Unweit von Detmold steht eines der bekanntesten Großdenkmale Deutschlands – das Hermannsdenkmal. Es reiht sich ein in eine Gruppe von ähnlichen monumentalen Bauwerken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts: Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Deutschen Eck in Koblenz, das Niederwald-Denkmal nahe Rüdesheim am Rhein, das Kyffhäuser-Denkmal, das Völkerschlacht-Denkmal in Leipzig, das Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica und einige weitere sind Ausdruck des neuen deutschen Nationalbewusstseins jener Zeit, mit dem die – wie es manche Historiker behaupten – „verspätete Nation“ ihre Größe und Bedeutung zeigen wollte.
Hermann der Cherusker wird also hier als ein deutscher Held in Szene gesetzt. Erst die Germanenrezeption des Humanismus hatte das Interesse an der historischen Figur, dem Cherusker Arminius, wieder erweckt. Auf diese Zeit, genauer auf das beginnende 16. Jahrhundert, geht auch der neue Name Hermann für den historischen Arminius zurück. Häufig wird Martin Luther genannt, der diesen neuzeitlichen Namen für den antiken Germanen geprägt haben soll. Tatsächlich setzt im 16. Jahrhundert eine verstärkte Auseinandersetzung mit der germanischen Geschichte ein, wofür die Wiederentdeckung der „Germania“ und der „Annalen“ von Tacitus Mitte des 15. Jahrhunderts bzw. Anfang des 16. Jahrhunderts den Anlass boten. Tacitus stilisiert Arminius zum Befreier Germaniens, und in der Tat hatte Arminius als Anführer der germanischen Gegner Roms in der Varus-Schlacht im Jahre 9 n. Chr. wesentlichen Anteil am Sieg der germanischen Stämme gegen die nominell überlegenen Römer – mit der Folge, dass drei Legionen des römischen Heeres untergingen. Auf Grund seiner Ausbildung im römischen Heer und seiner Teilnahme am Pannonienfeldzug war Arminius mit den Stärken und Schwächen, den Strategien, der Organisation und den Kampftechniken der Römer bestens vertraut. Dies kann als wesentlicher Vorteil für die Vorbereitung und Durchführung des germanischen Angriffs auf die Truppen unter Führung des Publius Quinctilius Varus angesehen werden.
Arminius war der Sohn des Cherusker-Fürsten Sigimer und wurde wohl um 17 v. Chr. geboren. Sein Vater war romfreundlich und dabei Anführer desjenigen Teils der Cherusker, der auf Seiten Roms stand. Als der Feldherr und spätere Kaiser Tiberius auf seinen Germanenfeldzügen cheruskisches Stammesgebiet eroberte, wurden Arminius und sein Bruder Flavus als Geiseln nach Rom gebracht – eine übliche Methode, um sich der Loyalität der Unterworfenen zu versichern. Arminius erhielt also eine römische Bildung, erlangte das römische Bürgerrecht, wurde sogar in den Ritterstand aufgenommen und diente – wie bereits erwähnt – im römischen Heer. Er war also ein etablierter Römer mit germanischen Wurzeln.
Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dass Arminius das römische Heer des Statthalters Varus auf dem Weg ins Winterlager in einen Hinterhalt lockte und maßgeblich den Aufstand der Cherusker und anderer germanischer Stämme gegen die mehr als 15.000 Mann starken drei römischen Legionen und Hilfstruppen anführte. Über die Motive Arminius‘ gibt es daher auch bereits seit der Antike Spekulationen, wobei hier meist auf das strenge Regiment des Statthalters Varus verwiesen wird. In jedem Fall nahm Arminius mit dem Seitenwechsel ein hohes persönliches Risiko in Kauf.
