Die Stiftsbibliothek in Zeitz – Ein Schatz an Büchern und an Wissen

Ein wahres Monument der Weltgeschichte befindet sich unmittelbar im Leipziger Umland: Eine der wohl ältesten, historisch bedeutendsten, aber auch eindrucksvollsten Büchersammlungen Mitteldeutschlands hat ihren Sitz in Zeitz – um genau zu sein, in der Stiftsbibliothek, welche seit 2005 im Torhaus des Schlosses Moritzburg ihr Zuhause findet. Zur Bibliothek, wie sie heute aufgestellt ist, gehören drei Teilsammlungen: 1. die historische Stiftsbibliothek, welche sich auf die bischöfliche Bibliothek des Spätmittelalters sowie die Privatbibliothek des Bischofs Julius von Pflug aus Naumburg aus dem 16. Jahrhundert beruft; 2. die sogenannte „Domherrenbibliothek“, welche im Spätmittelalter die Dienstbibliothek des Zeitzer Kollegiatstiftes St. Peter und Paul darstellte; 3. die Überbleibsel der einstigen Gymnasialbibliothek, welche in den 1950er Jahren in die Sammlung der modernen Stiftsbibliothek aufgenommen wurden.

Die historische Stiftsbibliothek in ihrer heutigen Fassung entstand in der Zeit, nachdem die bischöfliche Bibliothek 1258 in Folge der Umsiedlung der Naumburger Bischöfe nach Zeitz in die Bischofsburg (zurück)gebracht wurde. Diese Büchersammlung wurde in den 1640ern durch die Privatbibliothek des damals in Zeitz residierenden Bischofs Julius Pflug wesentlich erweitert.

Ein seltenes Phänomen für den deutschen Sprachraum stellt die Domherrenbibliothek dar, da sie sich seit ihrer Gründung als standfest beweisen konnte und dementsprechend in ihrer Geschlossenheit an ihrem Ursprungsort verblieben ist. Als „Domherren“ wurden im Hoch- und Spätmittelalter diejenigen Männer bezeichnet, die Mitglieder des Domkapitels waren und demnach Pflichten im Dienste des Bischofs nachkommen mussten – meist waren sie hochgebildet in den Bereichen Jura und Theologie.

Auf eine lange Tradition zurückblicken kann auch die Gymnasialbibliothek. Sie setzt sich aus Teilen des Zeitzer Stiftgymnasiums zusammen, dessen Schriftstücke auf das 16. Jahrhundert zurückgehen. Zu dieser Zeit, spätestens aber seit dem 17. Jahrhundert, waren solche Buchsammlungen für weiterführende Schulen weitverbreitet. Der heutige Bestand umfasst in erster Linie Schriftgut aus dem 19. Jahrhundert.

Zählt man die Bestände aller Sammlungen zusammen, so kann die Stiftsbibliothek (inklusive dem Stiftsarchives) eine eindrucksvolle Anzahl von mehr als 650 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handschriften, 350 Urkunden des 12.-18. Jahrhunderts, 400 Inkunabeln (d.h. Drucke vor 1500), rund 200 Meter Aktenbestand vom 15. bis 20. Jahrhundert, sowie 20.000 Bücher (datiert von 1500 bis zur Gegenwart) ihr Eigen nennen. Damit ist sie einer der signifikantesten historischen Schätze Mitteldeutschlands und hat einen enormen Wert sowohl für Lokalhistoriker, als auch für solche aus ganz Europa.

Die Bibliothek stellt vor allem solch eine unentbehrliche Quellensammlung für die Forschung dar durch die Bestände Julius Pflugs, welche rund eintausend Bücher zu Themen aus allen namhaften Wissenschaftsbereichen des 16. Jahrhunderts umfassen – ein Umfang, der sowohl beachtlich als auch äußerst selten vorzufinden ist. Die Regale der Stiftsbibliothek sind weitfächernd gefüllt mit Schriften zu Naturwissenschaft, Theologie, Jura, Geschichte, Poetik, Philosophie und noch vielem mehr. Außerordentlich kostbar sind insbesondere die Reformationsschriften, welche unter anderem höchstseltene Exemplare, verfasst von Martin Luther und Philipp Melanchthon, enthalten.

