“Die Schokolade besitzt den großen Vorzug, daß sie das Angenehme mit dem Bekömmlichen verbindet. Von welchem Genußmittel kann man das wohl behaupten? Und darum allein schon, weil sie eine Sonderstellung einnimmt, erscheint es angebracht, sich mit ihrem Wesen, ihren Eigentümlichkeiten und ihrer Wirkung auf die Menschen zu beschäftigen. Die Schokolade ist ein Produkt der Kultur und ihre Geschichte ein Bestandteil der Kulturgeschichte.” (Tornius, S. 9)
Schokolade ist heutzutage das wohl bekannteste Produkt, welches aus den Samen des Theobrama cacao, des Kakaobaumes, hergestellt wird. Dazu gewinnt man aus der Kakaobohne in einem langwierigen, komplexen Verfahren Kakaomasse, welche schließlich zu Kakaobutter und Kakaopulver weiterverarbeitet wird. Durch Kombination mit weiteren Zutaten, wie zum Beispiel Milchprodukte und Zucker, entsteht schließlich das, was wir als Schokolade kennen – und lieben.
Tatsächlich ist Schokolade so beliebt, dass es ganze Museen, Zeitschriften und Messen gibt, die sich ihr widmen. Es gibt Schokoladenkünstler – zum Beispiel den Pariser Chocolatier Patrick Roger – die riesige Skulpturen daraus kreieren. Andere inspiriert sie zu literarischen Werken wie “Les Mangeuses de Chocolat” (Die Schokoladenesserinnen) von Philippe Blasband: Drei Schokoholiker finden sich zusammen, um in einer Gruppentherapie von der Schokolade loszukommen – natürlich erfolglos! Der US-amerikanische Schriftsteller und Karikaturist John Tullius ging sogar so weit zu behaupten: “Neun von zehn Leuten mögen Schokolade. Der Zehnte lügt.”
Die Produktion und der Konsum von Schokolade gehen mittlerweile Hand in Hand mit dem Problem der Kinderarbeit und den unwürdigen Arbeitsbedingungen der Kakaobauern, mit der Abholzung der Regenwälder, aber auch mit Massenproduktion und Übergewicht. Viele Schokoladenerzeugnisse enthalten mehr Zusatzstoffe und Zucker als tatsächlich Kakao und sind somit sehr weit davon entfernt, was die Azteken ursprünglich als xocoátl bezeichneten.
Das „bittere“ Recht der Elite
Die Ursprünge des Kakaobaumes sowie der Zeitpunkt, ab welchem dieser gezielt angebaut wurde, sind nicht geklärt. Aufgrund der großen Artenvielfalt des Theobrama im äquatorialen Südamerika vermutet man auch dort seine Herkunft. Archäologisch nachgewiesene Rückstände von Kakao an Behältnissen von um 1000 v. Chr. unterstützen die Annahme einer Domestizierung der Pflanze mindestens ab dieser Zeit.
In Kultur und Religion spielten die Pflanze und ihre Früchte eine maßgebliche Rolle für die Völker Mesoamerikas, bezogen auf große Teile der modernen Staaten El Salvador, Costa Rica, Guatemala, Mexiko, Nicaraugua, Honduras und Belize. Diese waren einst Schauplatz von Hochkulturen wie die Nahua (z.B. Azteken und Tolteken) und die Maya, um nur einige zu nennen.
Der Name xocoátl, welchen die Azteken dem aus den Kakaobohnen bereiteten Getränk gaben, leitet sich von den Worten xócoc, also ‚bitter‘, und atl, ‚Wasser‘ ab. Probiert man einmal eine Prise von ungesüßtem Kakaopulver, ist der Grund dafür offensichtlich. Während wir dieses und andere Kakaoprodukte jedoch einfach im Supermarkt erstehen können, war der Anbau, Besitz und besonders Konsum von Kakaobohnen damals von großem Prestige.
Innerhalb der Hochkulturen Mesoamerikas galt der Besitz von Kakao als Zeichen von Reichtum, Macht und Herrschaft. Europäer, welche im sechzehnten Jahrhundert zur Eroberung in die neue Welt einfielen, berichten über offizielle Verbote der Konsumierung von Kakao durch andere Menschen als durch jene, die der Herrscherelite angehörten, Krieger oder wichtige Händler waren. Verzierungen auf Vasen oder Wandgemälden zeigen mit Kakaogetränken gefüllte Gefäße oder einen Sack mit Kakaobohnen zu Füßen eines Thrones; es waren Gaben oder Tributzahlungen, denn Kakao war so wertvoll, dass er sogar eine Form von Währung bildete. Sein wahrer Wert steckt, im wahrsten Sinne des Wortes, in ihm.
