Baba Jaga (Baba Yaga) – Todesgöttin, gefürchtete Hexe, wundersame Heilerin: Teil 1

 „Die Baba Yaga galt als eine der mächtigsten Hexen der Welt. Ihre Landsleute fürchteten und verehrten sie gleichermaßen. Angeblich lebte sie tiefverborgen in den Wäldern des Zarenreichs. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, als Helferin, Mahnerin oder Strafende in Erscheinung zu treten.“ (Christian Handel: „Baba Jaga – Hexe oder Göttin?“ 2020)

Baba Jaga – nur ein Märchen?

„Wehe, wehe, wenn du einmal einsam dich im Wald verirrst, Baba Yaga lugt und lauert, bis du dann ihr Opfer wirst. Baba Yaga, Baba Yaga Hühnerbeinehexenhaus! Tief im Walde bei den Birken schaut die Hex‘ zum Fenster raus.“ (Wilfried Behrendt, 2015)

Zu den schönen Kindheitserinnerungen gehören zweifelsohne die bis heute vor allem im Osten Deutschlands überaus beliebten russischen Märchen, deren Verfilmungen jedes Jahr, gerade in der Weihnachtszeit, jung und alt vor dem Fernseher vereinen. Und so gehören Märchenfiguren wie „Ded Moroz“ (Großväterchen Frost), „Iwanuschka Durak“ (Iwanuschka Dummkopf), „Snegurotschka“ (die Schnee- oder Eisfee), in erster Linie aber die Hexe „Baba Jaga“ zu den absoluten Fernsehlieblingen. Unvergessen bleibt der großartige russische Theater- und Filmschauspieler Georgi Franzewitsch Milljar, der nicht selten unerkannt als männlicher Schauspieler die Hexe Baba Jaga in mehreren sowjetischen Märchenverfilmungen verkörperte.

Zu ihnen gehören u. a. Filme wie „Die schöne Wassilissa“ (1940), „Die Abenteuer des Gestiefelten Katers“ (1958), „Abenteuer im Zauberwald“ (1964), „Der Hirsch mit dem goldenen Geweih“ (1974) und „Wie der dumme Iwanuschka das Wunder suchte“ (1977).

Zur Baba-Jaga-Thematik entstanden später weitere Filme wie „Foltergarten der Sinnlichkeit 2“ (1973), „Don‘t knock twice“ (2016), „Der letzte Ritter und das magische Schwert“ (2017), „Baba Yaga“ (2020), „Geheimes Magieaufsichtsamt“ (2021) und Filmserien wie zum Beispiel „The Witcher 3“ (2021). Des Weiteren gibt es zahlreiche Bezüge auf Baba Jaga auch in der Graphic Novel „Hellboy: Sarg in Ketten“ des amerikanischen Zeichners und Autors Mike Mognola, im japanischen Manga „Soul Eater“ (2003-2013) mit dem Schloss der Baba Jaga wie auch im Videospiel „Rise of the Tomb Raider“ mit „Baba Yaga – Tempel der Hexe“ (2018).

Die Hexe Baba Jaga gilt als eine der ältesten Figuren der russischen Folklore. Zumeist befindet sie sich in ihrem hölzernen Hexenhaus. Wenn sie liegt, reicht ihr „Knochenbein“ von einer Ecke der Hütte zur anderen und ihre überlange Nase reicht bis an die Decke.

Die verborgene Wahrheit über Baba Jaga

Weitaus weniger bekannt als die beliebte Märchenfigur der Baba Jaga, die nur bei oberflächlicher Betrachtung einer Hexe wie in Grimms Märchen „Hänsel und Gretel“ ähnelt, ist ihre Herkunft. Zunächst war sie noch als eine Waldfrau und Kräuterhexe im Gedächtnis geblieben, während ihre in der slawischen Mythologie zu suchende Herkunft als Todesgöttin und Hüterin zwischen dem Reich der Lebenden und Toten weitaus wenig bekannt ist. Darauf möchte ich nachfolgend etwas näher eingehen.

Beginnen wir mit der Holzhütte der Baba Jaga, die in diesem Kontext auch als eine Art Beinhaus, als eine sich oberirdisch befindende Begräbnisstätte interpretiert werden kann. Dieser uralte Bestattungsritus geht wahrscheinlich auf die in Russland lebende und zu den Wolga-Finnen gehörende mordwinische Volksgruppe der Mokschas (Mokshas) zurück, welche ihre Schamanen in oberirdischen Totenhäusern bestatteten, ganz im Glauben daran, dass es damit der Seele nicht mehr möglich war, ins Reich der Toten überzugehen. Zwischen den beiden Welten verharrend, konnte der Schamane ebenso wie die unsterbliche Hexe und Heilerin weiterhin verehrt und gefürchtet werden. In dieser Interpretation kommt auch den Hühnerbeinen, auf denen die Hütte der Baba Jaga ruht, eine besondere Bedeutung zu.

