Über die Rose

Die Schriftstellerin Gertrude Stein hätte es nicht treffender beschreiben können: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Doch was hat es wirklich auf sich mit der Rose, der erstmals von der antiken griechischen Dichterin Sappho benannten „Königin der Blumen“? Sie ist real: Wir können sie berühren, den Duft riechen, Blütenblätter, Farben und Gestalt mit unseren Augen erfassen. Wir können sie im Blumenladen kaufen, im Garten züchten oder in der freien Natur bewundern. Rund zweihundertfünfzig Arten sind nachgewiesen und wer sich wissenschaftlich mit ihnen beschäftigen mag, ist in der Rhodologie trefflich aufgehoben. Dennoch bleibt die Rose ein Mysterium.

Wir wissen nicht, wann die Faszination der Menschen für die Rose begann. Vielleicht war sie ein Produkt puren egoistischen Schöpfungswillens, eine lebendig gewordene Vorstellung der Vollkommenheit, vielleicht begegneten unsere Vorfahren ihr aber auch durch reinen Zufall. Egal welche Variante zutrifft, eines scheint gewiss: Jede Rose weiß ein Geheimnis zu wahren, ein ureigenes Rätsel, das nur sie allein kennt. Und das sie nur mit wenigen teilt.

Rosen wurden seit der Antike von Ägypten bis Rom, von Persien bis China nicht nur in Gärten gehegt und gepflegt, zu Rosenöl verarbeitet, kultisch verehrt (auch bei Totenfesten, so begingen die Römern die dies rosea oder Rosalia), als Heilpflanze genutzt oder von Poeten in Versen, Romanen und Liedern besungen. Rote Rosen waren und sind das Symbol der Liebe, aber auch Ausdruck von Reinheit und Schönheit, ein Rest der Morgenröte, die auf Erden verweilte. Nicht umsonst galten sie als die Blumen der Aphrodite, wiewohl sie auch Dionysos und Eros geweiht sein konnten, jenen griechischen Göttern, die man allgemeinhin mit sexueller Lust, Trieb und orgiastischen Gelangen in Verbindung bringt. Die Rose versteht sich also auf Ambivalenz. Und dann ist da auch noch der Schmerz.

Alle Rosen, auch die roten, besitzen ihre Dornen. Und wie alles Leben muss auch das der Rose vergehen, um schlussendlich wieder aufzuerstehen. Am schönsten beschrieben hat dies der französische Dichter Antoine de Saint-Exupéry in seiner Erzählung „Der kleine Prinz“. „‘Hast du Angst vor dem Tod“, fragte der kleine Prinz die Rose. Darauf antwortete sie: „Aber nein. Ich habe doch gelebt, ich habe geblüht und meine Kräfte eingesetzt soviel ich konnte. Und Liebe, tausendfach verschenkt, kehrt wieder zurück zu dem, der sie gegeben. So will ich warten auf das neue Leben und ohne Angst und Verzagen verblühen.‘“

Eine Rose ist also mehr als eine Rose. In der Alchemie ist sie das Symbol für den Stein der Weisen, die Unsterblichkeit. Ähnlich war und ist sie für die Christen die Versinnbildlichung des ewigen Lebens und Zeichen der Gottesmutter Maria. Verwendete man den Ausdruck „sub rosa“, meinte man, dass ein Anliegen geheim und vertraulich zu behandeln war. Im Paradiso von Dantes Göttlicher Komödie sitzen die Heiligen und Auserwählten in der Himmelsrose, um sich am göttlichen Licht, dem Funken der Schöpfung und dem Herzen der Erkenntnis zu erfreuen. Und im französischen Rosenroman steht sie für das zu verehrende und zu fürchtende Weibliche.

Was also ist die Rose? Sie ist, was sie ist. Man kann sich an der Antwort auf die Frage versuchen, aber vermutlich wird man auf dieser Suche immer eine andere Antwort finden. Vielleicht diese: Die Rose ist das, was unsere Vorstellung ihr erlaubt zu sein und noch viel mehr. Liebe. Schmerz. Lust. Leben. Das Davor. Und das Dahinter. Ein Spiegel unserer Selbst. Blut. Schatten. Klarheit. Behagen. Allegorie.

Eine Rose ist reale Magie. Und was am Ende bleibt ist eine weitere Frage: Was bedeutet eine Rose für Sie?

„du wählst das glücklichste von allen losen

auch noch nach dem so viele tage dich versehrten

und sieh es wird um dich wie ein von rosen

vollkommen rot durchglühter garten werden.“

(Wolfgang Hilbig)


Ein Beitrag von Dr. Constance Timm


Literaturhinweise:

Antoine de Saint-Exupéry. Der kleine Prinz. Übers. von Marion Herbert. Anaconda Verlag: München 2015.

Petra van Cronenburg. Das Buch der Rose. Eine Kulturgeschichte. 2. Aufl. Edition Tetebrec 2015.

Wolfgang Hilbig Werke. Bd. 1. Gedichte. hrsg. v. Jörg Bong, Jürgen Hosemann und Oliver Vogel. S. Fischer Verlag: Frankfurt 2008.


© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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