Ob die so genannte Varusschlacht, wie in den letzten Jahrzehnten von vielen Forschern behauptet und lokal auch so vermarktet (vgl. dazu https://www.kalkriese-varusschlacht.de/index.html), tatsächlich am Kalkrieser Berg nördlich des Wiehengebirges bei Osnabrück stattgefunden hat, bleibt umstritten. Unabhängig davon kann diese Schlacht als ein Wendepunkt in der römischen Expansionspolitik im rechtsrheinischen Germanien gesehen werden. Trotz späterer Rückeroberungsversuche gelang es den Römern nicht, ihre Oberherrschaft nachhaltig im rechtsrheinischen Gebiet zu verankern.
Wie es meist der Fall ist, haben solche Ereignisse in der Regel mehrere Urheber, doch die Geschichtsschreibung schon in der Antike fokussiert auch aus Gründen der Vereinfachung gerne auf wenige Akteure – hier vor allem auf Varus und Arminius. Auf Grund der entsprechenden Überlieferungslage bleibt auch heute für differenziertere Darstellungen nur bedingt Raum.
Nach der Varusschlacht führte Arminius verschiedene germanische Stammesverbände in Kämpfen gegen römische Truppen, insbesondere in den Kämpfen der Jahre 14 bis 16 n. Chr. gegen die Feldzüge des Nero Claudius Germanicus. Aber auch in Kriegen zwischen germanischen Stämmen, die verstärkt nach 17 n. Chr. ausbrachen, war Arminius involviert. Im Jahre 21 n. Chr. wurde er mutmaßlich von Verwandten ermordet.
Ein bekanntes privates Detail seines Lebens ist die Ehe mit Thusnelda, der Tochter des cheruskischen Stammesfürsten Segestes, die gegen den Willen des Vaters geschlossen wurde. Thusnelda wurde nach kurzer Ehe von ihrem Vater entführt und später mitsamt des Sohnes Thumelicus dem Feldherrn Germanicus übergeben, der die beiden auf seinem Triumphzug in Rom im Jahre 17 n. Chr. als Trophäen mitführen ließ.
Zu Arminius gibt es zahllose Literatur, die man beispielsweise bei Wikipedia findet (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Arminius). Diese Literatur stützt sich als Quellen im Wesentlichen auf dieselben antiken Autoren, nämlich vor allem auf Tacitus, Cassius Dio, Strabon und Velleius Paterculus. Dass die antiken Geschichtsschreiber nur eine römisch geprägte Sicht vermitteln können, ist naheliegend. Umso mehr Raum bietet daher die Ausdeutung einer „germanischen“ Perspektive auf Arminius. Die historische Zuspitzung auf seine Person eröffnet eine geeignete Projektionsfläche für eine mehr oder weniger politisch aufgeladene Heldenverehrung.
Wie fruchtbar auch eine völlig ahistorische Stilisierung als deutscher Heros sein kann, zeigt bereits das eingangs erwähnte Monumentaldenkmal des 19. Jahrhunderts. Die Kolossalfigur mit erhobenem Schwert war auch als politische Botschaft gedacht: Der Kampf gegen die römischen Besatzer und die Einigung der germanischen Stämme wurde als Parabel für die Abwehr der Franzosen unter Napoleon und die nationale Einigung Deutschlands umgedeutet.
In der späten Weimarer Republik projizierten dann die Nationalsozialisten die Gestalt des Arminius auf Adolf Hitler, der zum Befreier von der Schmach von Versailles stilisiert wurde und der zugleich der als derjenige gesehen wurde, der die (innere) Einheit und Geschlossenheit Deutschlands wiederhergestellt habe (vgl. Mellies 1998).
Die Faszination, die von Arminius ausgeht, setzt sich bis heute fort. Die Varusschlacht und deren Folgen waren insbesondere zum 2000. Jahrestag (2009) ein omnipräsentes Thema in den Medien. Vor wenigen Jahren legte Netflix eine Fernsehserie mit dem Titel „Barbaren“ auf, die Arminius und den Kampf gegen die Römer dramatisch thematisierte.
