Die Banshee – Verkünderin des Todes

Halb verdeckt von Sträuchern kauert sie im Zwielicht. Ein lautes Wehklagen und Schreien zerschneidet die Stille und lässt Vögel von einem nahegelegenen Feld auffahren. Nur wenige Steinwürfe von dem Haus einer Familie sitzt sie und stößt ein anhaltendes Jammern aus, das die Menschen – bis auf einen – aufhorchen lässt. Man möchte erschauern, denn ihre Schreie sind eine Warnung – bald wird der Tod die Familie heimsuchen und ein Mensch wird sterben. Nämlich derjenige, der als einziger Ihre Schreie nicht hört.

Es ist die Rede von der Banshee, auch bean sí im irischen Gälisch, einer Gestalt der irisch-keltischen Mythologie und Folklore. Sie gilt als das, was von früheren weiblichen Gottheiten der keltischen Religion übrig ist. Einst Abbild mächtiger Königinnen magischen Ursprungs, wurde sie ein Todesomen, ein weiblicher Geist oder auch faerie, die der Anderswelt angehört und stets auftritt, wenn der Tod eines Menschen unmittelbar bevorsteht. In ihr vermischen sich magische Gestalt, Schamanin und Heilkundige der Vergangenheit sowie traditionelles Klageweib.

Die Banshee kann in unterschiedlicher Gestalt erscheinen, wird aber nur selten tatsächlich von den Lebenden gesehen. Meist nimmt sie die Form einer alten, fast leichenhaften Frau an. Das Äußere und ihre Gebärden spiegeln wider, was den Sterbenden und die Trauernden bald ereilen wird. In weiße Gewänder gehüllt, mit zerzaustem weißen oder schwarzem Haar, leuchten ihre rotgeweinten Augen Tag und Nacht.

Die Banshee kann aber auch als junge, überaus schöne Frau in Grün und mit roten Haaren auftreten. Letzteres gilt allgemein als Zeichen von Feenblut und Feenabstammung. Ihr Wehklagen wird oft von energischem Klatschen begleitet. Geschrei und Klatschen war in der Vergangenheit traditioneller Bestandteil einer Beerdigung des irischen Bauernstandes. Dass die feenhafte Verkünderin des nahenden Todes sich dieser ebenfalls bedient, ist also kaum verwunderlich.

Die Anderswelt oder auch Feenwelt ist seit jeher Paralleluniversum und Jenseits in der keltischen Mythologie. Die „Frau aus den Hügeln“ oder „Frau aus dem Feenreich“, wie die Banshee auch genannt wird, manifestiert sich zwar in Gestalt und Präsenz im Diesseits, ist jedoch kein Geist im eigentlichen Sinne des Horror-Genre; obwohl durchaus unheimlich, ist sie nicht dazu da, um die Menschen zu terrorisieren und bleibt stets auf Abstand.

Meist einige Tage vor dem Eintritt des Todes beginnt ihr unheimliches Wehklagen. Dann sitzt sie zum Beispiel an Gewässern, ähnlich wie „The Washer at the Ford“, welche die Kleidung derer wäscht, die bald im Kampf sterben. Die Banshee jedoch wird nicht grundlegend mit Krieg oder Kampf in Verbindung gebracht. Manchmal sitzt sie auch an Wegesrändern, aber stets nahe des Wohnortes der Familie, an die sie sich gebunden hat. Besonders alte irische Familien, deren Namen oft mit „Ó“ oder „Mac“ beginnen, beanspruchen eine bestimmte Banshee für sich, die seit Generationen wiederkehrt.

Auch in Schottland, wo vor Jahrhunderten eine irische Besiedelung stattfand und in manchen Gegenden Gälisch gesprochen wird, ist die Banshee ebenfalls gegenwärtig. Die „Ban-Schie“ wird hier vor allem mit den mächtigen, einflussreichen Familien in Verbindung gebracht und kündet den Tod der ‚chieftanis‘, der Familienoberhäutper, an.

