Baba Jaga (Baba Yaga) – Todesgöttin, gefürchtete Hexe, wundersame Heilerin: Teil 2

Baba Jaga in der Literatur

„Sie ist eine böse und hässlich Greisin, der man nachsagt, sie fresse kleine Kinder. Sie ist eine mythische Episodengestalt. […] Wer möchte sich schon mit einer solchen Figur befassen? Und dennoch ist Baba Jaga eines der ältesten archetypischen Bilder in der Geschichte der Menschheit, das in uns allen, Frauen wie Männer tief verwurzelt ist. Bei der Entscheidung, sie zu meinem Thema zu machen, ließ ich mich vielleicht auch von einem Gerechtigkeitsgefühl leiten oder aber auch von dem kindlichen Wunsch, in Baba Jagas Hütte hineinzuschauen, hinter den Spiegel zu sehen.“ (Dubravka Ugresic: „Baba Jaga legt ein Ei“ 2008)

In der internationalen Literatur ist die „Baba Jaga“ bis heute ein beliebtes Thema und Motiv. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf einen phantastischen Roman der russischen Brüder Boris und Arkadi Strugatzki, „Der Montag fängt am Samstag an“ (1965), der zu den erfolgreichsten Werken der russischen Fantastik gehört und im Westen (vor allem wegen seiner Magie) auch als „Russischer Harry Potter“ bezeichnet wird. Die umfangreiche „Barrayar“-Buchreihe (1991) der amerikanischen Autorin Lois McMaster Bujold zählt zu den bedeutendsten Science-Fiction Sagas im englischsprachigen Raum. Aber auch in der deutschsprachigen Kinderliteratur finden wir Bezüge auf die Figur der russischen Hexe, so u.a. in Ottfried Preußlers „Die Abenteuer des starken Wanja“ (1968, 2003) wie auch in seinem populären Kinderbuch „Die kleine Hexe“ (1957, 2013, 2018 verfilmt), die gerne eine gute Hexe sein möchte und aus diesem Grunde gute Taten vollbringt. Als menschenfressende Hexe tritt Baba Jaga in den Kurzgeschichten „Taschi & The Wicked Magican“/„Mein kleiner Freund Taschi“ (2007) der australischen Autorinnen Anna und Barbara Fienberg auf. Baba Jaga spielt als Hexe auch in der Fantasy-Geschichte „Im Land der Tajumeeren“ (2007) der deutschen Schriftstellerin Nina Blazon eine Hauptrolle, wie bereits zuvor in Kai Meyers Roman „Der Schattenesser“ (1998).

Das Buch „Baba Jaga legt ein Ei“ (2008) der aus Kroatien stammenden Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Dubrava Ugresic (eigentlich Dubrava Ugrešić) verweist bereits im Titel auf die aus der Märchenwelt bekannte Figur hin. Der teilweise autobiografische Züge tragende Roman beschreibt im ersten Teil den körperlichen Verfall, den Kampf dagegen und das langsame Dahinsiechen am Beispiel der an Demenz erkrankten Mutter der Erzählerin, die sich immer stärker im Reich ihrer Kindheitserinnerungen einschließt. Im zweiten Teil des Buches treffen wir auf drei (sic!) weitere, miteinander befreundete ältere Damen. Auch hier verfolgt Ugresic den Baba-Jaga-Mythos im Bezug auf das Altern, das Sterben und den Tod, aber auch den Kampf dagegen in Gestalt des modernen Körper-, Schönheits- und Jugendkults wie auch der existierenden Geschlechterverhältnisse.

Für das Thema des Buches ist der dritte, essayhafte Züge tragende Teil von Bedeutung, der mit dem Titel „Baba Jaga für Anfänger“ überschrieben ist und den man auch als Epilog lesen kann. Es ist eine selbsternannte „wissenschaftliche Expertin“ für slawische Folklore und Mythologie, die sich Aba Bagay nennt (wahrscheinlich ein Anagramm von Baba Jaga), die dem Leser wichtige Informationen über den Mythos und die Märchenfigur der bösen Greisin vermittelt, die auch, wie übrigens in Grimms „Hänsel und Gretel“, auch kleine Kinder frisst. Allerdings geht es der Erzählerin nicht um das angsteinflößende Märchenthema, sondern vielmehr Baba Jaga als „Objekt einer erschreckenden Frauenfeindlichkeit“, als „traurige Karikatur“ einer einst mächtigen Schicksalsgöttin zu zeigen. Das zeigt sich auch in der eng mit dem Baba-Jaga-Mythos verknüpften Symbolik. So weisen die Figuren der Mutter aus dem ersten wie auch der Aba Bagay im dritten Teil Eigenschaften auf, die an Vögel und die Vogelsprache erinnern: „Bald werde ich meine menschliche Sprache gegen die Vogelsprache tauschen. Es bleiben mir nur noch wenige menschliche Augenblicke, dann wird sich mein Mund in die Länge ziehen zu einem Schnabel, meine Finger werden zu Krallen, mein Körper wird völlig mit glänzenden schwarzen Federn bedeckt sein…“[1]

