„Den göttlichen Wahnsinn aber teilten wir nach vier Göttern in vier Teile und eigneten den weissagenden Wahnsinn dem Apollon zu, den der Weihen dem Dionysos, den dichterischen den Musen, den vierten aber der Aphrodite und dem Eros, und den Wahnsinn der Liebe nannten wir den besten.“ (Platon, Phaidros)
Nach einem ersten Einblick in das mythisch-märchenhafte Reich der Lebenskräuter sei nun der Wirkung der Liebeskräuter ein näherer Blick gegönnt. Bekannt sind diese auch als „Aphrodisiaka“. Der Begriff τἁ Ἀφροδίσια stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Liebesgenuss“. Dabei ist der Name der Göttin Aphrodite nur unschwer herauszulesen. Benennt sie Homer in der Ilias als Tochter des Zeus und der Dione (in den Quellen mal als Titanin, mal als Okeanide), berichtet der Dichter Hesiod in seiner Theogonie von ihrer Schaumgeburt aus Blut und Samen des von Kronos entmannten Ur-Gottes Uranos. „Die Stellung der Aphrodite in der antiken Götterwelt war überaus prägnant und große Teile der griechisch-römischen Mythologie sind vom Lebenswandel der Liebesgöttin beeinflusst.“ (Haag, S. 211) Dabei steht sie – ganz in der Tradition der mesopotamischen Inanna/Ischtar oder der phönizischen Astarte – für die Wollust, die fleischliche Begierde und die Fortpflanzung. Und so sind denn auch die Aphrodisiaka dafür bekannt, dass sie Lust und Verlangen nicht nur in der sinnlichen Wahrnehmung anregen, sondern auch körperliche Reaktionen hervorrufen.
„Seit Urzeiten suchten die Menschen nach Mitteln, die das bewirken können, was sonst nur die Göttin der Liebe selbst vermochte: Liebe erzeugen, wo keine vorhanden ist, Liebesbegehren entfachen, wo sonst nur Erschlaffung besteht, körperliche Genüsse schenken, wo sonst nur Langweile herrscht, erotische Abenteuer einleiten, wo sonst nur Phantasielosigkeit vorzufinden ist.“ (Rätsch, S. 9)
Nicht nur bestimmten Pflanzen sagte und sagt man sinnanregende Wirkungen nach, auch tierische (z. B. das Gift des Ölkäfers Cantharis vesicatoria, auch bekannt als Spanische Fliege oder Blasenkäfer) und chemische Substanzen wie Alkohol, Opium, Cannabis und Kokain können eben solche Reaktionen hervorrufen; letztere mit dem Risiko, nicht nur in erotisierende Rauschzustände, sondern auch der Sucht zu verfallen.
Liebeskräutern haftet denn auch nicht selten etwas Magisches an. Man kann sie als Balsam auf die Haut auftragen, ihren Rauch inhalieren, sie sich als Zusatz eines Tranks munden lassen oder in Form von Kügelchen zu sich nehmen. Auch in Ritualen (Liebeszauber) wurde und wird von ihnen Gebrauch gemacht. Im Roman Das Parfum von Patrick Süskind stellt der Protagonist Jean Baptiste Grenouille, der selbst keinen Geruch besitzt, den perfekten Duft und letztendlich das perfekte Aphrodisiakum her, mit sowohl orgiastischen als auch tödlichen Folgen.
Dass, ähnlich wie bei den Lebenskräutern, auch bei den Liebeskräutern die Grenze zwischen realen Pflanzen und fantastisch-mythischem Gewächsen oftmals verschwimmt, beweist beispielsweise das sogenannte „Nepenthes“. Dazu heißt es in der Telemachie (den ersten 4 Gesängen von Homers Odyssee, die sich mit Telemachos, dem Sohn des Odysseus, befassen):
„Siehe sie [Helena] warf in den Wein, wovon sie tranken, ein Mittel
Gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis.
