Lexika haben Charles Fort als „bedeutenden Humoristen“ verkannt. Andere haben ihn einen Vordenker des Positivismus genannt, den er sein Leben lang bekämpfte. In Wirklichkeit wollte er beweisen, dass Wissenschaft unmöglich ist. Er wurde 1874 in Albany/ New York geboren und starb 1932 in New York. Ein Jahr später erschien er seiner Frau Anna, um sie zu trösten. Seine Bücher wurden in psychedelischen Kreisen zur Kultlektüre.
Von Kindheit an verachtete er Autorität jeder Couleur, zu der auch die eigene Brille gehörte, die man ihm mit acht Jahren aufzwang: „Also sandte Er uns zum Augenarzt. Eine Art Pilotenbrille auf unseren Augen; wir sehen große und kleine Buchstaben erstaunlich schwarz und deutlich. Wir waren nun ein Junge mit Brille und hassten uns dafür… Als wir auf die Straße gingen, wussten wir, dass die Brille immer getragen werden musste. Denn wir hatten im Nebel gelebt und wussten es nicht.“ Als Schüler handelte er mit Vogelflügeln oder schoss selbst Vögel, die er ausstopfte, mit phantasievollen Namenschildern beklebte und für gute Preise verkaufte.
Seinem Vater stand er in seinem Lebensmittelgeschäft bei, indem er Etiketten von Pfirsichdosen auf Pflaumendosen, von Bohnen auf Maiseintöpfe klebte. Sein Sammeltrieb meldete sich früh. In seiner Autogrammsammlung befindet sich ein kleiner Brief von Jules Verne, der so winzig geschrieben war, dass ihn keiner übersetzen wollte. Mit 17 begann er Witze, Anekdoten und Klatschgeschichten zu verkaufen. 1893 machte er sich auf eine Weltreise, erst per Anhalter an die Küste, dann aufgrund eines Versehens des Reisebüros nach Südafrika, denn eigentlich hatte er Südamerika im Visier gehabt. Von den vielen merkwürdigen Begegnungen dieses Landstreicherlebens berichtete er in seiner Autobiographie. Nach seiner Rückkehr heiratete er eine zierliche Engländerin, Anna Filing, und führte mit ihr ein ärmliches Leben wie im Slum. Neben dem Schreiben musste er die unterschiedlichsten Jobs suchen; so bewarb er sich als Nachtwächter oder arbeitete als Tellerwäscher. Es kam so weit, dass sie ihre Möbel verheizen mussten. Seine Frau war eine gute Köchin, aber soll nie ein Buch gelesen haben. Fort blieb arm, doch konnte er immer mal etwas in bekannten Magazinen unterbringen, vor allem durch die Unterstützung des Romanciers Theodore Dreiser, der ihn sein Leben lang förderte. Dreiser war begeistert von Forts verrückten Kurzgeschichten. Nach eigenen Angaben will Fort bis 1919 Romane wie am Fließband geschrieben haben. Ein Biograph spricht von fünfzig Romanen, von denen nur einer veröffentlicht wurde, The Outcast Manufacturers. Dieser Unterhaltungsroman zeige, dass aus Fort ein guter Romancier hätte werden können. Doch Fort interessierte sich nicht mehr für Romane. Man sollte höchstens noch Romane so verfertigen, notierte er, als wäre der Autor ein Känguruh. Er wollte etwas ganz Neues schreiben.
Seit seiner Kindheit war er ein großer Sammler gewesen. Seine Zeitungsarbeit brachte ihm laufend merkwürdige Nachrichten auf den Tisch. Er begann, diese systematisch zu sammeln und saß nun täglich einige Stunden in der New Yorker Stadtbücherei, um das ungewöhnliche Material, sozusagen „fortianische Meldungen“ aufzunehmen. Dreiser war enttäuscht, dass Fort von nun an Bibliotheken fraß, statt selber zu erfinden. Fort aber vergrub sich in Außenseitertheorien: Hohlwelt, Pyramidenrätsel, außerirdische Intelligenz. Das erste Buch, in das diese Meldungen und Theorien flossen, nannte er X. Als Dreiser dieses Buch über eine geheimnisvolle Welt namens X las, revidierte er sein Urteil. Er verstand plötzlich, warum Fort die Belletristik hatte fallenlassen: „Es war ohne Zweifel eines der großartigsten Bücher, die ich je gelesen habe… Seltsam überzeugende Erklärungen und Schlussfolgerungen aus Tausenden von Quellen – Zeitungsausschnitte, veröffentlichte, aber übersehene Daten der berühmtesten Wissenschaftszeitschriften der Welt… Da war die Rede von einem radförmigen Schiff aus Feuer, das vor den Augen vieler Kapitäne im Pazifik vorbeigezogen war.“ Fort überarbeitet X und nannte es nun Y. Aus Y-Land, das entweder Nord- oder Südpol darstellt, kommt demnach Kaspar Hauser; außerdem ist es der Ort, von dem aus die Welt durch eine böse Macht kontrolliert wird. Dreiser war wieder einmal überrascht und schrieb, dass Fort nun Jules Verne an Imagination übertreffe. Fort aber setzte sich hin und überarbeitete. Das Ergebnis war schließlich der fortianische Klassiker Buch der Verdammten. H.G. Wells erhielt von Dreiser ein Exemplar und schickte es zurück mit den Worten: „Er schreibt wie ein Besoffener“.