Der bereits im Titel signalisierte Bezug auf das Ei stellt einen mehr oder weniger offensichtlichen Bezug auf die Mythologie dar. So symbolisiert das Ei jeglichen Anfang, aber auch die Fruchtbarkeit und die Erneuerung der Lebenskraft. In dieser Hinsicht wurde die Welt auch als ein einziges, riesiges kosmisches Ei gesehen, den Himmel bildet die Eischale, das Wasser das Eiweiß, die Wolken die dünne Eihaut und die Erde das Eigelb. Ugresic’s Buch verdeutlicht eine Tendenz in der Literatur- und Kulturgeschichte des 20. und 21. Jahrhundert mit der sich die allein negativen Vorstellungen von Hexen verändern.

Damit wandelt sich auch die Vorstellung wie auch das Bild der Baba Jaga. Eine moderne „Hexe“ wird zunehmend selbstbewusst und verführerisch dargestellt. Sie ist nicht mehr nur alt, abstoßend und hässlich, sondern hübsch, attraktiv, anziehend, in ihrer Erscheinung, in ihrem Auftreten und Outfitsein einfach „sexy hexy“. Oft wird eine solche moderne „Hexe“ zum Sinnbild einer modernen starken, selbstbewussten und sinnlichen Frau, die sich u.a. als „Witchfluencer“ dem herrschenden Patriarchat entgegenstellt. Wie sie ihre Magie entfaltet und nutzt, ist allein ihr überlassen. Interessant ist in diesem Kontext das Buch, „Wickedly Magical. A Baba Yaga Novella” (2024) der amerikanischen Schriftstellerin Deborah Blakes, das zu einer noch nicht ins Deutsche übersetzten Buchreihe gehört, die drei unterschiedlichen Figuren der „Baba Yaga“ in „Collected Novellas“ (Urban Fantasies) vorstellt. Eine jede von ihnen ist voller Unternehmungsgeist und verfügt zugleich auch über eine magische sexuelle Anziehungskraft: „You’re the Baba Yaga?” He gazed at her in disbelief. „But the Baba Yaga is an ugly old crone, and you’re, you’re not!” Die deutsche Kunsthistorikerin Henrike Holsing stellt in ihrer Publikation “Hexen! Über Körper, Wissen und Macht“ (2023), die zur gleichnamigen Ausstellung im Würzburger Museum im Kulturspeicher entstand, unterschiedliche Darstellungen von Hexen in der bildenden Kunst dar. Sie reichen vom extrem negativen Frauenbild in der Geschichte, mit der Hexenverfolgung beginnend, bis in unsere Zeit, in der die Hexenfigur zur Verkörperung eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins und offener weiblicher Sexualität aufsteigt.[2]

Baba Jaga in der Musik

Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf den russischen Komponisten Modest Petrowitsch Mussorgski, der den Flug der Baba Jaga in einem Mörser musikalisch in seinem berühmten Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ (1874) verewigte. Die britische Rockband „Emerson, Lake and Palmer“ hat in ihrer Neuinterpretation von Mussorgskis „Pictures at an Exhibition“ eine musikalische Fortsetzung hinzugefügt: „The Curse of Baba Yaga“ (1971). Der ebenfalls russische Musiker Anatoli Konstantinowitsch Ljadow porträtierte „Baba Jaga“ in einer kurzen, aber effektvollen gleichnamigen sinfonischen Dichtung  (1891-1904). „Baba Jaga schlich hinaus, ein Pfiff – und sofort waren Trog, Stampfe und Besen zur Stelle. Flink stieg die Waldhexe in den Trog und fort ging’s – mit der Stampfe trieb sie zur Eile, mit dem Besen glättete sie die Spuren ihrer Reise. Bald darauf wurde es lebendig im Walde: Bäume krachten, trockenes Laub raschelte…“ So lautet die Beschreibung zu diesem Tongemälde des russischen Slawisten und Ethnologe Aleksander Nikolajewitsch Afanassjew.

Der russische Komponist Alexander Sergejewitsch Dargomyschski, Repräsentant der russischen Nationaloper, komponierte ein der mythischen Gestalt der Baba Jaga gewidmetes Fantasie-Scherzo für Orchester, das 1862 entstand, das aber erst nach seinem Tod im Jahre 1870 in  St. Petersburg uraufgeführt wurde. Dabei ging es dem Musiker weniger um die böse Hexe selbst, als vielmehr um ihren fantastischen Flug durch die Lüftte von der Wolga bis hin nach Riga. In Antonín Dvořáks Oper „Rusalka“ (1900) kommt die Baba Jaga, in der tschechischen Version „Ježibaba“, allein als Hexe vor. Auch in Piotr Iljitsch Tschaikowskis  gleichnamiges Kinderalbum (1878) treibt Baba Jaga als die Hexa ihr Unwesen. Verwiesen sei auch auf das neue Album „Grenzenlos“ der aus fünf jungen Musiker und Musikerinnen aus Österreich, Montenegro und Israel bestehenden Band „Baba Yaga“. Es ist eine interessante Mischung aus Balkanmelodien, virtuosen Klezmer-Stücken, temperamentvollem Gypsy-Jazz und sinnlichen orientalischen Tänzen, ein echtes musikalisches Feuerwerk u.a. mit bekannten Melodien wie z.B. das bekannte russische Lied „Schwarze Augen“ (Otchi tschornyje), im Album „Dark Eyes“.[3]