Kostet einer des Weins, mit dieser Würze gemischet;
Dann benetzet den Tag ihm keine Träne die Wangen,
Wär‘ ihm auch sein Vater und seine Mutter gestorben,“ (Odyssee 4, 220-224)
„Nepenthes“ bedeutet übersetzt „gegen Kummer“ (Altgriechisch ne > nicht; penthos > Leid, Kummer). Welches Mittel oder welche Pflanze sich genau dahinter verbirgt, ist indes nicht gesichert. Infrage kommen Opium (gewonnen aus den Samen des Schlafmohns) und Cannabis (gewonnen aus der weiblichen Hanfpflanze), da die schmerzstillende Wirkung u.a. bei Asklepios erwähnt wird (sogar Edgar Allan Poe erwähnt Nepenthes in seinem Erzählgedicht Der Rabe).
Bilsenkraut
Auch beim Bilsenkraut (aus der Familie der Nachtschattengewächse) wird vermutet, dass es mit Nepenthes identisch sein könnte, denn es diente schon in der Antike als Schmerz-, Narkose- und Rauschmittel (Vgl. Haag, S. 253f.)
Das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens beschreibt es als eine „stark narkotisch wirkende, widrig riechende Giftpflanze, deren Stengel und Blätter mit klebrigen Drüsenhaaren besetzt sind.“ (Handwörterbuch Bd. 1, Sp. 1305)
Bilsenkraut zählt zu den ältesten Rausch- und Medizinalpflanzen (u. a. als Mittel gegen Zahnschmerzen in babylonischen Rezepten) überhaupt. Bekannt ist es u.a. als Zeusbohne (Dioskyamos) oder Schweinekraut (Hyoskyamos). Dem Mythos zufolge mischte die Zauberin Kirke das Kraut in das Abendmahl von Odysseus und seinen Gefährten, nachdem diese die Insel Aiaia erreicht hatten, woraufhin sich letztere in Schweine verwandelten. Einzige bei Odysseus blieb die Wirkung aus – ein weiteres (Zauber-) Kraut (überbracht vom Götterboten Hermes) hatte ihn vor der Tiertransformation bewahrt – das Moly.
„Ihre Wurzel war schwarz, und milchweiß blühte die Blume;
Moly wird sie genannt von den Göttern. Sterblichen Menschen
Ist die schwer zu graben; doch alles vermögen die Götter.“ (Odyssee, 304-306)
Seit der Antike hat es immer wieder Versuche gegeben „Moly“, das u.a. auch bei Naturforschern wie Theophrast, Dioskurides (der im Übrigen einer der bekanntesten Ärzte der Antike war und aufgrund der Pflanzenbeschreibungen in seinem Werk „De Materia Medica“ Vorbildwirkung für Autoren von Kräuterbüchern bis in die Frühe Neuzeit besaß) oder Plinius dem Älteren erwähnt wird, botanisch zu identifizieren, allerdings ohne eindeutiges Ergebnis. In der Renaissance hielt man Moly für eine Art des Alliums, des Lauchs, da dieser in ganz Europa verbreitet ist und als Mittel gegen Verzauberung galt. Allium moly – der Gold-Lauch wurde Ende des 18. Jahrhunderts durch den schwedischen Naturforscher Carl von Linné in seiner Nomenklatur benannt. Allerdings blühen diese Pflanzen rötlich oder gelb, nicht weiß. Als weitere mögliche Moly-Kandidaten sind u.a. der Schwarz-Lauch, die Steppenraute, das kleine Schneeglöckchen, der Allermannsharnisch oder gar die Alraune bekannt. Für denkbar hielten die frühneuzeitlichen und modernen Botaniker auch, dass die Pflanze bereits in der Antike ausgerottet wurde, mit einem Unkraut gleichzusetzen sei oder letztendlich eben doch der Fantasie des Homer entsprang. Moly könnte entlehnt sein von griechisch molyein, was abschwächen, entkräften bedeutet. Damit wäre der Begriff ein allgemeiner dichterischer Ausdruck für ein Mittel gegen Zauberei. Für den Pharmazeuten Heinrich P. Koch handelt es sich beim Moly gar um eine Wildform unseres Knoblauchs. (Vgl. Koch, S. 34 ff.)
