Die Leipziger Stadtbibliothek ist gut besucht am vor-halloweenlichen Montag. Anlässlich des 22. Leipziger Literarischen Herbstes macht sich die edition vulcanus daran, den mythologischen Schwerpunkt der allherbstlichen Lese- und Literaturwoche zu setzen. „Brücken bauen“ heißt das Motto 2018, welches, auch im Rahmen der Houston-Week (bezogen auf die 25-jährige Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und Houston), kulturelle, literarische, gesellschaftliche, poetische, künstlerische, nachdenkliche, lakonische, zwie- und zweisprachige, historische und eben auch mythologische Verbindungen von Hier nach Dort und Dort nach Hier knüpfen soll.
Eine solche Brücke ist der Trickster, dem der neu erschienene Sammelband der edition vulcanus mit dem Titel „Schöpfer, Schelm und Schurke – Der Trickster im mythologischen Zwielicht“ gewidmet ist.
Doch was ist ein „Trickster“ überhaupt? Im Grunde ist das schwer zu sagen. Denn der Trickster, obwohl ein globales kulturelles und mythologisches Phänomen, verweigert sich jeder konkreten Definition. Was auch daran liegt, dass er ein recht ambivalentes Wesen besitzt. Denn der Trickster sucht die Aufmerksamkeit, das Getöse und das Rampenlicht. Er kann Heldenhaftes tun und sich doch im nächsten Moment aus der Situation schwindeln. Wenn man denkt, man hätte ihn erwischt oder sein letztes Stündlein hätte geschlagen, hat er garantiert noch irgendwo ein Ass im Ärmel.
Der Trickster ist der Gauner. Der Täuscher. Der wandelnde Widerspruch. Der Wolf im Schafspelz. Er ist der Betrüger und dabei oft genug auch der Betrogene. Er tänzelt beständig zwischen Gut und Böse, zwischen Chaos und Ordnung, Geburt und Tod. Er ist Tölpel und Kulturheros. Und: Er ist Amerikas Beitrag zur vergleichenden Mythologie oder anders ausgedrückt „Eine amerikanische Entdeckung in der Welt der Mythen“. Der Archäologe und Ethnologe Daniel Garrison Brinton (1837-1899) gebrauchte den terminus technicus „trickster“ als erster in seinem Buch Myth of the New World (1868), wobei er vor allem den nordamerikanischen Tiertrickster in den Mittelpunkt der Untersuchungen stellte. Auch der Ethnologe und Sprachwissenschaftler Franz Boas (1859-1942) befasste sich mit dem Trickster. Doch brauchte es noch bis in die 1950er Jahre, ehe der Trickster bzw. Der göttliche Schelm (1954) durch den indianischen Schelmen-Mythen-Zyklus von Paul Radin, Karl Kerényi und Carl Gustav Jung bekannt wurde und in den Fokus von Wissenschaft und Öffentlichkeit geriet. Seitdem ist der Trickster, zumindest aus der amerikanischen Forschung und Wahrnehmung, nicht mehr wegzudenken. In Europa tut man sich mit ihm sowohl begrifflich als auch beschäftigungstechnisch noch schwer. Oder, wie es eine der Herausgeberinnen meint: Was man bisher über ihn weiß, ist so gut wie nichts.
Der Sammelband ist also auch aus dem Grund entstanden, eine Lücke zu schließen bzw. eine Brücke zu bauen. Der Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie hat die Thematik unter dem Titel „Der mythische Schelm“ im Jahr 2014 ausführlich behandelt und dazu Wissenschaftler, Erzähler, Autoren und Interessierte zu einer Vortragsreihe eingeladen. Das weltumspannende Spektrum des Tricksters wurde dabei von mythologischer, ethnologischer, historischer, erzählender, sprachwissenschaftlicher, psychologischer und gegenwärtiger Perspektive präsentiert. Dieser Vielfältigkeit tragen nun auch die 10 Essays in „Schöpfer, Schelm und Schurke“ Rechnung.