Die Prachtstücke der Zeitzer Sammlung stellen wohl die Fragmente der Zeitzer Ostertafel aus dem Jahre 447 sowie die Zeitzer Weltkarte von 1470 dar. Die Fragmente der Ostertafel wurden im Jahre der Wiedereröffnung der Bibliothek 2005 gar zufällig entdeckt – sie wurden als Buchumschlag für ein juristisches Werk verwendet. Die Tafel gilt als das weltweit älteste Dokument zu Zwecken der Berechnung des Osterfestes und umfasst die Ostertermine der Jahre 29 bis 532. Da der Ostertafel zeitweilen keine besondere historische Geltung zugeschrieben wurde, „wiederverwendete“ man sie im 16. Jahrhundert aufgrund der Beliebtheit des Pergamentmaterials als Buchumschlag.

Die Zeitzer Weltkarte liegt einer Handschrift des Astronoms Claudius Ptolemaeus bei, welche um 1470 entstanden ist. Sie zeigt die Welt als Kreis und in drei Kontinente geteilt. Die Karte ist kurioserweise nach Süden ausgerichtet, was im Mittelalter schon nicht der Norm entsprach. Nicht nur geographische Daten (wie Flüsse oder Gebirge) werden auf der Karte festgehalten, sondern auch mythische Elemente, wie Sagen über Trolle in Norwegen oder eine Insel voller bärtiger Frauen.  

Zweifellos stellt die Stiftsbibliothek in Zeitz ein außergewöhnliches Kulturgut dar. Auch wenn große Teile der Sammlung nur für wissenschaftliches Arbeiten zugänglich sind, so können auch Führungen für Privatpersonen gebucht werden, bei denen unter anderem die Ostertafelfragmente sowie die Weltkarte bewundert werden können.

Ein Beitrag von Sarah Wagner


Julius Pflug – Kirchenmann, Privatgelehrter und Büchersammler

Um sich schon einmal auf das Vereins-Jahresthema für 2023 einzustimmen – Mythos Buch – unternahmen einige Mitglieder unseres Arbeitskreises kürzlich eine spannende Exkursion in das sächsisch-anhaltinische Zeitz. Hauptziel war ein Archiv, welches europaweite seinesgleichen sucht – die im Torhaus der Moritzburg (einem befestigten Schloss) untergebrachte Stiftsbibliothek. Unter der kundigen Führung zweier engagierter Mitarbeiter erkundeten wir einige Räume und lernten einige wertvolle bibliophile Schätze kennen.

Betritt der Besucher die besagte Bibliothek, so trifft er zuerst auf die Person, deren Leben, Wirken und Nachlass erheblich dazu beitrugen, dass dieses Archiv der Bibliophilie europaweite Bedeutung erlangte – Julius Pflug/Pflugk (1499-1564). In Lebensgröße sitzt der Universalgelehrte in seinem Studierzimmer (entworfen vom Architekten Prof. Jürg Steiner). Vor sich ein schweres Buch, blickt Pflug nachdenklich in die Ferne. Mit Interesse schaue ich ihm ins Gesicht, studiere seine Gestik und die Falten seines Gewandes, versuche mir vorzustellen, wie er seinem wissenschaftlichen und kirchenpolitischen Alltag agierte. – Anlässlich der 2017 erfolgten Sonderausstellung „Dialog der Konfessionen. Bischof Julius Pflug und die Reformation“ schuf die Künstlerin Lisa Büsche die lebensechte Figur des Zeitzer Theologen, dessen Bekanntheitsgrad leider hinter dem seines Zeitgenossen und „Gegenspielers“ Martin Luther etwas zurücksteht – zu Unrecht, denn Julius Pflug war eine herausragende Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts. Sein Name ist eng mit der Geschichte der Stiftsbibliothek verknüpft. Der letzte katholische Bischof des Bistums Naumburg und Landesherr trug im Laufe seines Lebens eine beachtliche Privatbibliothek zusammen, die – so hatte er es testamentarisch verfügt – nach seinem Tod in die in die Bibliothek des seit 1028 bestehenden Kollegiatstiftes Zeitz einging.

Vermittler zwischen den Konfessionen

1499 in Eythra bei Leipzig als Sohn einer weitverzweigten und einflussreichen Adelsfamilie in eine Zeit voller Umbrüche hineingeboren, nahm Pflug bereits im zarten Alter von elf Jahren seine Studien an der Leipziger Universität auf. 1517 ging er nach Bologna, später zog es ihn erneut für einige Jahre dorthin. Einige Jahre später berief man ihn zum Rat des Albertiners Herzog Georg des Bärtigen; als Jurist war er am Leipziger Oberhofgericht von 1522 bis 1524 tätig. Zeitgleich partizipierte er an einträglichen geistlichen Pfründen in Zeitz, Merseburg und Meißen, denen weitere Ämter in Naumburg und Mainz folgten.

