Der trunkene Herkules

Den ersten Teil vom mythischen Werdegang des Herakles hören Sie hier:

Begleitend zur aktuellen Folge des MYTHO-Cast soll im Folgenden ein Gemälde von Rubens vorgestellt werden, welches den griechischen Helden Herakles (röm. Herkules) in einer eher ungewöhnliche Szenerie präsentiert. Herakles war der Sohn des Göttervaters Zeus und der Sterblichen Alkmene, der Gemahlin des Amphitryon. Der Halbgott galt als Sinnbild der Stärke und des Mutes und wurde in der Antike kultisch verehrt. Herakles/Herkules zählt zu den bekanntesten Gestalten der griechisch-römischen Antike und dürfte den meisten nicht zuletzt auch durch zahlreiche Verfilmungen ein Begriff sein.

Der trunkene Herkules, von einem Satyr-Paar geführt, um 1613/14, Öl auf Eichenholz, 220 x 200 cm, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden

Der Flame Peter Paul Rubens (1577-1640) wirkte in Antwerpen und war einer der bekanntesten und produktivsten Künstler seiner Zeit; er gilt als Inbegriff des Barockmalers. Sein Œuvre umfasst zahlreiche Werke verschiedenster Motive. Durch sogenannte „Rubensstecher“ wurden viele seiner Werke in den Kupferstich übertragen und fanden in ganz Europa Verbreitung. Er schuf Altarbilder, Porträts, Landschaften und Historiengemälde mit mythologischen und allegorischen Themen.

Das von bacchischer Ikonographie durchzogene Gemälde „Der trunkene Herkules“ zeigt uns den Helden, der er seinem Appetit auf Wein erlegen ist und vom ebenfalls betrunkenen Gefolge des Weingottes Bacchus (griech. Dionysos) begleitet wird. Das Thema erschien auf vielen Sarkophagen der Antike; Rubens‘ Komposition dieses Sujets geht auf ein römisches Relief der Mattei-Sammlung zurück (mittlerweile verlorengegangen), das der Künstler während seines Aufenthalts in Rom sah und sich davon zu seiner Version inspirieren ließ.

Zu diesem Gemälde existiert ein Gegenstück mit dem Titel: Tugendheld, von der Siegesgöttin bekrönt.

Tugendheld, von der Siegesgöttin bekrönt (1615/16, GG Alte Meister Dresden und München, Alte Pinakothek 1613/14).

Die Dresdner Holztafel und ihr Münchner Pendant befanden sich zum Zeitpunkt von Rubens‘ Tod im Jahr 1640 im Besitz des Künstlers. Da keine Dokumentation über ihren Auftrag existiert, ist nicht klar, ob Rubens jemals die Absicht hatte, die Gemälde zu verkaufen oder ob er sie nur für sich selbst anfertigte, quasi als Erweiterung seiner privaten Kunstsammlung, die mehrere seiner eigenen Gemälde sowie Werke anderer Künstler umfasste. Offenbar wurden jene Bilder als ein zusammenhängendes Werk verstanden. Der Künstler wiederholte das Bilderpaar mit seiner Werkstatt einige Jahre später im Auftrag des Herzogs von Mantua, Vincenzo Gonzaga II. (auch befindlich in Dresden).