Braunes Gold für die Gesundheit
Auch damals wusste man am Kakao zu schätzen, was die moderne Medizin im Detail festgestellt hat – seine beachtlichen gesundheitsfördernden Inhaltsstoffe. Dies mag bei den Azteken und Mayas zwar nichts mit Laborergebnissen und -tests zu tun gehabt haben, es hinderte sie jedoch nicht daran, sie sich zu Nutzen zu machen.
Reich an antioxidativen Flavoiden schützt Kakao in seiner reinen Form unsere Zellen, liefert enorm viel Calcium und Eisen. Er ist eine der höchsten pflanzlichen Magnesiumquellen und fördert somit die Gehirnleistung; zudem wirkt Magnesium krampflösend und entspannend. Ein wahres Superfood!
Neben diesen fantastischen Eigenschaften wird Kakao ebenfalls eine aufmunternde und sogar aphrodisierende Wirkung nachgesagt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Kakao gewisse Neurotransmitter enthält, welche für die Ausschüttung von Endorphinen sorgen. Diese können schmerzstillend und aufmunternd wirken. Kurz gesagt – Kakao kann enorm die körperliche und geistige Leistung sowie das Wohlbefinden steigern. Dass diese geradezu wundersame Pflanze und ihre Früchte daher der männlichen Herrscher- und Priesterkaste vorbehalten bleiben sollte, ist kaum verwunderlich.
Zwischen Himmel und Erde
Die Kulturen Mesoamerikas verehrten die Natur. Alle Arten von Pflanzen, Tieren und Früchten hatten einen Platz in ihren spirituellen Vorstellungen und deren Symbolen. Das betraf sowohl die ungezähmte Wildnis als auch die kultivierte Flora und Fauna, auf welcher ihre landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft aufgebaut war. Fruchtbarkeit und Nährung, Wandlung und Transformation, Leben und Tod und deren Opferung. Diese Völker, wie so viele andere, richteten ihre Blicke gen Himmel zu den Sternen, in denen ihre Götter ebenso wohnten wie in der Erde, und sie bauten Pyramiden und Tempel, um ihnen näher sein zu können. Der Kakao erhielt dabei einen besonderen Status.
In der Ikonografie der mesoamerikanischen Völker findet sich eine Reihe komplexer Assoziation mit dem Kakaobaum und seinen Früchten. Manchmal als außerweltlicher, heiliger Baum dargestellt, wird er mit Herrschergeist, die daraus hergestellten Kakaogetränke mit Blut in Verbindung gebracht. Der rote Lebenssaft galt als bedeutsames Opfer.
Mit den Göttern in Kontakt zu treten, Rituale und Opferungen durchzuführen, oblag den Priestern und Herrschern. Mit ihnen als Mittler zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen brachten besonders letztere sowie andere Personen der Elite den Göttern ihr Blut und das ihrer Gefangenen dar. Diverse rituell zubereitete Kakaogetränke mit ihrem belebenden Charakter, welche durch Pflanzenstoffe wie Annatto oft rot gefärbt wurden, galten als ähnlich wertvolle Gabe.
Manche dieser Mixturen reicherte man mit Gewürzen und anderen Pflanzen an, die ihnen tiefgreifende halluzinogene Wirkungen verliehen. Wurden diese dann bei den heiligen Ritualen getrunken, versetzten sie die Konsumierenden in ekstatische Rauschzustände, welche es ihnen ermöglichen sollte, Botschaften und Visionen der Götter zu erhalten. Dem aztekischen Herrscher Moctezuma II wird sogar nachgesagt, er habe Kakao in rauen Mengen zu sich genommen, bis zu fünfzig Mal am Tag.
Der Kakao und die Europäer
Augenzeugenberichte und Erzählungen über die Ureinwohner Amerikas stammen stets von den christlichen Entdeckern und Eroberern, welche im fünfzehnten, sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert in Amerika einfielen, die Ureinwohner systematisch versklavten und weitgehend massakrierten. Diesen Berichten ist daher mit einiger Skepsis zu begegnen, da den hochmütigen Europäern meist daran gelegen war, die amerikanischen Ureinwohner als zügellose, wilde Heiden darzustellen.
