Diese Woche, am 9. Februar, wäre der Privatgelehrte und Lyriker Gisbert Kranz 100 Jahre alt geworden. Der gebürtige Essener Gisbert Kranz (1921-2009) war ein kämpferischer Katholik und fromm bis in die Zehenspitzen. Aber er hatte auch etwas Ketzerisches. Die Kirche konnte er kritisieren, weil er fest im Glauben stand, gleichzeitig zeigte er sich offen für häretische und phantastische Visionen. Er war ein Kritiker des Kapitalismus wie auch des Kommunismus und glaubte an die katholische Soziallehre.
Ich lernte ihn 1986 auf einer Tagung über einen phantastischen englischen Autor kennen. Drei Jahre zuvor hatte Kranz die deutsche Inklings-Gesellschaft gegründet, die sich den Werken und Ideen der britischen Inklings widmen sollte – und es bis heute tut. Inklings – Tintenkleckser und Autoren mit Ahnungen (to have an inkling= etwas ahnen) – nannte sich die Gruppe um Tolkien, C.S. Lewis, Charles Williams und Owen Barfield. Man diskutierte in einem Oxforder Pub über das gerade Geschriebene – Hobbits, Elfen, Narnia, Anthroposophie, Kinderliteratur, Christentum. Kranz fand diese Autoren so anregend und so seiner Geisteshaltung entsprechend, dass er in Aachen den deutschen Verein gründete, der bis heute jährliche Tagungen abhält: über Technik, Phantasie, Theologie, Chesterton, phantastische Botanik oder Musik, Verfilmungen, Kinderbücher, über Barfield, Lewis, Tolkien, Dorothy Sayers und viele andere Bereiche zwischen den Disziplinen.
Kranz hat über 50 Bücher geschrieben, sowohl zu diesen Autoren als auch zu historischen Gestalten: Frauen in der Geschichte, böse Despoten, gute Menschen, Augustinus, ein Lexikon der christlichen Weltliteratur (1978). Bekannt wurde er mit seinen Arbeiten zum Bildgedicht, zu dem er eine viel gelesene Anthologie vorlegte. Ein Standardwerk wurde Das Bildgedicht. Theorie. Lexikon. Bibliographie (1981). Was Gedichte über Bilder sagen, deutet seinen Fokus an: zu vermitteln zwischen Sprache und Vision. Das könnte man als roten Faden seiner unzeitgemäßen Gelehrtheit ansehen. Die innere Seite des roten Fadens sind die Gedichte, die er unter dem Pseudonym Kris Tanzberg veröffentlichte.
Als junger Mann lehnte er es ab, in die Hitlerjugend einzutreten, worüber man in seiner Autobiographie nachlesen kann (Eine katholische Jugend im Dritten Reich, 1991). Er promovierte 1950 über Ernst Jüngers Symbolik – auch das ein Zeichen der Spannweite seines religiösen Blicks. Den Mythen in ihrer Vermengung mit Religion war er besonders aufgeschlossen. Wer die Inklings liest, betritt mythisches Territorium. Seine Studien zu dem von keltischer Mythologie beeinflussten Dichter David Jones zeigen dies ebenso wie seine Arbeiten zu den imaginären Welten eines Dante, George MacDonald, C.S. Lewis und Tolkien.
Ich war mit ihm befreundet, ohne seinen Katholizismus zu teilen, doch unsere größte gemeinsame Schnittmenge fanden wir bei dem Katholiken Gilbert Keith Chesterton. Da stießen wir auf dieselben Schichten des Humors und begeisterten uns an den phantastischen Kapriolen und philosophischen Paradoxien des Engländers, den er auch übersetzt hat. Bei Chesterton kehrten wir beide wie in einem Wirtshaus ein und ließen es uns und der Welt gut sein. Das ist meine schönste Erinnerung an Gisbert Kranz.
Ein Beitrag von Elmar Schenkel