Aber zurück zum Bilsenkraut, das bei Kelten, Germanen und Wikingern als heilige Pflanze verehrt wurde und auch bei magischen Ritualen wie Wetterzauber oder bei der Schatzsuche Anwendung fand. Zudem verwendete man es als Zusatz von Liebestränken. „Griechische Zuhälter und Lupinarbesitzer (Bordellbesitzer) stellten aus Wein, Bilsenkraut, Alraune und Opium Getränke her, um ihre Damen in sexuelle Raserei zu versetzen. Sie kopierten somit den Wein der Kleopatra, eines der berühmtesten Aphrodisiaka überhaupt.“ (Haag, S. 254) Auch in die Badehäuser des Mittelalters hielt das Bilsenkraut als Stimulanz Einzug. „Da der Genuß […] Sinnestäuschungen, Halluzinationen und andere Erregungszustände hervorruft, tritt es als ein Bestandteil der mittelalterlichen ‚Hexensalben‘ auf.“ (Handwörterbuch, Sp. 1306) Zu den bekanntesten Halluzinationen zählten die Verwandlung in Tiere und das Fliegen durch die Luft. Kein Wunder also, dass die Pflanze bei christlichen Theologen vornehmlich als eine Saat des Satans galt, mit tödlichen Konsequenzen für alle jene, die man in Verdacht hatte, sie anzuwenden. Dem Bilsenkraut verdankt übrigens die Stadt Pilsen (heutiges Tschechien) ihren Namen. Dort braute man ein besonderes Bier, dem u.a. der „Blyn“, das Schwarze Bilsenkraut, beigemischt wurde. Das deutsche Reinheitsgebot aus dem Jahr 1516, mit dem die Bierindustrie auch heute noch so gerne wirbt, verfolgte daher ursprünglich den Zweck, dem Getränk die häufig hinzugefügten Rauchkräuterzusätze zu entziehen. Rezepte für Bilsenkrautbier finden sich allerdings immer noch in den Quellen. So nehme man neben getrocknetem Bilsenkraut noch Gagel (Talgbusch/Talgbum), Gerstenmalz, Fichten- oder Tannenhonig, Hefe, Brauner Zucker und Wasser. Die dazugehörende Anleitung inkl. Angabe der Grammzahlen zu den aufgeführten Ingredienzien kann man bei Stefan Haag (S. 91) oder in den Werken des Ethnologen und Ethnomediziners Christian Rätsch nachlesen.
Wein
Vom Wein der Kleopatra, auch bekannt als ein vollkommenes Aphrodisiakum, war bereits die Rede. Auch hier spielt das Bilsenkraut als Zusatz zusammen mit Alraune und Rohopium eine wesentliche Rolle für den Liebesrausch. Wiewohl der im Wein enthaltene Alkohol schon an sich für eine anregende Wirkung sorgt. Der Philosoph Friedrich Nietzsche schrieb dazu in seiner Dionysischen Weltanschauung von 1870: „Im dionysischen Rausche, im ungestümen Durchrasen aller Seelentonleitern bei narkotischen Erregungen oder in der Entfesselung der Frühlingstriebe äußert sich die Natur in ihrer höchsten Kraft; sie schließt die Einzelwesen wieder aneinander und lässt sie sich als eins empfinden.“
Schon in der Antike war die Herstellung alkoholischer Getränke bekannt. So sind beispielsweise aus Mesopotamien Ritualanweisungen für Bierzauber überliefert. „Kaum ein anderes Genussmittel hat die Menschheit mehr gespalten als der Alkohol. Und das gilt ganz besonders für seine Wirkung auf den menschlichen Sexualtrieb.