Der MYTHO-Blog liest wieder 1.0

Liebe Leserinnen und Leser des MYTHO-Blogs,

es ist wieder soweit, die Leipziger Buchmesse lockt mit allerlei neuem Lesestoff und literarischen Begegnungen. Zeit, auch beim Arbeitskreis ein wenig in den Regalen zu stöbern und ein paar Buchempfehlungen zu sammeln. Denn Lesen ist eine der schönsten Nebensachen der Welt.

Wir wünschen eine wunderbare Buchmesse 2024!

Das Team vom MYTHO-Blog

Liebe und Hass im Hochmoor: Wuthering Height / Die Sturmhöhe von Emily Brontë

Meine erste Begegnung mit „Wuthering Heights“ hatte ich an einem – wie passend – stürmischen Herbstabend in Mecklenburg-Vorpommern. Ich hatte gerade weit weg meine erste Arbeitsstelle angetreten und saß einsam und voller Heimweh in meiner angemieteten Wohnung vor dem Fernsehgerät. Bei einem Film blieb ich hängen: „Emily Brontës Sturmhöhe“, eine BBC-Produktion aus dem Jahre 1998. Die Handlung zog mich komplett in ihren Bann. Was für Charaktere! Ohne Moral, kompromisslos, leidenschaftlich bis zur Raserei. Ich musste den Roman dazu lesen! Ich besorgte mir das Buch und verschlang es in kürzester Zeit.

Wuthering Heights hat mich bis heute nicht losgelassen. Alle paar Jahre lese ich Emily Brontës einzigen Roman und entdecke immer wieder neue Facetten der Figuren und deren Geschichte, die es mittlerweile auf sage und schreibe 20 Verfilmungen gebracht hat. Wie kann es sein, so fragt man sich, dass eine junge Frau Mitte Zwanzig, eine Frau des viktorianischen Zeitalters, ein zu dieser Zeit derart unerhörtes Buch verfassen konnte? Woher nahm sie die Energie, die Befindlichkeiten ihrer Protagonisten so psychologisch präzise und lebensnah zu schildern? Wo mag sie ihre zwischenmenschlichen Beobachtungen gemacht, ihre Vorbilder gefunden haben?

Emily Jane Brontë kam am 20.8.1818 in Thornton zur Welt, als fünftes von insgesamt sechs Kindern. Sieht man einmal von einigen Monaten Aufenthalt in einem Internat sowie einer Zeit als Lehrerin in einem Brüsseler Pensionat ab, verbrachte sie die meiste Zeit ihres kurzen Lebens im Pfarrhaus von Haworth in Yorkshire, wohin die Familie gezogen war und wo der Vater das Amt des Pfarrers ausübte.  Dort wurde sie schon früh mit klassischer und romantischer Literatur vertraut gemacht, las griechische und lateinische Dramen, Milton, Shakespeare und Byron, deren Einflüsse die hochbegabte Autorin in sich aufnahm und in ihr Werk einfließen ließ.

Zum Inhalt: Der verwitwete Mr. Earnshaw findet in den Slums von Liverpool ein verwahrlostes Kind, das er mit auf seinen Besitz bringt und auf den Namen Heathcliff tauft. Fortan wächst der Junge mit den leibliche Kindern Earnshaws auf – Hindley, der ihn hasst und nach dem Tod des Vaters grausam behandelt, und Catherine, die in dem Findelkind bald ihr zweites Ich erkennt und ihm innig zugetan ist. Als Heathcliff jedoch erfährt, dass Catherine sich entscheidet, die Frau des benachbarten Edgar Linton zu werden, verlässt er tief getroffen Wuthering Heights, um Jahre später als reicher Mann zurückzukehren und sich grausam für die ihm zugefügte Demütigungen zu rächen. Was zunächst nach einem überspannten Rührstück klingt, ist jedoch genau dies nicht – zu lebensnah, zu unverfälscht wird die Bandbreite der Gefühle, welche die Protagonisten durchlaufen, hier geschildert.

