Zum Jahreswechsel

Liebe Leserinnen und Leser des MYTHO-Blogs,

wieder geht ein Jahr zu Ende. Ein Jahr, in dem wir uns in Veranstaltungen und Blogartikel mit den Mythen und den Büchern befasst haben. Beides wird uns auch ins nächste Jahr begleiten. Darüber hinaus haben wir uns im Jahr 2024 auch den Mythen der Macht und der Macht der Mythen verschrieben. Denn gerade die Mythologie mit ihren sinnstiftenden Narrativen, Ritualen, Vorstellungen von Göttinnen und Göttern, dem Entstehen und Vergehen der Welt war im Verlauf der Menschheitsgeschichte neben Kultur, Religion und Sprache immer auch mit der Macht verbunden. Welches Wissen wird geteilt? Welches Wissen bleibt im Verborgenen? Wer ist befugt mit Gott (den Göttern) zu kommunizieren und wie wirkt sich dies auf den Zusammenhalt von Gesellschaften, auf Besitzansprüche und Deutungshoheiten aus?

So waren es vielfach Erzählungen von legendären Helden oder Königen (z. Bsp. Gilgamesch, König Artus oder Alexander der Große), die benutzt wurden, um Macht zu legitimieren. Dynastien, Nationen oder Stämme auf der ganzen Welt führten und führen sich immer noch auf sagenhafte Ursprünge wie etwa das mythische Troja, Rom oder heilige Berge wie in der Mongolei oder in Korea zurück. Noch heute werden Mythen neu erschaffen oder transformiert, um Macht zu demonstrieren. Ob Literatur oder Politik, Psychologie oder Werbung, Musik oder Kunst – Macht zeigt sich in vielerlei Gestalt; so ist beispielsweise in den „Star Wars“-Kultfilmen von der magischen Macht die Rede, die im Gleichgewicht gehalten werden muss, während in Goethes „Faust“ der Teufel versucht, Macht über Leben und Seele des Gelehrten zu erlangen.

Wir freuen uns auf spannende Beiträge, Vorträge und Podcast-Folgen und möchte es natürlich nicht missen, uns ganz herzlich bei allen Leserinnen und Lesern für Ihr Interesse und vor allem Ihre Treue zu bedanken.

Kommen Sie gut ins mythische Jahr 2024. Dazu haben wir noch einen kleinen Exkurs zum Silvesterabend beigefügt.

Ihr Team vom MYTHO-Blog


In der Bezeichnung „Silvester“ findet sich das lateinische Wort „silva“ für Wald. Grob übersetzt könnte man das Wort also mit “der Waldmann“ wiedergeben. Allerdings ist dies nicht wortwörtlich zu nehmen, denn der 31. Dezember fällt mit dem Totentag von Papst Silvester I. (gest. 335, laut der Legenda aurea 320)zusammen und besitzt seit dem 9. Jahrhundert einen festen Platz im römisch-katholischen Heiligenkalender.

Die Legenda aurea (die Goldene Legende),  die der Dominikaner Jacobus de Voragine zwischen 1263-1267 zusammenstellte und die als die populärste Sammlung von Heiligengeschichten des Mittelalters gilt, überliefert von Silvester mehrere Episoden, die sein gottgefälliges und christliches Leben bezeugen. So ließ er auf dem für die Kirche richtungsweisenden Konzil von Nicäa 325 das christliche Glaubensbekenntnis festschreiben. Außerdem soll er Kaiser Konstantin I. vom Aussatz geheilt und diesen sogar getauft haben. Zum Dank habe ihm der Kaiser das sogenannte Patrimonium Petri, das Vermächtnis des Petrus, geschenkt, das zum zentralen Bestandteil des Kirchenstaates wurde und den Päpsten damit de facto bis zum Anbruch des Weltgerichts die geistliche Oberherrschaft über Rom, Italien, das Weströmische Reich sowie den gesamten Erdenrund übertrug. Eine Urkunde aus dem Jahr 315/317 sollte die “Konstantinische Schenkung” beglaubigen. Doch gilt diese inzwischen nachweislich als Fälschung.