“ Man denke an die Feste zu Ehren des Dionysos (römisch: Bacchus), den griechischen Gott des Weines, der Fruchtbarkeit, Ekstase und Illusion – als sanft und schrecklich zugleich wird er beschrieben. „Suff und Libido“ sorgen denn auch „bis heute für die Gesellschaftsfähigkeit des Alkohols in der westlichen Welt“. (Haag, S. 240) Im Wein liegt Wahrheit, heißt es in einem bekannten Sprichwort, und der Sänger Udo Jürgens verglich den griechischen Wein gar mit dem „Blut der Erde“. Seine anregenden Eigenschaften waren bereits in den altorientalischen Kulturen bekannt: das Getränk der Götter, an dem sich aber auch das Volk bei Festen gütlich tat. (Vgl. Rätsch, S. 108) Besonders beliebt war gewürzter Wein mit Zugaben wie beispielsweise Lorbeer, Thymian, Tollkirsche, Efeu etc. – die Liste ließe sich um einiges erweitern. Wobei der antike Wein nicht unverdünnt wie heutzutage getrunken wurde, sondern mit Wasser gemischt war. Die anregende Wirkung blieb dennoch erhalten. „Eubulos [ein Staatsmann und Politiker, 4. Jh. v. Chr.] sagte, daß die erste Amphore Wein Gesundheit bewirke, die zweite Lust und Liebe, die dritte Schlaf, die vierte Ausgelassenheit, die sechste Neckerei, die siebente Schlägerei, die achte Zeugenaufrufe, die neunte Zorn, die zehnte aber Raserei und Ekstase.“ (Rätsch, S. 111) Der chinesische Dichterphilosoph Li Tai Pe (699-762), selbst ein ewig Trunkener, formulierte das Wunder des Weins in seinem Gedicht „Selbstvergessenheit“ auf folgende Weise:
„Der Strom – floß,
Der Mond – vergoß,
Der Mond vergaß sein Licht – und ich vergaß
Mich selbst, als ich so saß
Beim Weine.
Die Vögel waren weit,
Das Leid war weit,
Und Menschen gab es keine.“
Neben der durch den Alkohol hervorgerufenen Enthemmung wirkt Wein aber auch stoffwechselanregend, bakterientötend und beruhigend. Getreu dem Motto des Arztes, Alchemisten und Naturphilosophen Paracelsus (1493-1541) macht also am Ende die Dosis das Gift. Über Wirkung und Folgen des Weins berichtet schon das Alte Testament. Im ersten Buch Mose (Genesis) ist neben der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies auch von der Zerstörung der Städte Sodom und Gomorrha zu lesen. Nur Lot, der Neffe Abrahams, und seine beiden jungfräulichen Töchter entkommen dem Unglück. Was folgt, ist ein biblischer Inzest unter Weineinfluss, aus dem die Ahnherren der Völker der Moabiter und Ammoniter hervorgehen.
„Und Lot zog weg von Zoar und blieb auf dem Gebirge mit seinen beiden Töchtern […]. Da sprach die ältere zu der jüngeren: Unser Vater ist alt und kein Mann mehr im Lande, der zu uns eingehen könnte nach aller Welt Weise. So komm, lass uns unserm Vater Wein zu trinken geben und uns zu ihm legen, dass wir uns Nachkommen schaffen von unserm Vater. Da gaben sie ihrem Vater Wein zu trinken in derselben Nacht. Und die erste ging hinein und legte sich zu ihrem Vater; und er ward’s nicht gewahr, als sie sich legte noch als sie aufstand. Am Morgen sprach die ältere zu der jüngeren: Siehe, ich war gestern bei meinem Vater gelegen. Lass uns ihm auch diese Nacht Wein zu trinken geben; […] so wurden die beiden Töchter Lots schwanger von ihrem Vater.“ (1. Buch Mose, 19, 30-36)
Unter den unzähligen Pflanzen mit aphrodisierender Wirkung befinden sich beispielsweise auch die bereits benannte Alraune, der Sauerampfer, die Petersilie (Giftpflanze des Jahres 2023), das Löffelkraut, der Granatapfel, aber auch durch den Handel nach Europa importierte Gewürze und Genussmittel wie Kaffee, Muskatnuss, Sandelholz, Tabak oder die Vanille.