Manche dieser Zeugnisse enthalten durchaus interessante Berichte und Nützliches. Der königliche Leibarzt und Naturalist Francisco Hernández unter Philip II von Spanien befand sich zwischen 1572 und 1577 in Mexiko, um medizinische Pflanzen zu finden und zu untersuchen. In dem Werk Historia natural de la Nueva España, welches er während seines Aufenthaltes schrieb, behandelt er mehr als tausend Pflanzenarten und liefert sogar ein Kakaorezept, wie es die Azteken zubereitet haben sollen.
Er gibt drei Pflanzenprodukte an, welche traditionell genutzt worden seien, um die Aztekischen Kakaogetränke zu würzen: Die hueinacaztli Blume (Cymbopetalum penduliflorum), welche einen pfeffrigen Geschmack liefert; die tlilxochitl Bohne (Vanilla planifolia), also die berühmte Vanille, und die mecaxochitl Blume, eine Verwandte des schwarzen Pfeffers. Diese Kombination soll höchst anregend und belebend wirken.
In seiner Historia verdadera de la conquista de la Nueva España (Die Wahrhafte Geschichte der Eroberung von Neuspanien, 1568) erzählt der conquistadore Bernal Díaz del Castillo, welcher die Eroberung Mexikos unter Hernán Cortés miterlebt hatte, von einem Bankett des Moctezuma II, bei welchem der bereits genannte Überfluss an Kakao getrunken wurde. Dieser, so wurde gesagt, sei hervorragend, um bei Frauen Erfolg zu haben. Das Interesse der Europäer an Kakao war unbestreitbar geweckt.
Von der neuen in die alte Welt
Bereits Christoph Kolumbus soll die ersten Kakaobohnen mit nach Europa gebracht haben, was jedoch nur wenig Aufmerksamkeit erhielt – man wusste nichts mit ihnen anzufangen. Es war Hernán Cortés, mit dem der Kakao in Europa Einzug hielt. Man lernte schnell, wie die Bohnen zu verarbeiten waren und dass das Produkt ohne süßende Zugaben wie Zucker oder Honig für die europäischen Gaumen ungenießbar waren.
Kakao war ein Luxusgut, welches sich auch hierzulande lediglich die Oberschicht leisten konnte, und erfreute sich solch enormer Beliebtheit, dass er schließlich zum Geschäft wurde. Chocolatiers, Hoflieferanten, Cafés und schließlich Fabriken schossen in ganz Europa aus dem Boden. Was als schaumiger Trank für die Oberschicht Mesoamerikas und als geheiligtes Opfer für deren Götter begann, spielt auch heute noch in Mittelamerika eine traditionelle Rolle. Kakao wird in Mittelamerika angebaut, verarbeitet und sogar – in Verbindung mit Eheschließung und Geburt – rituell genutzt.
In Europa wandelte sich der Kakao vom Luxusgut zum Massenprodukt, dessen Hauptanbaugebiete mittlerweile in Westafrika liegen. Seit einer ganzen Weile werden Stimmen wie Fairtrade laut, welche die möglichst billigste Massenproduktion und die damit einhergehende Ausbeutung der Kakao-Bauern anprangern. Fair gehandelter Kakao mit hohen Qualitätsstandards soll sowohl für ein existenzsicherndes Einkommen der Produzenten sorgen als auch einen bewussteren Konsum der Verbraucher fördern. Vielleicht sollten wir uns an der Verehrung, welche dem Kakao einst zuteil wurde, ein bisschen ein Beispiel nehmen. Es kann sicher nur Vorteile bringen.
Ein Beitrag von Pia Stöger
Literaturhinweise:
Cameron L. McNeil (Edit.): Chocolate in Mesoamerica. A Cultural History of Cacao. University Press of Florida, 2006.
Valerian Tornius: Das Buch über die Schokolade. Eine kulturgeschichtliche Plauderei. Voigtländer Leipzig, 1931.
Fairtrade Kakao: https://www.fairtrade-deutschland.de/produkte/kakao/hintergrund-fairtrade-kakao (aufgerufen am 15.07.2021).
© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.