Auf den mythologischen Ursprung als Totengöttin deutet u. a. ihr russischer Beiname hin, „Kostjanaja Noga“ (Knochenbein). Zunächst scheinbar ohne Tür wird der Eingang zur Hütte erst nach einem Zauberwort der Baba Jaga sichtbar. Um die Behausung betreten zu können, die sich um ihre eigene Achse drehen kann, müssen erst folgende Worte ausgesprochen werden: „Liebe Hütte dreh‘ dich mit dem Rücken zum Wald und mit der Vorderseite zu mir!“ Doch die Hexe befiehlt daraufhin gerade das Gegenteil, um dem unerwünschten Eindringling den Zugang zu verweigern. Der die Hütte umgebende Zaun wie auch die sie umgebende Wiese sind mit Knochen und Totenschädel geschmückt, auch ein Hinweis auf den mythologischen Ursprung der Baba Jaga als Totengöttin, als Hüterin zur „anderen“ Welt. Eine Besonderheit der Hexe ist des Weiteren ihre Blindheit, sie kann die Anwesenheit von Lebenden nur durch ihren ausgeprägten Geruchssinn wahrnehmen, stammt sie doch selbst aus der Welt der Toten.

Als Göttin verfügte die Baba Jaga auch über drei Rösser, mit den sie die drei Phasen des Tages kontrollierte: für den Sonnenaufgang  – „Meine helle Morgendämmerung“, ein weißes Ross für den Tag, „Meine rote Sonne“ und ein schwarzes für die Nacht, „Meine dunkle Mitternacht“. Oft taucht die Baba Jaga in mehrfacher Gestalt auf, und zwar häufig als eine von drei Schwestern. Sie galt als eine dreifaltige Göttin, aus einer Jungfrau, einer Mutter und einem alten Weib bestehend. Starb eine von ihnen, konnten sie die beiden anderen mit Hilfe des „Wassers des Lebens“ ins Leben zurückholen. Aus diesem Grunde wird die Baba Jaga auch als Hüterin des Wassers des Lebens und des Todes bezeichnet.

Von ihrem mythologischen Ursprung her war Baba Jaga eine der drei Verkörperungen einer magischen, dreifaltigen Göttin: Jungfrau, Stamm- oder Urmutter und altes Weib zugleich. Mit ihrer mythischen Herkunft kann die Baba Jaga als ebenbürtig mit anderen Ur-Göttinnen angesehen werden, mit Urd der drei Nornen, mit der keltischen Cailleach oder der altnordischen Hel(heim). In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie es dazu kam, dass eine alte slawische Göttin auf ihre furchterregende Rolle als böse und hässliche Hexe reduziert wurde?

Im 19. Jahrhundert wurden in Russland die zuvor von Generation zu Generation erzählten Märchen gesammelt und schriftlich festgehalten. In diesem Prozess wurden sie „gereinigt“ und von ihrem mythologischen Hintergrund und „Ballast“ befreit. Durch die mit Feuer und Schwert vollzogene Christianisierung sollte die einheimische vorchristliche Mythologie der Slawen bewusst aus dem Bewusstsein verdrängt werden. Das betraf auch die mythische Gestalt der einst machtvollen dreifaltigen Göttin. Auf diese Weise verlor sie ihre einst göttliche Stellung und wurde zu einem dämonischen und rachsüchtigen alten Weib degradiert. Damit setzte zugleich auch ihre Verteufelung als verrückte,  unheimliche und gefährliche Hexe ein, die mit dem Teufel im Bunde stehen würde. Die ursprünglich ebenfalls existierende Version der Baba Jaga als einer jungen, attraktiven und klugen Herrin des Waldes, als Heilende, die Pflanzen, Kräuter, Früchte und Wurzeln sammelte, um den Menschen zu helfen, fiel ebenfalls dem Vergessen anheim.

In diesem Kontext scheint es angebracht zu sein, auch auf die ursprüngliche Bedeutung von Baba Jaga zu verweisen, die in unterschiedlichen Ausprägungen in allen slawischen Sprachen anzutreffen ist. Auch als Terminus bezog sich Baba Jaga ursprünglich nicht ausschließlich auf eine slawische Hexe, ist doch der Begriff „Baba“ indogermanischen Ursprungs in der Bedeutung von matriarchalischer Ur- und Erdmutter, aber auch als „Wolkenfrau“, als Göttin der Lüfte. Erst später, etwa seit dem 18. Jahrhundert, wird „baba“ in der slawischen Folklore auch als „Großmütterchen“, aber auch als „altes Weib“ und als Schimpfwort in der Bedeutung von „Memme“ oder „Weichling“ verwendet. Dabei tritt die Baba Jaga in unterschiedlichen Versionen auf, als Ega, Iga, Juga, Jazja, Jagišna, (J)eži baba, Baba Roga, Jagaja Baba. Die Herkunft des Wortes „Jaga“ bleibt ungewiss, es könnte in der neueren Form eine Ableitung des polnischen Namens Jadwiga (Hedwig) sein. Plausibler erscheint jedoch die Ableitung von „yaga“ aus dem Sanskrit, u.a. in der Bedeutung von „Opfer“, „Darbringung“, „Schenkung“ oder aus dem Proto-Samojedischen in der Bedeutung von Gott bzw. Todesgöttin.

Ein Beitrag von Dr. Hans-Christian Trepte


Beitragsbild: © Messir, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons


©  Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

2 Antworten auf „Baba Jaga (Baba Yaga) – Todesgöttin, gefürchtete Hexe, wundersame Heilerin: Teil 1“

  1. Tausend Dank für den Artikel ! Ich kenne seit Kinderzeiten die Baba Yaga durch Otfried Preußlers Buch vom starken Wanja (1968)! Auch die eindrückliche Puppenspiel-Serie (1968), die im dt. Fernsehen lief, nach Preußlers Buch, verbeugte sich vor dieser unheimlich-weirden Figur.

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