Fort hatte über Jahre Notizen gesammelt über alle Wissensgebiete von der Astronomie, dem Tiefseetauchen und dem Vulkanismus bis hin zu den Regenwürmern. Am Ende waren es 40.000 Notizen, die er in 1300 Kategorien einteilte wie „Harmonie“, „Sättigung“ oder „Angebot und Nachfrage“. Es ging ihm um das Unerklärliche, und er fand es in den Meldungen über Fisch- und Froschregen, über Geisterschiffe und Meteoriten mit Inschriften. Die Wissenschaft erschien ihm wie ein verstümmelter Oktopus. Seine Aufgabe sah er darin, diesem seine Tentakel wieder wachsen zu lassen, mit denen sie verstörende Kontakte aufnehmen würden. Unter den Verdammten verstand er die ausgeschlossenen, unterdrückten Fakten, die sich in den Meldungen fanden. Dabei interessierte ihn besonders die Beziehung zwischen diesen Fakten. Das herrschende Weltbild wird von ihnen ständig unterlaufen: „Ich verschließe die Haustür vor Christus und Einstein, und an der Hintertür strecke ich kleinen Fröschen und Schnecken die Hand zum Willkommensgruß hin. Von dem, was ich geschrieben habe, glaube ich selbst nichts.“
Die ganze Welt war für ihn ein Witz, wie Ulrich Magin schreibt, und deshalb kann man in Fort einen Vorläufer von Douglas Adams oder Terry Pratchett sehen. Wir leben, so Fort, in einem Zwischenreich, in dem nichts endgültig ist und „unser Feind ist nicht die Wissenschaft, sondern der Glaube der Wissenschaft, real zu sein.“ Und so stellt er aus Berichten von herabfallenden Menschen, Fröschen, Außerirdischen und Fischen die Hypothese einer Super-Sargassosee auf, die über der Erde schwebt und aus der ständig etwas herabfällt, inklusive der Beginn des Lebens überhaupt. Blutschauer, die auf die Erde stürzen, verleiten ihn zu der Ansicht, dass unser ganzes Sonnensystem ein Lebewesen ist, das an inneren Blutungen leidet. Auch könnte die Milchstraße eine Ballung von erstarrten Engeln sein. Zu den Anhängern dieses Rebellen gehörten bald einflussreiche Autoren wie John Cowper Powys, ein Freund Dreisers, oder der Drehbuchautor und Journalist Ben Hecht.
Mit 46 begab sich Ford mit seiner Frau nach London, um dort zunächst sechs Monate lang in der British Library Notizen zu sammeln, bald darauf noch einmal, um acht Jahre zu bleiben. In diesen Jahren beschäftigt ihn die Astronomie. „Der ungünstigste Ort für astronomische Beobachtungen ist wohl die U-Bahn, obwohl es ein Observatorium auch tut.“ Die Astronomie gibt mit ihren Erfolgen an, doch unterdrückt ihre Misserfolge. So berichtet er von Phantomstädten am Himmel über Alaska, über Straßen auf dem Mond und kann sich auf den Astronomen Gruithuisen berufen, der diese erstmals 1821 erkannte. Fünf Jahre später richtete derselbe Gruithuisen sein Fernrohr wieder auf den Mond und stellte fest, dass weitergebaut worden war: neue Straßen und Stadtteile. Warum verschweigt die Astronomie solche Erkenntnisse? Die Astronomen sind mit Medizinmännern zu vergleichen, die uns wie die Indianer beruhigen wollen, während sich die Schiffe des Kolumbus aus dem Weltall auf uns zu bewegen. Die Sterne erscheinen ihm sehr nahe, die Erde ruht selbstverständlich im Mittelpunkt des Universums.