Vor allem zeigen sie eines: Der Trickster kann, darf, muss (fast) alles tun. Er kann als Tier auftreten. Als Gott. Als Mensch. Als Narr. Als Held. Als Schelm. Oder aber er verwandelt seine Gestalt beständig zwischen den Möglichkeiten. Sogar der christliche Teufel trägt bisweilen tricksterhafte Züge. Der Trickster gilt als besonders klug. Als besonders verfressen. Als besonders frech. Als besonders zügellos. Und er ist nicht immer freundlich. Im Gegenteil. Neben heldischen Taten und kulturschaffenden Initiationen (so ist u. a. der Rabentrickster aus Nordamerika dafür verantwortlich, dass das Zeitalter der Tiere endet und das Zeitalter der Menschen beginnt) ist der Trickster zutiefest amoralisch und kann bis zum Äußersten verschlagen sein.
Ein Beispiel hierfür ist u. a. der Rabe, der als Tiertrickster der nordamerikanischen Indiander bereits im Blog vorgestellt wurde und weltweit in Sagen, Erzählungen und Mythen eine Rolle spielt. So gibt es in der germanischen Mythologie Hugin und Munin (die Gedanken und das Gedächtnis), die die Weisheit symbolisieren und auf Geheiß des Göttervaters Odin um die Welt fliegen und ihm Bericht erstatten. Bei den Kelten ist er der Vogel des Todes und der Anderswelt. Er gilt gar als Unheilsbote. Raben werden aber auch mit Prophezeiungen und Magie assoziiert. In der griechischen Mythologie war der Rabe einst weiß und galt als Bote des Sonnengottes Apollo. „Eine Tages erzählte ein Rabe Apollo, dass die Nymphe Coronis, die er leidenschaftlich liebte, nicht treu sei. Darauf erschoss Apollo die Nymphe mit einem Pfeil. Aber er hasste den Boten so sehr, dass er sein Gefieder schwarz wie Kohle werden ließ.“ (Claudia Roch: Schöpfer, Schelm und Schurke, S. 50) Der indianische Rabe wiederum ist der typische Trickster. Einerseits ist er kreativ und beweist sich in allerlei verrückten Abenteuern. Andererseits stiehlt er die Sonne oder das Feuer. Er ist räuberisch, grausam und denkt vor allem mit seinem Magen, so u. a. indem er seinem Cousin, der Krähe, die Wintervorräte stiehlt.
Eine andere Art von Trickster ist Maui, der in der neuseeländischen und polynesischen Mythenwelt eine zwielichtige Rolle spielt. Auch er muss sich mit der Sonne herumschlagen, u. a. indem er sie dazu zwingt, ihren täglichen Lauf zu verlangsamen, um auf der Suche nach der Unsterblichkeit im Magen der Göttin der Nacht sein Ende zu finden.
Auch Leipzig spielt als „Tricksterstadt“ im Sammelband eine Rolle. Hermes ist der griechische Gott der Kaufleute, des Verkehrs und der Reisenden und steht damit quasi Pate für die Handelsstadt Leipzig. Er ist aber auch der Gott der Magie und der Magier. Mit anderen Worten, er ist ein Trickster. „Handel hat von jeher auch mit Betrug zu tun, mit falschen Vorspiegelungen, Rosstäuschungen und ungedeckten Schecks und ist daher per se dem Raub verwandt. Man gibt sich für mehr aus, als man ist; der Schein bestimmt das Bewusstsein, mehr noch: der Schein bestimmt das Sein.“ (Elmar Schenkel: Schöpfer, Schelm und Schurke, S. 241)
Der Trickster ist also vieles. Und er trägt ebenso viele Namen. Von Rabe bis Maui. Von Mephisto bis Odysseus. Von Loki bis Donald Trump. Laut der Theorie des Sprachwissenschaftlers und Harvardprofessors Michael Witzel ist der Trickster die älteste mythologische Figur überhaupt und allen Mythenkreisen, egal auf welche Weise sich diese entwickelt haben, gemeinsam. Der Trickster darf, sollte und muss uns also weiter beschäftigen. Aus diesem Grund wird der Blog in regelmäßigen Abständen bekannte und unbekannte Trickster vorstellen. Wer nicht warten mag, kann sich gern – sehr viel ausführlicher und detailreicher natürlich – im Sammelband „Schöpfer, Schelm und Schurke“ belesen.
Beware of the Trickster. Denn er kommt selten allein …
Ein Beitrag von Dr. Constance Timm
Literaturhinweis:
Schöpfer, Schelm und Schurke. Der Trickster im mythologischen Zwielicht. Leipzig 2018.
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.