Insbesondere für den lokalen Tourismus sind heute Arminius und die Varusschlacht von unschätzbarem Wert. Die Weserbergland-Touristik nimmt die Liebesgeschichte von Arminius und Thusnelda zum Aufhänger, um für Bad Pyrmont zu werben und erklärt die Umgebung zum wesentlichen Siedlungsgebiet der Cherusker. (vgl. https://www.weserbergland-tourismus.de/de/p/thusnelda-und-arminius/55305971/)
Der Teutoburger Wald Tourismus wirbt mit der Varusschlacht und dem „Debakel für die römische Weltmacht“ (vgl. https://www.teutoburgerwald.de/region/geschichten/historische-hintergruende/roemer-germanen), und auch die Tourismus-Büros des Tecklenburger Landes, der Städte Bramsche und Willebadessen verweisen auf Bezüge zu Arminius und der Varusschlacht. Schließlich sind Arminius und die Varusschlacht die zentralen Themen des Museums Kalkriese. Zahlreiche touristische Devotionalien, die Arminius in Form des Hermannsdenkmals abbilden, sind erhältlich – von der Bechertasse über Taschen und Turnbeutel bis hin zu diversen Modeartikeln, vornehmlich T-Shirts und andere Oberbekleidung. Hieran erkennt man, dass die Referenzen auf Arminius offensichtlich touristische Anziehungskraft besitzen.
Aneignung von Geschichte ist an sich nicht verwerflich, problematisch ist aber die rezente rechtsextreme Rezeption. In dieser Szene wurde die Figur des Arminius in der jüngeren Vergangenheit vielfältig vereinnahmt (vgl. u.a. Raabe 2009), so beispielsweise im Namen der (inzwischen nicht mehr aktiven) Online-Shops „Arminius-Versand“ und „Hermannsland-Versand“. Letzterer produzierte als Label in den Jahren 2017 bis 2020 u. a. für die in der rechtsextremen Szene äußerst bekannte und beliebte Band Die „Lunikoff Verschwörung“ mehrere CDs und einen Sampler. Den Begriff „Hermannsland“ verwendeten im Übrigen bereits die Nationalsozialisten. Im Jahre 2013 wurde eine der NPD nahestehende Kleinstpartei namens „Arminius-Bund“ gegründet, die mit einem Netzwerk rechtsextremer Russlanddeutscher kooperierte.
Vor allem aber in der rechtsextremen Musikszene ist der Bezug zu Arminius/Hermann sowie zur Varusschlacht (Hermannsschlacht) populär, wie Musikproduktionen der rechtsextremen Bands „Wolfsnacht“, „Carpe Diem“, „Nahkampf“, „Hunde des Krieges“ u.v.m. zeigen. Eine Band nannte sich sogar explizit „Cherusker“ und produzierte mehrere Titel, die auf Arminius und die Varusschlacht Bezug nehmen.
Abbildungen des Hermannsdenkmals sind vielerorts in der rechtsextremen Szene präsent, vor allem auf zahllosen T-Shirts und anderen Mode-Artikeln aus der Szene. Manche Versender bieten sogar Wandaufkleber mit diesem Bild und der Unterschrift „Hermann der Cherusker“ an. Die Ähnlichkeit zu manchen der oben genannten touristischen Souvenirs ist dabei groß, wenn auch durch den Kontext die rechtsextreme Intention deutlich wird.
Auch die rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ (AfD) nahm schon auf Arminius Bezug, indem im Landtagswahlkampf NRW im Jahre 2017 eine Plakatvorlage mit Hermannsdenkmal und dem Slogan „Weil Leitkultur Vorbilder braucht“ verbreitet wurde (vgl. https://pbs.twimg.com/media/FPq_lXoXEAoNNgB?format=jpg&name=small).
Auch außerhalb des unmittelbar politischen Bereichs, nämlich in der Kunst, Musik und Literatur gab es in den zurückliegenden Jahrhunderten und z.T. bis heute eine intensive Auseinandersetzung mit Arminius. Die vielfältige Rezeption der Themen Arminius und Varusschlacht in der darstellenden Kunst insbesondere im 19. Jahrhundert zeigt z.B. eine Ausstellung im Landesmuseum Detmold unter dem Titel „Arminius, Thusnelda und die Schlacht im Teutoburger Wald“ (vgl. https://lippisches-landesmuseum.de/abteilungen/mythos-varusschlacht/).