Baba Jaga hat sich bis heute als ein erstaunlich lebendiges Thema und Motiv in der Kunst, Kultur, Musik und Literatur behauptet. Auch wenn sie im heutigen Brauchtum kaum mehr eine Rolle spielt, sei auf einen vor allem in Bulgarien bis heute lebendigen Brauch verwiesen, der mit der Bezeichnung „baba“ untrennbar verbunden ist. Der Brauch ist als „Baba Marta“ (Großmütterchen März) oder auch „Martiniza“ bekannt. Der März ist in diesem Kontext der einzige Monat im Bulgarischen, der nach einer Frau, Marta, benannt ist. Die Farben der kleinen Märzen-Püppchen bzw. kleinen Armbänder oder Schmuckstückchen sind weiß und rot, das Weiß symbolisiert das weiße Haar der weisen alten, das Rot die gesunden, roten Wangen der jungen Göttin. Die Farben lassen des Weiteren auch auf den Winterschnee und das Lebensblut schließen, auf den Übergang vom Winter zum Frühling im Monat März. Mit dem Verschenken und dem Tragen der Maritinizi soll die Göttin Baba Marta mild gestimmt werden, soll der Frühling möglichst ungestört, ohne Kälteeinbrüche Einzug halten, sollen auch alle bösen Kräfte ferngehalten werden, auf dass Gesundheit und Wohlergehen einkehren.

Aber auch in Sachsen ist die Baba vorhanden und zwar selten erkannt im sächsischen Wort „Bäbe“ (Napfkuchen oder auch Guglhupf). Aufschlussreich ist diesbezüglich eine alte, mit dem sächsischen Napfkuchen verbundene Tradition. So wurde eine „Bäbe“ einst nur zum Leichenschmaus anlässlich eines Begräbnisses in einer runden Napfkuchenform aus einfachen Zutaten gebackenen. Es war seinerzeit Sitte, nach der Beerdigung im Hause des/der Verstorbenen zum Kaffetrinken mit einfachen Speisen einzuladen. Erst später entstand die uns heute bekannte reichere Version der „Bäbe“, die mit Butter, Eiern, Mandeln und Rosinen gebacken wird. Die Herkunft des Wortes „Bäbe“ bezieht sich auf den faltenreichen, von der Hüfte bis zu den Füßen immer weiter werdenden Rock einer Frau zumeist vom Lande. In diesem Sinne ist das sächsische Wort „Bäbe“, eine Entlehnung aus dem Slawischen, von „baba“ bzw. „babka“ abgeleitet.

Ein Beitrag von Dr. Hans -Christian Trepte


[1] Vergleiche dazu auch die Illustration (Hardcover) von „Baba Jaga legt ein Ei“ von Dubravka Ugresic.

[2] Hexen! Über Körper, Wissen und Macht. Herausgegeben von Henrike Holsing. Köln: Wienand Verlag 2023.

[3] Baba Yaga https://www.baba-yaga.at/


 © Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

Eine Antwort auf „Baba Jaga (Baba Yaga) – Todesgöttin, gefürchtete Hexe, wundersame Heilerin: Teil 2“

  1. „So symbolisiert das Ei jeglichen Anfang, aber auch die Fruchtbarkeit und die Erneuerung der Lebenskraft“

    Es gibt einige mythologische Erklärungsmodelle für die Entstehung der Welt. „Als Kosmonogie (altgriechisch κοσμογονία kosmogonía = deutsch -> „Weltzeugung“; in älteren Texten auch Kosmogenie) werden Erklärungsmodelle bezeichnet, die mit der Entstehung der Welt und dem Leben zusammenhängen.“

    Oft spielt das Ei dabei eine bedeutsame Rolle, so wie beispielsweise bei den Orphikern:

    „In der Mythologie der Orphiker wird berichtet, dass Chronos aus dem Chaos entstanden ist. Gemäß der orphischen Mythologie ist Chronos ein Schöpfergott. Chronos soll demnach aus dem Aither das silberne Welten-Ei erzeugt haben. In einigen Mythologien wird erzählt, dass dieses Weltei eine Art Urwesen ist. Aus diesem Urwesen soll die Erde (Gaia) entstanden sein. Viele Mythologien berichten auch, dass dieses Welten-Ei die Vorstufe der Erde ist. Dabei wird die Erde selber als Urwesen bezeichnet.“

    In allen Mythologien ist das Ei als Fruchtbarkeitssymbol extrem bedeutsam ->

    https://www.mythologie-antike.com/t213-chronos-gott-der-zeit-aus-der-mythologie-der-orphiker

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