Nicht umsonst hat Emily Bronte ihr Werk Sturmhöhe und die Hauptgestalt dieses Buches „Heathcliff“ (heath = Heide, cliff = Klippe) genannt, denn sturmumtost ist auch die karge Landschaft von Yorkshire, in der sie einsam mit ihren Geschwistern aufwuchs – das Moor, weite Heideflächen und zahllose Hügel, die auch in den Werken der Brontë-Schwestern zu finden sind und sich in den Charakteren ihrer verschiedenen Romanfiguren widerspiegeln. Und dann das Weberdorf Haworth: ein raues Pflaster mit rauen Menschen, denen keine hohe Lebenserwartung beschieden war. Nicht wenige Bewohner starben an der Tuberkulose. Der Kirchhof lag in Sichtweite des Hauses, in dem Emily und ihre Schwestern aufwuchsen. Das stürmische und unbeständige Wetter tat sein Übriges dazu, dass dieser Fleck Erde ein alles andere als angenehmer Ort war. Aber vielleicht war es genau diese Schroffheit der Umgebung, die vor allem Emily Brontë brauchte, um dieses große Stück Literatur zu erschaffen? Denn große Literatur ist Wuthering Heights, neben den anderen erfolgreichen Romanen der Brontë-Schwestern – z.B. Jane Eyre (Charlotte) und Agnes Grey (Anne). Alle drei genannten Romane erschienen 1847. Das schriftstellerische Talent war sowohl Emily als auch ihren Schwestern Charlotte und Anne gegeben. Bereits im Kindesalter entwarfen sie zusammen mit Bruder Branwell die phantastischen Phantasiewelten Gondal und Angria, in denen auf das Heftigste geliebt, gekämpft und gelitten wurde.

Nicht zuletzt wird die Autorin in ihrem Opus Magnum auch eigene schlimme Erlebnisse verarbeitet haben. Das Leben der Familie Brontë war an Schicksalsschlägen nicht arm. Bereits im Kindesalter verstarben zwei der insgesamt sechs Geschwister; Branwell erlag schließlich als junger Mann seiner Alkohol- und Opiumsucht. Maria Branwell, die Mutter, war bereits ein Jahr nach der Geburt ihres jüngsten Kindes verstorben. Emily selbst starb am 19.12.1848 im väterlichen Haus in Haworth vermutlich an einer Lungenentzündung.

Wuthering Heights verursachte zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung einen Skandal – die damalige Leserschaft fühlte sich brüskiert durch die erotische Komponente und durch die Leidenschaft der Hauptfiguren, welche ihre Emotionen zuweilen brutal ausleben. Weder der moderne Erzählstil noch das rebellische Verhalten der Protagonisten waren mit den Konventionen der viktorianischen Gesellschaft zu vereinen. Die Empörung nahm noch einmal zu, als später bekannt wurde, dass eine Frau dieses Werk verfasst hatte.  (Um einen Skandal zu vermeiden, veröffentlichten die Brontë-Schwestern ihre Werke zunächst unter männlichen Pseudonymen; Emily, deren Gedichtband und Roman unter dem Namen Ellis Bell erschienen, weigerte sich Zeit ihres Lebens, ihre wahre Urheberschaft preiszugeben.)

Erst an der Wende zum 20. Jahrhundert begann man zu verstehen, welch herausragende Stellung dieses Buch in der Weltliteratur innehat. Mittlerweile wird Wuthering Heights häufig als der kraftvollste Roman der Brontë-Schwestern bezeichnet.

Die beste Charakterisierung des Romans stammt von William Somerset Maugham, der in seinem 1948 erschienenen Essay The Ten Best Novels: Wuthering Heights schrieb: „Wuthering Heights ist ein außergewöhnliches Buch. Ein sehr schlimmes. Ein sehr gutes. Es ist hässlich. Es hat Schönheit. Es ist ein schreckliches, ein quälendes, ein leidenschaftliches Buch.“ Wer sich vor derlei Untiefen nicht scheut, dem sei dieses stürmische Werk ans Herz gelegt.

Ein Beitrag von Isabel Bendt


Literaturhinweise:

Emily Brontë: Die Sturmhöhe. Vollständige Ausgabe des englischen Klassikers. (Schmuckausgabe mit Goldprägung). Anaconda, Köln 2023.

Juliet Barker: The Brontës. Weidenfeld & Nicolson, London 1994.

Jane Champion: Sturmhöhen. Das einsame Leben der Emily Brontë. Goldmann, München 1990.

Edward Chitham: Emily Brontë. Steidl, Göttingen 1993.

Elsemarie Maletzke: Das Leben der Brontës. Schöffling & Co., Frankfurt 1998.

Muriel Spark: In sturmzerzauster Welt. Die Brontës. Diogenes, Zürich 2006.

Somerset Maugham, William: Ten Novels and Their Authors, Penguin Books, London 1969.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.


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