In der Literatur wurde schon Ende des 17. Jahrhunderts Arminius beispielsweise im Roman „Großmütiger Feldherr Arminius“ des Barock-Autors Daniel Caspar von Lohenstein gehuldigt. Auch Friedrich Gottlieb Klopstock und Heinrich von Kleist widmeten sich seiner Person. Die entstehende Germanistik befasste sich ebenfalls mit Arminius, und zwar in Form der Hypothese, dass Arminius das historische Vorbild für Siegfried im Nibelungenlied sei. Selbst wenn diese Gleichsetzung schon früh bezweifelt wurde, besaß sie doch ein langes Nachleben, das bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts reichte, als sie vom Germanisten Otto Höfler dadurch detailliert wiederbelebt wurde, dass er in Siegfrieds Kampf gegen den Drachen eine Bezugnahme auf die Varusschlacht sah (vgl. u.a. Höfler 1978). Heute wird diese Ansicht zwar in Fachkreisen nicht mehr diskutiert, Belege aus der rechtsextremen Szene zeigen aber, dass sie dort fortlebt. So veröffentlichte der Interpret Jan-Peter eine CD mit dem Titel „Hermannsseele, Siegfriedgeist“.
Fasst man zusammen, so sieht man, dass das breite Spektrum der Bezugnahmen auf Arminius von der lokalen touristischen Vermarktung über die Verarbeitung in der Literatur bis hin zur rechtsextremen politischen Aneignung reicht.
Arminius ist also eine dankbare Figur aus der germanischen Geschichte, die vielfältig vereinnahmt und so auch zu einem „deutschen“ Helden stilisiert werden kann, obwohl er historisch mit „deutsch“ nichts im Geringsten zu tun hat. Dennoch ist er in guter Gesellschaft, wie das Beispiel des keltischen Averner-Fürsten Vercingetorix zeigt, der im 19. Jahrhundert zum Urvater der französischen Nation stilisiert wurde, oder das von Hannibal, der zum Teil der nationalen Identität des erst 1956 als selbstständiger Staat entstandenen Tunesiens wurde.
Ein Beitrag von Prof. Georg Schuppener
Georg Schuppener ist Sprachwissenschaftler, Naturwissenschaftshistoriker und promovierter Mathematiker. Er lehrt an Universitäten in Deutschland, Tschechien, Russland und der Slowakei. Seit 2011 ist er Professor in Ústí nad Labem. 2002 erhielt er den Theodor-Frings-Preis der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Zu seinen interdisziplinären Forschungsschwerpunkten zählen Sprachgeschichte (Sprachwandel und Sprachvariationen), Soziolinguistik, mythologische Literatur sowie die Geschichte der Mathematik und Volkskunde.
Literaturhinweise:
Höfler, Otto: Siegfried, Arminius und der Nibelungenhort (= Sitzungsberichte / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 332). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1978
Mellies, Dirk: „Blickt auf den Recken, den Hermann dort oben…“. Das Hermannsdenkmal im ‚Dritten Reich‘. In: Nationalsozialismus in Detmold. Dokumentation eines stadtgeschichtlichen Projekts, herausgegeben von der Stadt Detmold in Zusammenarbeit mit dem Naturwissenschaftlichen und Historischen Verein für das Land Lippe. Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe. Bd. 50. Bielefeld: Aisthesis Verlag 1998, 556–570.
Raabe, Jan: Hermann statt Hitler. „Germanentum“ und Hermannsmythos in extrem rechten Jugendkulturen. In: Killguss, Hans-Peter (Hrsg.): Die Erfindung der Deutschen. Rezeption der Varusschlacht und die Mystifizierung der Germanen. Dokumentation zur Fachtagung vom 03. Juli 2009. Beiträge und Materialien der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus 4. Köln: NSDOK 2009, 43–51.
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