Gelegentlich trug er seine Ansichten am Speaker’s Corner in Hyde Park vor. Nicht nur in Zeitungen wurde er fündig. Fast zwei Jahre lang fielen in seiner Wohnung immer wieder Bilder von der Wand, und zwar immer dann, wenn er über fallende Bilder schrieb – Über-Fälle in der Tat! Während die Frau Vögel hielt, kümmerte er sich um sein Aquarium. Die Wände waren bedeckt mit eingerahmten Riesenspinnen und anderem Getier. Vor allem stapelten sich die Schuhkartons mit den berüchtigten Notizen. Fast täglich gingen sie ins Kino oder man spielte Dame. Auch diesem Spiel prägte er sein Genie auf. Er erfand Super-Dame, zunächst mit 400 Feldern, später erweiterte er es auf 2000: „Ein wunderbares Spiel für Leute ohne Zeitgefühl. Wären alle Menschen der Welt so von diesem Spiel begeistert, wie ich es bin, und würden sie es so leidenschaftlich spielen, wie ich es tue, wären alle Probleme der Welt gelöst, weil wir alle verhungern würden – als ich zum ersten Mal spielte, dauerte ein Spiel eine ganze Woche.“ Er spielte gegen sich selbst und war immerhin ein guter Verlierer. Das Brett mit einer Million Feldern blieb allerdings Vision.
Wilde Talente wird als sein humoristisches Meisterwerk gesehen. Derartige Talente sind Hellseher, Propheten, ungehorsame Jugendliche oder Stühle. Die Dinge stehen in unsichtbaren Zusammenhängen. Wenn eine Ketchupflasche eine Feuertreppe in Harlem hinunterfällt, wird das nicht nur von den Anwohnern bemerkt, sondern auf ganz subtile Art im Universum – vielleicht. Seine Zettel künden vom Auftauchen purpurfarbener Engländer, von Plünderungen durch Gespenster oder Katzenmenschen, und alles wird zum Ausdruck eines Bindestrichs zwischen Wahrheit und Fiktion: „Ich kann nicht behaupten, dass die Wahrheit eigenartiger wäre als die Fiktion, weil ich mit beiden noch keine Bekanntschaft gemacht habe.“ Und so geht es weiter mit dem Pferd, das man in einem geschlossenen Raum findet. Doch der Raum hat eine zu kleine Tür und man muss die Wände niederreißen, um es herauszuholen.
Fortwährend reißt dieser Fort irgendwelche Wände nieder und zieht sich den Boden unter den Füßen weg, ein forschender Eulenspiegel. Er weiß, wie man Descartes auf die Beine stellt: „Ich denke, also habe ich gefrühstückt.“ Während er eine Schere sucht, um etwas in der Abendzeitung auszuschneiden, das mit dem Schnippeln von Haaren und Ohren zu tun hat, lässt er sich über die Politik aus: „Der Konservativismus ist unser Gegner. Aber ich hege große Sympathien für Konservative. Auch ich bin oft ziemlich faul. Besonders am Abend, wenn ich ein bisschen erschöpft bin, werde ich mit Vorliebe konservativ.“ Da kann er auch den Darwinismus fallenlassen, denn die Hypothese, die Affen seien Nachkommen des Menschen, hat einiges für sich. Es kann natürlich auch sein, dass der Urmensch aus dem Weltall gefallen ist.
Als Fort alt und krank wurde, nahm er sich die Medizingläubigkeit vor. Er starb an Leukämie und glaubte von einem Parasiten befallen zu sein, der ein Bewusstsein hatte. Er hatte vorausgesagt, dass sein letztes Wort wahrscheinlich eine Platitüde sein werde. In einem Nachruf der New York Times war zu lesen, dass er an einem vergrößerten Herzen starb. 1994 besuchte eine Anhängerin sein Grab in Albany und fand, dass die Sonnenstrahlen an seiner Ruhestätte einen riesigen Fußabdruck zeigten. Noch zu Lebzeiten wurde eine Fortean Society gegründet, was ihn mit Entsetzen erfüllte. Ben Hecht hatte in einer Rezension geschrieben, dass fünf von sechs Lesern bei der Lektüre von Forts Buch den Verstand verlieren würden. Fort hielt dies für eine Übertreibung, denn nach seinen Berechnungen waren ohnehin fünf von fünf Menschen verrückt.
Ein Beitrag von Prof. Elmar Schenkel
Literaturhinweise:
Charles Fort, Neuland. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1996.
Charles Fort, Da! Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1997.
Charles Fort, Wilde Talente. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1998.
Louis Kaplan, Witzenschaftliche Weltbetrachtungen. Das verdammte Universum des Charles Fort. Berlin: Gatza 1991.
Ulrich Magin, Der Ritt auf dem Kometen. Über Charles Fort. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1997.
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.
Ergänzung: Die Werke Forts sind als Nachdrucke bei KOPP erschienen und lieferbar. Dieser Verlag hat, wie man sieht, neben fragwürdigen auch viele gute Titel im Programm.