Eine weitere Erzählung von Silvesters Heiligenlegende handelt von der “Zähmung des Drachen”.

“Einige Tage später kamen die Götzenpriester zum Kaiser und sprachen: ‘Allerheiligster Kaiser, der Drache, der in der Höhle lauert, seitdem du den Glauben an Christus angenommen hast, tötet mit seinem Gifthauch täglich merhr als dreihundert Menschen.’ Konstantin fragte in dieser Sache Silvester um Rat, der folgendes empfahl: ‘Ich werde ihn mit der Kraft Christi dazu bringen, von allen seinen Untaten abzulassen.’ Daraufhin versprachen die Priester, daß sie Christus glauben würden, wenn er dies tue. Silvester betete, und der Heilige Geist erschien ihm mit den Worten: ‘Steige ohne Sorgen zu dem Drachen in die Höhle und nimm dir zwei Priester mit. Wenn du bei ihm angekommen bist, dann rede ihn folgendermaßen an: ‘Jesus Christus, unser Herr, geboren von einer Jungfrau, gekreuzigt und begraben, auferstanden und sitzend zur Rechten des Vaters wird kommen, um die Lebenden und die Toten zu richten. Du, Satan, warte in dieser Grube auf ihn, bis er kommt.’ Dann wirst du ihm das Maul mit einem Faden zubinden und mit einem Ring, der das Zeichen des Kreuzes trägt, ein Siegel aufdrücken. Dann werdet ihr gesund und wohlbehalten zu mir kommen und das Brot, das ich euch bereitet habe, essen.’

Silvester stieg daraufhin mit zwei Priestern in die Grube, hundertfünfzig Stufen tief, und er hatte zwei Laternen bei sich. Dann sagte er dem Drachen die Worte, die ihm aufgetragen waren, und wie es ihm befohlen war, band er dem Drachen, obwohl er knurrte und zischte, das Maul zu. Dann stieg er wieder nach oben und fand dort zwei Zauberer, die ihm gefolgt waren, um zu sehen, ob er und die beiden Priester tatsächlich zu dem Drachen hinabgestiegen. Jetzt lagen sie vom Gestank des Drachen halbtot auf der Treppe. Auch sie nahm er unversehrt und gesund mit nach oben. Sie wurden zusammen mit unzählig vielen anderen sofort zum Glauben bekehrt, und so wurde das römische Volk vor einem zweifachen Tod bewahrt: vor der Verehrung des Teufels und dem Gift des Drachen.

Als Silvester schließlich seinem Tod nahe war, mahnte er den Klerus, drei Dinge zu beachten: Sie sollten sich gegenseitig lieben, ihre Kirchen mit großer Sorgfalt verwalten und die Herde vor den Bissen der Wölfe bewahren. Darauf entschlief er um das Jahr 320 selig im Herrn.” (Legenda Aurea, De sanctro Silvestro, S. 93 f.)

Der heilige Silvester ist bei weitem nicht der populärste Heilige. Obwohl an seinem Totentag gefeiert wird, ist sein Leben und seine Bedeutung weitestgehend in Vergessenheit geraten. Dennoch wird es kein Zufall gewesen sein, dass gerade die ihm nachgesagten Taten, wie das erwähnte Drachenzähmen, gut auf den 31. Dezember passen, ließ sich doch damit aus christlicher Sicht dem Schrecken der Neujahrsnacht entgegenwirken. Wie den übrigen Rauhnächten sagte man auch dieser nach, eine Zeit der Geister zu sein. Kinder, die in der Neujahrsnacht geboren wurden, sollten kein hohes Alter erreichen. Besonders von jenen, die zwischen Mitternacht und ein Uhr das Licht der Welt erblickten, behauptete man, sie könnten Gespenster und den Tod sehen.