Eine der berühmtesten Geschichten wurde von Ann, Lady Fanshawe (1625-1680) niedergeschrieben, einer berühmten englischen Memoirenschreiberin und Verfasserin von Kochbüchern. Diese weilte 1649 mit ihrem Ehemann gegen Ende des Englischen Bürgerkriegs (1642-1651) eine zeitlang im irischen Cork. Als Royalisten, dem englischen Königshaus treu ergeben, mussten sie jedoch fliehen, als sich Cork gegen den König erhob. Auf der Flucht schlugen sie sich von einem Familiensitz zum nächsten durch, um weiter nach Spanien zu gelangen. Einer davon war das Haus der Familie O’Brien, wo sie drei Tage lang blieben und Lady Fanshawe eine eigentümliche „Begegnung“ machte.

Um die erste Morgenstunde in der ersten Nacht des Besuchs, wurde die Dame von einer Stimme geweckt, die vom Fenster ihres Zimmers zu ihr drang. Verwundert begab sie sich zum Fenster, schlug die Vorhänge zurück und traute ihren Augen kaum: Dort im Fensterflügel lehnte von außen eine Frau. Vom Mondlicht beschienen war sie in weiße Roben gehüllt, hatte rotes, wallendes Haar und sah geradezu schauerlich aus. Und während Lady Fanshawe wie angewurzelt dastand, brach die Frau in ein lautes Wehklagen aus. Kurz darauf verschwand die Erscheinung mit einem tiefen Grabesseufzer in einer Nebelschwade.

Völlig entgeistert weckte Lady Fanshawe daraufhin ihren Ehemann, der zuerst ungläubig, dann ebenso erstaunt den Schilderungen lauschte. Er hatte davon gehört, von diesen Erscheinungen, die in Irland weit und breit bekannt waren. Damit jedoch nicht genug. Am Morgen trafen sie die Herrin des Hauses, Lady Honara O’Brien, die ihnen von einer betrüblichen, vergangenen Nacht erzählte. Sie habe am Bett eines O’Brien Cousins gewacht, dessen Familie einst das Anwesen besessen hatte. Krank sei er gewesen und schließlich gegen zwei Uhr früh gestorben.

Merkwürdigerweise brachte sie ebenfalls die Hoffnung zum Ausdruck, das Ehepaar Fanshawe habe ein geruhsame Nacht im schönsten Zimmer des Hauses gehabt. Denn leider hätte sie selbst vergessen, die geisterhafte Frauenerscheinung zu erwähnen, welche zuerst von einem früheren Besitzer des Anwesens geschwängert und dann ermordert worden sei und nun jedes Mal, wenn der Tod eines Familienmitglieds bevorstand, in eben jenem Fenster erschiene. Dieses unheimliche Vorkommnis nahmen die Fanshawes zum Anlass, baldmöglichst abzureisen.

Die Geschichte der ‚Frau im Fenster‘ wie sie auch genannt wird, stellt auf unterhaltsame Art und Weise die tiefe Verwurzelung der Banshee im Volksglauben dar. So ist es für Lady O’Brien lediglich ein kleiner Fauxpas, dass ihre englischen Gäste nicht über die Familien-Banshee aufgeklärt wurden, ist deren Existenz doch ganz natürlich für die Familienangehörigen. Die gewalttätige Hintergrundgeschichte der Banshee ist dabei ein Einzelfall und gehört nicht zum allgemeinen Volksglauben.

Wie bereits erwähnt, vermag diejenige Person, die bald sterben wird, die Banshee nicht zu hören. Sie soll den Todgeweihten nicht ängstigen, sondern die Familie vorbereiten. Diese doch einfühlsame Herangehensweise an den Tod wurzelt in den alten keltischen Ritualen und Bräuchen, die den Tod zwar als Dunkelheit darstellten, die das Lebenslicht stahl, aber auch als Ende des Lebens, dem ein neues folgte. Ein Leben in der Anderswelt, dem Reich der Feen, der Heimat der Banshee.

Ein Beitrag von Pia Stöger

Literaturhinweise:

Patricia Monaghan (Hrsg.) The Encyclopedia of Celtic Mythology and Folklore. Facts on File Library of Religion and Mythology, 2004.

The Memoirs of Ann Lady Fanshaw. Von Lady Ann Harrison Fanshaw, London, 1907. Neudruck der originalen 1676 Edition.

The Lady of the Lake in Six Cantos – Miscellaneous Poems von Sir Walter Scott, Bart. R. Cadell, 1835.

© Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V.

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