Rubens zeigt den Helden auf dem hier vorgestellten Gemälde fast nackt – seine Blöße wird lediglich von einem Feigenblatt und einem Stück Schleier bedeckt; der trunkene Protagonist taumelt nach vorn und würde wohl das Gleichgewicht verlieren, wären nicht die ihn haltenden Gestalten – ein weiblicher Satyr zur linken und ein männlicher Satyr zu rechten Seite. Eine tanzende Mänade folgt der Gruppe, dabei mit ihrer Hand auf den alkoholisierten Heroen zeigend. Auf der rechten Seite des Gemäldes zieht ein weiterer Satyr eine Grimasse, verdreht zum Hohn oder zum Zeichen der Lüsternheit seine Zunge und schaut dabei durch den offenen Rachen von Herkules‘ Löwenumhang. Darunter hat ein Putto die Keule Halbgottes gestohlen und hält sie sich zwischen die Beine. Der Krug, aus dem Herkules seinen Durst gestillt hat, baumelt leer an dessen linker Hand. Links unten befindet sich ein umgeworfener Korb mit Weintrauben. Erst bei näherem Hinsehen entdeckt der Betrachter noch einen zwischen den Beinen des Heroen herumtollenden Leoparden. Darunter liegen verschiedene Musikinstrumente – zwei Flöten und ein Tamburin. Die ganze Szenerie ist in eine angedeutete Landschaft eingebettet.

Die eher derbe Szene auf dem vorliegenden Gemälde zeigt den allzeit starken Recken jedoch in einer eher ungewohnten Situation – der Alkohol hat ihm (vorübergehend) seine Kraft geraubt, was man auch durch die Inbesitznahme seiner charakteristischen Attribute durch Figuren des bacchantischen Gefolges deuten kann. Die hier vorgestellte Szene geht auf einen Mythos zurück, in dem Herkules den Weingott Bacchus zu einem Trinkwettbewerb aufgefordert hatte. Herkules verlor und schloss sich für einige Zeit dem Gefolge des Weingottes (griech. Thiasos) an.

Das Geschehen hier zeigt uns Herkules nicht von seiner starken, unbezwingbaren, sondern von einer schwachen, menschlichen Seite, dem „dolce vita“ nicht abgeneigt:

„Er ist ein überaus menschlicher Held, der die irdischen Genüsse keineswegs verschmäht, nicht die Trink- und Tafelfreuden noch die der irdischen Liebe. Er kann so jähzornig wie milde, so großzügig wie unerbittlich, so grobschlächtig wie zartfühlend sein. Dennoch wird er zum Helfer und Heilbringer, dem ein verbreiteter Kult geweiht war.“ (Richter/Ulrich, 1982)

Ein Beitrag von Isabel Bendt


Podcast-Script geschrieben von Constance Timm

Gesprochen von Constance Timm und Isabel Bendt

Intro und Outro gesprochen von Isabel Bendt und Constance Timm

Musik von Sebastian Helm

Editing von Sebastian Helm


Literaturhinweise:

Richter Gert; Ulrich, Gerhard: Lexikon der Kunst-Motive: antike und christliche Welt. Mit Zeichnungen von Gerhard Ulrich. Gütersloh: Lexikothek-Verlag, 1982.

Rosenthal Lisa: Manhood and Statehood. Rubens’s Construction of Heroic Virtue. In: Oxford Art Journal, Vol. 16 No.1, 1993, Oxford University Press, 1993.

Roth, Martin; Neidhardt, Uta; Marx, Harald: Gemäldegalerie Alte Meister Dresden. Band 1: Die ausgestellten Werke. Köln: Walther König, 2019.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

2 Antworten auf „Der trunkene Herkules“

  1. Herakles ist eine sehr kontroverse Gestalt. Da Herakles als Halbgott sterblich war, lässt sich das extrem hohe Alter (im Diesseits) kaum plausibel erklären. Neben Mut und Stärke taucht Herakles auch mit dem Attribut Jähzorn auf. Viele weitere sich gegenseitig widersprechende Charaktereigenschaften deuten darauf hin, dass Herakles eine aus vielen Figuren zusammengesetzte Figur ist. Wahrscheinlich gab es deshalb über einen langen Zeitraum viele lokale Helden, die zum Super-Heros Herakles verschmolzen wurden. Sturz betrunken muss Herakles häufiger gewesen sein. Beispielsweise vergewaltigte Herakles die Auge, woraufhin diese die Mutter des Telephos wurde -> https://www.mythologie-antike.com/t846-auge-mythologie-wurde-von-herakles-vergewaltigt

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