Wie Neujahr, so das ganze Jahr, lautet ein Grundsatz. Die Nacht galt und gilt noch heute als Vorbote für das Kommende. Gibt man zu Neujahr viel Geld aus, geschieht dies auch im Rest des Jahres. Umgedreht verhält es sich natürlich ebenso. “Wenn man in der Neujahrsnacht nicht schläft, wird man das ganze Jahr hindurch nicht (gut) schlafen. […] Wenn man am Neujahr um Mitternacht den Kopf anschlägt und eine Beule bekommt, bringts Unglück.” (Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 6, S. 1031)

Viel besser ist es, in der Neujahrsnacht zu tanzen und zu springen und lustig zu sein, sich ordentlich zu benehmen, sich gut mit dem Nachbar zu verstehen, nicht zu streiten und die Hände vom Glücksspiel und der Handarbeit zu lassen. Einige Bräuche, die für gute Gesundheit sorgen sollen, muten indes doch recht eigentümlich an: “In der Neujahrsnacht soll man zwischen 11 und 12 Uhr nackend auf den Gottesacker gehen und Moss von den hölzernen Kreuzen holen, um Gicht und andere Krankheiten zu heilen. Eine Muskatnuß, in der Neujahrsnacht stillschweigend gekauft und das Jahr hindurch unausgesetzt in der Tasche getragen, verhindert selbst beim schwersten Sturz das Zerbrechen eines Gliedes. […] Wie es schon die Römer taten, schmückt man sein Haus mit grünen Zweigen.” (Handwörterbuch des deutschen Aberglauens, Bd. 6, S. 1029) Letzteres wird heute immer noch in vielen Häusern und Wohnungen praktiziert, allerdings zumeist in Form von Luftschlangen und Konfetti.

Ein traditioneller Silvesterbrauch ist auch das Bleigießen, welches ebenfalls schon bei den Römern in Gebrauch war. Die Neujahrsnacht sei für das Wahrsagen besonders günstig. Ob man nun den eingeschmolzenen Glücksschweinen, Kleeblättern, Schornsteinfegern oder Glocken einen zukunftsträchtigen Schattenwurf entlocken kann, sei dahingestellt.

Den ganz Mutigen sei das sogenannte “Speckjagen” empfohlen. Darunter versteht man, wie der Name schon andeutet, das heimliche Entwenden von Speck, Rauchfleisch und Würsten aus den Häusern (oder Wohnungen). Wenn Sie also ihren Nachbarn zu Silvester in der Speisekammer vorfinden, wundern Sie sich nicht. Vielleicht bringt er aber auch nur ein Brot vorbei. Tierfiguren und Jahresringe sind als Silvestergebäck beliebt. Sogar das Stallvieh bekommt an diesem Tag Brötchen zu fressen (besagt zumindest ein Brauch aus Ostpreußen). Und was die ganze Trinkerei angeht, hier ein Tip, “wer in der Silvesternacht, während es zwölf Uhr schlägt zwölf große Bier trinkt, ist das ganze Jahr glücklich”.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

Eine Antwort auf „Zum Jahreswechsel“

  1. „Macht legitimieren“ – oft geht es darum, Macht unter Berufung auf die Götter zu legitimieren. Ein altrömisches Patriziergeschlecht mit dem Namen Iulier / Julier wird genannt. Der weltberühmte Gaius Iulius Caesar mit der Datierung * 13. Juli 100 v. Chr. in Rom; † 15. März 44 v. Chr. in Rom wird diesem Geschlecht zugeordnet. Wie begründete Gaius Iulius Caesar seinen Anspruch auf Macht? Der Stammvater der Iulier / Julier heißt Iulus, dabei handelt es sich um einen Sohn des Aneias und der Aphrodite (Venus). Gaius Iulius Caesar betonte seine königlich-göttliche Herkunft mit Aphrodite / Venus -> https://www.mythologie-antike.com/t1313-iulus-askanios-ascanius-mythologie-1-konig-von-alba-longa

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