Zu Beginn der 1530er Jahre stieg er zum Mainzer Probst auf, schließlich wurde er Domdekan in Meißen. Allerdings scheiterte der Versuch Georgs des Bärtigen, Pflug zum Merseburger Bischof zu ernennen. Schließlich wurde Pflug 1541 vom Naumburger Domkapitel zum neuen Bischof gewählt. Nach einer Bedenkzeit nahm der Gelehrte das Amt an. Jedoch gelang es ihm erst 1547, sich gegen den Theologen Nikolaus von Amsdorf durchzusetzen, welcher zuvor auf Bestreben des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich von Martin Luther höchstselbst als erster evangelischer Bischof überhaupt eingeführt worden war.

Auf Pflug wartete keine leichte Aufgabe. Mit Beginn seines Bischofsamtes war er als Schlichter in Religionsstreitigkeiten tätig. Der auf Ausgleich bedachte und stets vermittelnde Kirchenmann konnte dennoch kaum größere Erfolge verzeichnen. Nach dem Sieg Karls V. im Schmalkaldischen Krieg (1546-47; der erste deutsche Konfessionskrieg – ein Konflikt zwischen den Kräften des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches sowie dem Herzog von Alba und dem Herzog von Sachsen gegen den Schmalkadischen Bund) musste Pflug hinnehmen, dass der größte Teil seiner Gemeinde zum Protestantismus konvertierte.

Dennoch kann Julius Pflug heute als Vermittler zwischen den Konfessionen angesehen werden. Neben der Reform des Klerus (so bemühte er sich beispielsweise – leider erfolglos – um Ausnahmegenehmigungen für die Priesterehe) war er bestrebt, den Einfluss des Protestantismus zurückzudrängen und die kirchliche Verwaltung innerhalb seines Bistums neu zu ordnen. Er setzte sich ein für den Erhalt der kirchlichen Einheit und hielt alle Parteien zum gegenseitigen Respekt an. Daher gilt er heute als früher Wegbereiter der Ökumene.

Julius Pflug starb 1564 in Zeitz als letzter Naumburger Bischof und wurde im Dom der Zeitzer Moritzburg beigesetzt; ein Epitaph erinnert heute an ihn.

Die Zeitzer Stiftsbibliothek mitsamt Pflugs Sammlung kann für die wissenschaftliche Nutzung genutzt und im Zuge von Führungen besichtigt werden (Voranmeldungen nötig), was allen Liebhabern historischer Bücher zu empfehlen ist – die Besucher erleben eine spannende bibliophile Zeitreise, ehrfürchtiges Staunen inklusive.

Ein Beitrag von Isabel Bendt


Literaturhinweise:

Corinna Wandt, Roland Rittig, Schloss Moritzburg Zeitz Museum (Hrsg.): Julius von Pflug, Bischof von Naumburg-Zeitz. Wegbereiter der Versöhnung in der Reformationszeit. Mitteldeutscher Verlag 2014.

Detlef Deye, Roland Rittig (Hrsg): Die Stiftsbibliothek und das Stiftsarchiv Zeitz. Mitteldeutscher Verlag 2006.

Dialog der Konfessionen. Bischof Julius Pflug und die Reformation. Ausstellungskatalog. Im Auftrag der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz. Hrsg. von Markus Cottin und Holger Kunde, Petersberg 2017.

Schatzhaus der Überlieferung. Stiftsbibliothek und Stiftsarchiv in Zeitz. Hrsg. von Holger Kunde u.a., Petersberg 2005 (Kleine Schriften der Vereinigten Domstifter, Bd. 1).

https://www.stiftsbibliothek-zeitz.de

Reformation 3.0 – Julius Pflug – Das Projekt – Die Pflug-Bibliothek (reformationsportal.de)

https://www.refomation-zeitz2017/wir-stellen-vor3/

https://www.mz.de/lokal/zeitz/zeitzer-bischof-berliner-kunstlerin-lasst-beruhmten-julius-pflug-auferstehen-3107207


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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