit verbunden ist eine weitere Legende: die Beschenkung der drei Jungfrauen. Weil ein verarmter Mann seine drei Töchter nicht mit einer Mitgift ausstatten und sie verheiraten konnte, beabsichtigte er sie zu Prostituierten zu machen. Nikolaus, der zu dieser Zeit noch kein Bischof war, aber über ein großes Vermögen verfügte, hörte davon und warf drei Nächte hintereinander jeweils einen Goldbeutel (oder Goldklumpen) durch das Fenster in das Zimmer der Jungfrauen. Aus diesem Grund zählen Goldkugeln (und Äpfel) zu den Attributen des Heiligen. Mit dem Schiffchenbau wollten man an diese Beschenkung und damit an die gute Tat erinnern. Später sollen dann die Schiffchen durch Schuhe ersetzt worden sein. Allerdings könnten es mit den Schuhen noch eine weitere Bewandtnis auf sich haben. Nikolaus von Myra wirkte im Osten, wo es Brauch ist, die Schuhe vor der Tür abzustellen. Es wäre denkbar, dass diese Gepflogenheit sich in die Verehrungstradition mischte.

Neben den Seefahrern ist Nikolaus auch der Patron der Flößer, der Reisenden, der Kolonisten, der Brückenbauer, der Bäcker, der Apotheker, der Tuchmacher und natürlich der Kaufleute und Händler. Der Glaube an den heiligen Nikolaus galt im Mittelalter bei jungen Frau als gutes Omen für eine glückliche Ehe; eine Tradition, die noch heute in Frankreich, Italien oder den Niederlanden lebendig ist. Der Name Nikolaus führte zur Bildung zahlreicher Familiennamen. Er galt und gilt als Vorbild für Schüler. Seine Verehrung verspricht Kindersegen. Zudem ist er Schutzpatron der Gebärden, aber auch Beschützer und Retter von Gefangenen und von zu Unrecht Verurteilten. Man vertraut Herden und Haustieren seiner Obhut an. Außerdem sollte er wirksam sein gegen Rattenplagen.

Im Volkgslauben hat sich das Motiv der Einkehr eng mit dem Nikolaus verbunden. Der Heilige geht in die Häuser und beschenkt die guten Kinder, während er die bösen bestraft – oder ihnen statt Leckereien ein Stück Kohle in die Schuhe steckt. Dabei kann er wie ein Bischof gekleidet auftreten oder als ein Mann mit weißem Bart, noch weißerem Laken und Hut. Meistens ist er auf seinen Streifzügen nicht alleine. Schaurige Gehilfen begleiten ihn oder nehmen seinen Platz ein. Dann tritt an die Stelle des Nikolaus „ein in phantastischer, schreckhafter Weise Vermummter […], in rauhen Pelz gehüllt und mit Sack und Rute ausgerüstet und mit Ketten rasselnd, oder [ein] in eine Tierhaut gehüllt[er] böser Klaus“ (Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 6, S. 1093 f.).

Von diesen ganz und gar nicht heiligen, geschweige denn kinderfreundlichen Gesellen zählen Knecht Ruprecht und der Krampus zu den bekanntesten (in der Schweiz ist es der „Schmutzli“, der mit dem Nikolaus umherstreift).

Knecht Ruprecht kennt man vor allem in Nord- und Mitteldeutschland. Seinen Ursprung findet er jedoch im regionalen thüringischen und voralpinen Nikolausbrauchtum, in dem  sich volkstümlicher Teufels- und Geisterglauben mit christlicher Tradition mischt. Die Herkunft des Namens Ruprecht von rûhperht, was mit „rauhe Percht“ übersetzt werden kann, setzt ihn in Bezug zu den alpinen Perchten – dämonischen, oft tierähnliche Schreckgestalten, die im Zuge der Wilden Jagd zwischen November und Januar umhergehen und sowohl Gutes im Sinn haben als auch Böses im Schilde führen. Knecht Ruprecht wird häufig als Kinderschreck assoziiert, um Kinder zu Frömmigkeit und Gehorsam zu erziehen. Auch als „Kinderfresser“ ist er bekannt (u. a. im schweizerischen Bern). Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass Knecht Ruprecht als „Teufel“ oder Dämon die Seelen der Kinder verschlingt. Eines seiner Attribute ist der Korb oder Sack, den er stets mit sich trägt, und in dem er, dem Volksglauben nach, die Kinder steckt – natürlich nur die ungehorsamen. Er ist bärtig wie der Nikolaus, trägt aber im Gegensatz zu diesem eine dunkle Kutte und eine Rute. Ist sein Sack nicht mit Kindern gefüllt, finden sich darin die Gaben des Herbstes (u. a. Äpfel, Birnen und Nüsse), die er verschenkt. Der Schriftsteller und Lyriker Theodor Storm (1817-1888) hat dem Knecht Ruprecht ein Gedicht gewidmet (verfasst 1862), das zu den bekanntesten Weihnachtsgedichten zählt.

