Es mutet wie ein Blick ins Inneres eines Gehirns an, eine Verflechtung von abertausend Nervenzellen, von denen jede einen eigenen Namen trägt – aber keinen beliebigen Namen. Die Wesen der griechischen Mythologie sind hier versammelt (Götter, Halbgötter, Sterbliche) und warten darauf, von Forschenden und Interessierten gefunden und mitsamt ihren verwandtschaftlichen Beziehungen näher unter unter die Lupe genommen zu werden. Auch Handlungsorte und Geschichtenstränge der mythischen Gestalten lassen sich nachvollziehen – ein Klick genügt. Entscheidet man sich beispielsweise für das Stichwort „Herakles“, wird die schier überwältigende Auswahl schon fundierter und verwandelt sich in eine Pusteblume mit dem Helden als Mittelpunkt. Der gute alte Göttervater Zeus bringt es gar auf ein Gebilde, das mit ein wenig Fantasie Ähnlichkeit mit einem Vogel aufweist, während die Verflechtungen bei Achilles (Stichwort: Achilleus) fast schon karg wie eine Mücke daherkommen.
„Mythoskop“ nennt sich das neue Online-Portal, welches an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden ist und sowohl Altertums- und Literaturwissenschaften als auch Informatik miteinander verbindet. Die Quellengrundlage bildet die sogenannte „Bibliothek“ des Apollodor aus dem ersten oder zweiten nachchristlichen Jahrhundert, eine Sammlung antiker griechischer Mythen, welche dem Schriftsteller und Grammatiker Apollodor von Athen (um 180 v. Chr. – um 120/119 v. Chr.) zugeschrieben werden. Aufgrund der zeitlichen Diskrepanz von Lebensdaten und Werkentstehung handelt es sich hierbei vermutlich um eine Pseudoepigrafie, d.h. eine Schrift, die mit Absicht im Namen eines bestimmten Autors verfasst wurde oder die man selbigem fälschlicherweise zugeschrieben hatte. Ergänzt werden die im „Mythoskop“ verwendeten Quellendaten mit Bezügen zu den Werken des Hesiod, Pausanias oder Ovid. Auffällige ist, dass Homer nicht (oder noch nicht) berücksichtigt wurde, und so darf man gespannt sein, ob die Datenbank hierzu in den nächsten Monaten und Jahren noch weitere Ergänzungen erfährt.
Auf alle Fälle lohnt es sich, den Beziehungsgeflechten, die man aus den mythischen Geschichten kennt, einmal grafisch nachzuspüren. Allerdings setzt die Benutzung der Stammbäume eine zumindest rudimentäre Kenntnis des Stoffes voraus, da die Namen nicht erklärt werden. Zwar kann man sich, wie im Fall von „Herakles“ unter einer weiterführenden Seite, die Orte anzeigen lassen, an denen er in den Mythen gewirkt hat, sowie unter „Geschichten“ näheres zu seinen Abenteuern erfahren, allerdings nur stichpunkfthaft und in einer Art Zeitstrahl. Zwar ist es eine schön Ergänzung, sich die jeweiligen Kapitel und Textangaben im Apollodor anzeigen lassen zu können, aber auch hier muss der Suchende faktisch einmal mehr wissen, was er sucht. Für Mythenkenner sicherlich interessant, für jene, die erste Schritte in der Mythologie wagen oder gerade dabei sind, tiefer in den Stoff einzusteigen, eher unübersichtlich. Ein wenig mehr Licht ins Dunkel bringt dann schon die kleine Eule (der Athene), die am oberen Menürand auf neugierige Besucher wartet.
Auf den folgenden Seiten findet sich u. a. das Fabulatorium, in dem die Erzählerin Sabine Kolbe via Audio von den Mythen des Minotauros und der Medusa berichtet, ein schöner Verweis darauf, dass den Geschichten eine orale Tradition zugrunde liegt und diese zumeist vorgetragen wurden. Beim Fabelwesen-Krimi kann man sein mythische Wissen testen. Welches Monster hat Herakles mit eine Keule erschlagen? Und wer hat ihn dabei unterstützt? Für Schülerinen und Schüler sicherlich ebenso ansprechend wie die Auseinandersetzung mit den Mythen in der Figurenarbeit. Lohnend und sehr wichtig auch die Stimmen zum Mythos, bei denen Akademiker, aber auch Lehrer und Erzähler berichten, warum es so wichtig ist, sich immer wieder neu mit Mythologie zu befassen und was die alten Stoffe auch heute noch so lebendig macht. Die Mitmachgalerie lädt schließlich dazu ein, mythische Figuren oder Namen im öffentlichen Raum via Handykamera aufzunehmen und einzusenden, sodass diese in eine interaktive Weltkarte einbettet werden können. Auch hier darf man gespannt sein, wie eben diese Karte in einigen Jahren aussehen wird, denn Mythen umgeben uns mehr als wir denken und die Beschäftigung mit ihnen hört niemals auf. Schon aus diesen Gründen lohnt sich der Blick ins „Mythoskop“.
Wir wünschen dem Portal einen guten Start und werden es auch bei unserer Arbeit weiter verfolgen.
Das Team vom MYTHO-Blog
Link zum Mythoskop der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg:
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.
Titelbild von Artie_Navarre auf Pixabay
„Die Wesen der griechischen Mythologie“ / ich weiß selber nicht, was mit „Götter, Dämonen, Halbgötter, etc.“ wirklich gemeint ist. Die griechische Mythologie jedoch ist ein Thema, wo es zentral um Macht, Herrschaft und Tragödie geht. Die griechische Mythologie erzählt demnach vom HIER und HEUTE -> https://mythologie.forumieren.de/