Vanille
Die echte Vanille zählt zu den Orchideengewächsen und ist nicht nur bekannt für ihren intensiven Duft, sondern auch für ihren Geschmack. Bei den indigenen Völkern Mittelamerikas wie den Maya oder den Azteken galt der Geruch der Vanille als ein Zeichen der Götter für das Leben. Dementsprechend war die Pflanze kostbarer als Gold. Kein Wunder, dass sie daher auch bei den Eroberungen der Spanier auf reges Interesse stieß und so ihren Wege nach Europa fand. Die Verwendung der Vanille als Aphrodisiakum machte sich im 17. Jahrhundert auch der aus Alexandre Dumas‘ Musketier-Romanen bekannte französische Kardinal Richelieu zunutze. Er ließ „aus Vanille Duftkügelchen herstellen, die so genannten Richelieukügelchen, mit denen er die Damen am Hofe Ludwigs XIII. gleich reihenweise verführt haben soll“. (Haag, S. 317) Die erotische Wirkung der Vanille findet sich ebenfalls in Erzählungen aus Mittelamerika. „Die Blüte der Vanille öffnet sich nämlich nur einmal für 24 Stunden, um von stachellosen („Vanille-“) Bienen oder Kolibris bestäubt zu werden. Das Nektarsaugen und die gleichzeitige Bestäubung symbolisieren dabei den Koitus, die heiligen Insekten verkörpern die Schöpfung und die bizarren Kolibris das männliche Geschlechtsorgan und den Liebeszauber.“ (Haag, S. 315f.)
Yohimbé
Ein weiteres anregendes Exportgut ist die Yohimbé, ein Baum, der vornehmlich in den Wäldern Zentralafrikas wächst. Sein Holz ist als Aphrodisiakum und Rauschmittel in Gebrauch (die Pangwe im Süden Kameruns nennen ihn auch Schweinepenis). Auch beim Ahnen- und Fetischkult sowie bei Zauberritualen spielte und spielt die Yohimbé eine wichtige Rolle. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sie allerdings als Potenzanreger, eine Art natürliches Viagra, zum Verkaufsschlager. In Deutschland in Form des Satyrins, in Frankreich als „dragéés d’amour“ (Liebespillen). Richard Allen Miller schildert die Wirkung der Yohimbé wie folgt: „Die erste Wirkung besteht in einer lethargieähnlichen Gliederschwäche und unbestimmter Unruhe, ähnlich den Anfangswirkungen des LSD. Kalte und warme Schauer laufen den Rücken auf und ab, begleitet von einem leichten Schwindelgefühl. Danach kommt es zu einem entspannten, etwas rauschähnlichen Gefühl in Kopf und Körper, das mit leicht auditiven und oder visuellen Halluzinationen einhergeht. Darauf erreicht es die Spinalganglien, was die Erektion der Geschlechtsorgane bewirkt. Diese Wirkung hält zwei bis vier Stunden an.“ (Miller, S. 143)
Allerdings ist auch der Gebrauch von Yohimbé nicht ohne Vorsicht zu genießen, denn eine Überdosierung kann Dauererektion, Blutdruckabfall und Schädigungen am Herzen hervorrufen, womit wir wieder beim Ausspruch von Paracelsus mit dem Gift und der Dosis wären.
Daher zum Abschluss dieses kleinen Exkurses zu den Liebeskräutern noch einmal zurück in die Welt der Liebesgöttin Aphrodite und der – aus Pflanzensicht – Mutter aller Liebesgewächse: der Rose. In ihrer roten Variante Sinnbild von Begierde und Leidenschaft, in weißer Form Allegorie für die Reinheit der Liebe. Wenn auch kein Aphrodisiakum im klassischen Sinn, verstehen es Rosen und ihr Duft doch auf ganz eigene Weise, ihren Zauber zu weben. Immerhin verehrten sie die Germanen als Symbol der Liebesgöttin Freya, in deren Garten sie wuchsen und dort nur zu einer bestimmten Zeit, dem Freya-Tag (Freitag) geschnitten werden durften. Bei der Geburt der Aphrodite soll es angeblich Rosen geregnet haben, und wie die Rosen rot wurden, erklärt der Mythos auch. Mit Scham hat dies allerdings wenig zu tun, vielmehr mit Wut und Eifersucht. Aphrodite liebte den Jüngling Adonis und verführte ihn, wie es sich für eine Göttin gehört. Ihr Liebhaber Ares, Gott des Krieges, entsandte aber aus Rache einen Eber, um den Nebenbuhler auszuschalten. Auf der Suche nach ihrem Geliebten, der tödlich verwundet worden war, verletzte sich Aphrodite an Dornen. Ihr Blut traf die weißen Rosen und färbte sei rot. Daher sind Rosen neben aller Symbolik für Leidenschaft (und auch Laster: angeblich hat der römische Kaiser Nero die Teilnehmer einer Orgie so sehr mit Rosen überhäuft, dass sie in den Blättern erstickten) immer auch Symbole der Vergänglichkeit.