„Von drauß vom Walde komm ich her.
ich muß Euch sagen es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
sah ich goldene Lichtlein blitzen.
und droben aus dem Himmelstor
sah mit großen Augen das Christkind hervor.
und wie ich so strolcht durch den finsteren Tann,
da rief’s mich mit heller Stimme an:
Knecht Rupprecht, rief es alter Gesell,
hebe die Beine und spute dich schnell

Die Kerzen fangen zu brennen an,
das Himmelstor ist aufgetan.
Alt und Junge sollen nun
von der Jagd des Lebens einmal ruhn.
und morgen flieg ich hinab zur Erden,
denn es soll wieder weihnachten werden!

Ich sprach: O lieber Herre Christ,
Meine Reise fast zu Ende ist.
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo’s eitel gute Kinder hat.
Hast denn das Säcklein auch bei dir?
Ich sprach: Das Säcklein, das ist hier,
Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
essen fromme Kinder gern.
Hast denn die Rute auch bei dir?
Ich sprach: die Rute die ist hier.
Doch für die Kinder, nur die schlechten,
die trifft sie auf den Teil, den rechten.

Christkindlein sprach: So ist es recht.
So geh mit Gott, mein treuer Knecht!

Von drauß, vom Walde komm ich her,
Ich muß euch sagen es weihnachtet sehr!
Nun sprecht wie ich’s herinnen find:
sind’s gute Kind, sind’s böse Kind?“

Ruprecht befindet sich hier im Dialog mit dem Christkind. Dieses wird oft als heiliger Nikolaus gedeutet, der seine Aufgaben an den düsteren Knecht übergeben hat. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle auch, dass im 17. Jahrhundert versucht wurde, die Gestalt des Knecht Ruprecht mit einer realen Person in Verbindung zu bringen. So soll es im 11. Jahrhundert einen Priester namens Ruprecht gegeben haben, der im Saalegebiet (angeblich in Cölbigk bei Bernburg) lebte. Weil die Bauern durch Singen und Tanzen die Ruhe der heiligen Nacht störten, soll er sie verflucht haben. Ein Bezug zum Nikolaus besteht hierbei allerdings nicht. Im Zuge der Reformation ging in den protestantischen Gebieten das Brauchtum rund um den Nikolaustag größtenteils über auf den Weihnachtstag. Aus Knecht Ruprecht wurde der Weihnachtsmann. Regional verschieden, können Nikolaus und Knecht Ruprecht auch zu einer einzigen Gestalt verschmelzen, die sowohl Beschenken als auch Erschrecken kann. Der Klaus kommt, sagt man mancherorts in Norddeutschland. Vor allem das Spinnen nach Sonnenuntergang ist dann an Tagen wie Heiligabend und Silvester gefährlich.

Im östlichen Alpenraum, in Österreich, Südbayern, Südtirol, Ungarn, Slowenien, Tschechien und Kroatien ist es der Krampus, der als Nikolausbegleiter umherstreift. Schon am 5. Dezember, am Krampustag, macht er die Runde. Im Gegensatz zum Knecht Ruprecht ist sein Aussehen, ähnlich wie das der Perchten, eher teuflischer Natur. Schon sein Name (mittelhochdeutsch Krampen > Kralle; Bairisch Krampn > etwas Lebloses oder Verdorrtes) verweist darauf, dass man es vorsichtig mit ihm angehen sollte. Der Krampus bestraft die bösen Kinder (oder böse Erwachsene). Noch heute haben sich die Krampusläufe erhalten. Mit Ruten ausgestattet laufen Menschen in tierähnlichen Verkleidungen durch Dörfer und Städte, um Bewohner (oder Touristen) zu erschrecken. Begleitet werden sie durch das Geläut von Kuchglocken, Schellen und Rasseln. Am auffälligsten sind die Masken, die mit Ziegen-, Widder- oder Steinbockhörnern und Fell versehen sind. Beim Krampus gilt: Je dämonischer und hässlicher desto besser. Oft gilt es als Mutprobe, einen Krampus zu reizen und ihm dann zu entfliehen, ohne von seiner Birkenrute erwischt zu werden. Der Krampus kann einzeln, aber auch, erneut ähnlich wie bei den Perchten, in Gruppen auftreten. In manchen Regionen Tirols und Österreichs werden diese Traditionen fleißig gepflegt, obwohl es häufiger vorkommt, dass sie als Massenspektakel negativ in die Schlagzeilen geraten.

Sogar die amerikanische Filmindustrie hat den Krampus für sich entdeckt. 2015 kam die gleichnamige Horrorkomödie in die Kinos. Hier ist es allerdings nicht der Nikolaustag, sondern das Weihnachtsfest, das vom Krampus heimgesucht wird. Mit der teilweise recht blutigen Bestrafung von den Angehörigen einer Familien, knüpft der Dämon an das Brauchtum an, doch folgt seine Interpretation als Albtraumwesen den Gesetzen der Cinematografie.

Um unsere Leser zu beruhigen: Beim Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie  wurden, den Berichten zufolge, noch keine Krampusse gesichtet. In diesem Sinne vergessen Sie den Schuhputz nicht und haben Sie einen entspannten und beschenkten Nikolaus.

Ein Beitrag von Dr. Constance Timm

Literaturhinweis:

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. 6. Hanns Bächtold-Stäubli, Eduard Hoffmann-Krayer (Hrsg.). Berlin 1987.

©  Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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