Ob Liebeskräuter, Liebeszauber oder Liebesymbolik – eine gewisse Ambivalenz in Wirkung und Deutung lässt sich wohl generell nicht ausschließen. Und vielleicht liegt es auch am Begriff der Liebe selbst, der so vieldeutig und geheimnisvoll ist, dass uns sowohl botanisch als auch literarisch, biologisch, mythisch etc. niemals der Gesprächsstoff ausgehen wird. Was aber, wenn man den von Platon eingangs zitierten „Wahnsinn“ doch in eine einfache Formel fügen könnte? In der Abwandlung eines Zitats aus Ovids Werk über die Liebeskunst (Ars amatoria) findet sich einleitend zu Richard A. Millers Buch „Liebestrank und Ritual“ eine sowohl simple als auch eindeutige Antwort aus der mittelalterlichen Folklore:
„Ich werde dich einen Liebestrank lehren ohne Arznei, ohne Kräuter, ohne Hexenbeschwörung. Es ist dies: willst du geliebt werden, dann mußt du zuerst lieben.“
Mytho-botanische Fortsetzung folgt.
Ein Beitrag von Dr. Constance Timm
Literaturhinweise:
Christian Rätsch. Pflanzen der Liebe. Aphrodisiaka in Mythos, Geschichte und Gegenwart. Hallweg Verlag: Bern 1990.
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. 1. Hrsg.v. Hanns Bächtold-Stäubli u. Eduard Hoffmann-Krayer. Walter de Gruyter: Berlin/New York 1987.
Heinrich P. Koch. Moly – der Zauberlauch der griechischen Mythologie. In: Geschichte der Pharmazie. 47. Jahrgang 1995. Nr. 2/3, S. 34-44.
Homer, Odyssee, übersetzt von Johann Heinrich Voß bearbeitet von E.Gottwein
Homer: Odyssee 4. Gesang: Telemachos in Sparta (deutsche Übersetzung v. J.H.Voß) (gottwein.de)
Li Tai Pe: Selbstvergesseheit. Chinesische Gedichte. Nachdichtungen (projekt-gutenberg.org)
The Nietzsche Channel: Die dionysische Weltanschauung.
Platon. Phaidros. Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Gernot Krapinger. Reclam Ditzingen 2002.
Richard Alan Miller. Liebestrank und Ritual. Aphrodisiaka und die Kunst des Liebens. Sphinx Medien Verlag: Basel 1988.
Stefan Haag. Liebeskraut und Zauberpflanzen. Mythen, Aberglauben, heutiges Wissen. Franckh-Kosmos Verlag: Stuttgart 2010.
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.
Es ist erstaunlich zu sehen, wie sich die Menschheit im Laufe der Geschichte von der Natur inspirieren ließ und wie diese Inspiration in Mythen und Geschichten eingeflossen ist. Eure Darstellung von Pflanzen wie dem Alraun oder dem Eisenhut in Verbindung mit Liebeszaubern fand ich äußerst spannend und informativ.
Es ist großartig zu wissen, dass es Orte wie euren Blog gibt, an denen man so viel über die faszinierende Welt der Mythologie und Botanik lernen kann. Vielen Dank, dass ihr euer Wissen und eure Leidenschaft mit uns teilt!
LG,
Lena